Rumänien: ITler warten auf Aufträge

29.01.2007
Am 1. Januar wurde der 22 Millionen Einwohner starke Balkanstaat Mitglied der EU. CW-Redakteur Hans Königes begleitete einen Kölner Mittelständler auf einer Rundreise durch ein Land voller Widersprüche.

Dirk Buschmann, Mitinhaber des mittelständischen IT-Beratungshauses KI AG in Köln, ist nicht entgangen, dass seine Kunden immer häufiger über Offshoring und Nearshoring reden, darüber also, wie sich IT-Kosten durch Auslagern nach Asien oder Osteuropa reduzieren lassen. Nun will er sich aus erster Hand darüber informieren.

Rumänien

Der Balkanstaat ist gemeinsam mit Bulgarien am 1. Januar der EU beigetreten. Rund 22 Millionen Einwohner leben auf 240000 Quadratkilometern. Das Bruttoinlandsprodukt betrug 2005 knapp 80 Milliarden Euro, was der Leistungsstärke der Stadt Hamburg entspricht. Die Wirtschaft ist in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich um rund fünf Prozent gestiegen, der IT-Sektor überdurchschnittlich um 20 Prozent. Das Pro-Kopf-Einkommen lag 2005 bei 3400 Euro, in Deutschland waren es 27700 Euro.

Pragmatisch wie Mittelständler nun mal sind, informiert sich Buschmann auf der CeBIT an den jeweiligen Gemeinschaftsständen der osteuropäischen Länder und entscheidet sich nach mehreren Gesprächen für Rumänien. Auf der Münchner IT-Messe Systems vertiefte er seine Kontakte und pickt sich für die Reise Unternehmen heraus, die wie seine Firma auch auf Mobility-Lösungen spezialisiert sind.

Rumänien hat seit dem Tod des Ehepaares Ceausescu Ende 1989 einen rasanten Aufschwung genommen. Vor allem die IT-Industrie, die zuletzt - auf niedrigem Niveau allerdings - um 20 Prozent jährlich wuchs, sorgt für eine dringend benötigte Modernisierung. Der IT-Markt wird auf ein Volumen von 3,6 Milliarden Euro geschätzt. Zudem sind die IT-Fachkräfte gut ausgebildet. IT-Verbandspräsident Alexandru Borcea verweist darauf, dass Rumänien mit 260 IT-Absolventen auf eine Million Einwohner die höchste Dichte weltweit besitzt. Und um die Bedeutung dieses Sektors zu betonen, wurde ein eigenes Ministerium für IT und TK geschaffen, das der mit Mitte dreißig Jahren recht junge Informatiker Zsolt Naghy leitet.

Kritik an der teuren Hauptstadt

Mit einer Menge Informationen macht sich Buschmann Ende vergangenen Jahres auf den Weg nach Bukarest. Den Weg vom Flughafen ins Zentrum der Stadt säumen Baustellen, die sich später in Technologieparks, Kaufhäuser, Bürotürme und Wohnblocks verwandeln werden. Die Straßen sind so dicht befahren, dass der Verkehr teilweise zum Erliegen kommt.

Das erste Treffen findet mit Thomas Wendel statt, einem Rheinländer mit siebenbürgischen Wurzeln, der schon seit einigen Jahren im Balkanstaat als Berater tätig ist. Prompt schimpft er über den Moloch: "Die Preise erreichen bald westliches Niveau, aber die Lebensqualität ist schlechter." Er beklagt die schlechte Organisation, Korruption und ausufernde Bürokratie: "Bei Behörden muss man ständig Schlange stehen."

Gehalt wird in bar ausbezahlt

Die Reise geht nun quer durch die Stadt in die Nähe der technischen Universität, wo sich die Ehepartner Marian und Felicia Miulet jeweils mit ihren eigenen Firmen in einem neuen Bürogebäude niedergelassen haben. Marian Miulet beschäftigt 35 Mitarbeiter in seiner Firma Medianet, seine Frau Felicia 65 Mitarbeiter in ihrer Firma Tripen. Beide sprechen gut Englisch, Felicia Miulet hat ihr MBA-Studium in Toronto absolviert. Die meisten Entwickler sitzen in einem Großraumbüro mit runden Tischen. Die Programmierer sind Anfang 20, die Projektleiter Ende 20 und die Inhaber Anfang 30 Jahre alt. Wie in anderen Softwarehäusern haben fast alle einen Hochschulabschluss. Die jungen Informatiker, die Pullover und Jeans tragen, präsentieren Lösungen für den Tourismus und die Gastronomie. Meist handelt es sich um kleine abgeschlossene Projekte, an denen zwei bis drei Experten ein paar Wochen gearbeitet haben.

Als nächstes steht ein Termin bei Beia Consult, einem Beratungshaus für Telekommunikationslösungen, auf dem Programm. George Suciu, Inhaber und Geschäftsführer des Unternehmens, hat am Stadtrand gleich in den Garten seines Privathauses das Firmengebäude gesetzt. Er beschäftigt rund 50 Mitarbeiter. Am Ende des Arbeitstags erhält er von seiner Sekretärin die Unterschriftenmappe und überprüft alle Rechnungen, die ihm seine Mitarbeiterin vorlegt. Beiläufig erzählt er, dass er die Gehälter per Hand auszahlt, wie es im ganzen Land noch üblich ist. Suciu ist gut im Geschäft. Er installiert landesweit TK-Anlagen und beschäftigt dazu eine kleine Entwicklertruppe. Im Gegensatz zu den meisten IT-Gründern nähert sich Suciu dem Rentenalter. Er arbeitete vor der Wende im Institut für Rundfunktechnik in Bukarest als Wissenschaftler und wagte Anfang der 90er Jahre nach der Wende den Sprung in die Selbständigkeit der, "sehr mühsam war", wie er bekennt.

Professioneller Web-Auftritt

Andere stehen in Sachen Selbständigkeit noch ganz am Anfang. Die Firma Design my Software hat zwar einen professionellen Web-Auftritt, wovon spannende Projekte und einer eigenen Niederlassung in den USA die Rede ist. Aber schon der Weg zum Firmensitz weckt Zweifel. In einem alten, heruntergekommenen Gebäude an einer ungeteerten Strasse, wo ringsherum die Wäsche in den Fenstern hängt, findet das Treffen statt. Die jungen Inhaber, die wohl Mitte zwanzig sind, haben in den USA studiert und können sich zumindest verbal gut verkaufen. Doch als einer der Firmenchefs die Präsentation starten will, fällt der Rechner aus. Auch die dann vorgestellten Arbeiten können KI-Chef Buschmann nicht beeindrucken, da es vor allem um Lösungen mit überschaubaren fachlichen Anforderungen handelt.

Vielsprachiges Klausenburg

Weiter geht die Reise ins siebenbürgische Klausenburg (Cluj-Napoca). Die Stadt mit fast 500000 Einwohnern ist das zweitgrößte Universitätszentrum mit einem starken natur- und ingenieurwissenschaftlichen Zweig. Besucht werden sollen zwei Unternehmen, die bereits einige Projekte - vor allem Softwareentwicklung im ERP- und Mobility-Umfeld mit westlichem Kunden umgesetzt haben. Ambo, geführt von den Brüdern Adam und Botond Boer, hat einen deutschen Kooperationspartner. In der Firma tauschen sich Mitarbeiter und Kunden in vier Sprachen aus - Ungarisch, Rumänisch, Deutsch und Englisch. Klausenburg ist die Hochburg der ungarischen Minderheit mit einem fast zehnprozentigen Anteil. Einige Ambo-Mitarbeiter haben ungarische Wurzeln.

Voicu Oprean, Geschäftsführer und Inhaber von Arobs Transilvania Software, berichtet, dass er nur Mitarbeiter mit sehr guten Englischkenntnissen einstellt. Zusätzlich bietet er allen Beschäftigten Deutschkurse an. Buschmann zeigt sich angetan: "Wenn meine Leute so gut Englisch sprechen könnten, wäre ich ganz froh." Auch sonst hat der Kölner einen guten Eindruck von dem, was er in Klausenburg zu sehen bekommt. Die Mobility-Projekte sind in der Komplexität ansatzweise vergleichbar mit seinen, und die Chefs hinterlassen einen professionellen Eindruck.

Die letzte Station der Reise ist Hermannstadt (Sibiu). Dort haben sich vor allem deutsche Automobilzulieferer angesiedelt. Der Bürgermeister Klaus Johannis, der der deutschen Minderheit angehört, hat es geschafft, westliche Betriebe in seine Heimatstadt zu locken, die in diesem Jahr auch als europäische Kulturhauptstadt von sich reden machen wird. In der Altstadt und der Stadtmitte herrscht emsige Betriebsamkeit, mittelalterliche Bauten werden restauriert. Die Stadt hat Flair und ist eine Reise wert. Obwohl Universitätsstadt, ist Hermannstadt mit rund 160000 Einwohnern deutlich kleiner als Bukarest und Klausenburg. Entsprechend gering ist die Dichte der IT-Unternehmen.

Das besuchte Softwarehaus Wittmann & Partner arbeitet eng mit dem Münchner IT-Dienstleister Beck et al. zusammen. Die Bayern lassen schon seit über zwei Jahren einen Teil ihres Produkts "Explicanto", ein Lern-Management-System, hier entwickeln. Nun will Geschäftsführer Virgil Candea die IT-Plattform auch in seinem Land vermarkten. Dass der Nachholbedarf in Sachen IT riesig ist, zeigt folgendes Beispiel: In einem 3000 Personen starken Produktionsbetrieb funktionieren gerade mal zwei PC, wie ein Berater aus Westeuropa erzählt.

Kurze Entfernungen

Das, was Buschmann eventuell bevorsteht, hat der Düsseldorfer IT-Dienstleister Infobest (www. infobest.de) bereits geschafft. Das Unternehmen hat vor sechs Jahren eine eigene Niederlassung in Temesvar gegründet - einer Großstadt an der Grenze zu Ungarn mit einer starken deutschen Minderheit. Es beschäftigt dort 20 Mitarbeiter, genauso viele wie in der Düsseldorfer Zentrale. 2007 sollen weitere zehn Mitarbeiter eingestellt werden, und wenn der Arbeitsmarkt es hergibt, sogar 20. Infobest hat bereits Ende der 90er Jahre Erfahrungen mit dem Thema Offshoring gesammelt und es zuerst in Indien probiert. "Das ist nichts für mittelständische Unternehmen", sagt Infobest-Manager Georg Schmidt- Sailer in München. Nach Asien würden vor allem große Projekte ausgelagert, weil es dort die entsprechend großen IT-Dienstleiter gebe. Laut Schmidt-Sailer sprechen einige Argumente für Osteuropa im Allgemeinen und für Rumänien im Besonderen: Der Flug von Deutschland nach Rumänien dauert nur eineinhalb Stunden, die sprachlichen und kulturellen Barrieren zu Westeuropa sind im Vergleich zu Asien minimal. Wollen die Firmen zunächst wegen des Kostenvorteils im Balkan entwickeln, "bleiben sie später wegen der Qualität", so der Infobest-Mann. Zudem empfindet Schmidt-Sailer die osteuropäischen Programmierer als kreativ und kommunikationsstark - Eigenschaften, die bei der Zusammenarbeit mit Indien schon aufgrund der kulturellen Unterschiede zu kurz kommen können.

Es geht weniger um Kosten

Für KI-Vorstand Buschmann sind die Kosten nur einer von mehreren Gründen, warum er sich in Rumänien umschaut. Er möchte vor allem flexibel Aufträge annehmen können, ohne sofort neue Mitarbeiter einstellen oder, wie es zurzeit der Fall ist, sich lange auf die Suche nach Arbeitskräften - sei es auch nur auf Zeit - begeben zu müssen. Zudem will er erreichen, dass Produkte schneller fertig werden. Geschwindigkeit werde zu einem großen Wettbewerbsvorteil, weshalb der rasche Zugriff auf zusätzliche Ressourcen so wichtig sei. Deshalb interessiert es Buschmann wenig, wenn die rumänischen Geschäftsführer über die ständig steigenden Gehälter klagen. Sie sind ohnehin nach westlichen Maßstäben niedrig. So verdienen Juniorprogrammierer um die 300 Euro im Monat, erfahrene Entwickler zwischen 500 und 1000 Euro, Projektleiter erreichen um die 1500 Euro oder sogar bis zu 2000 Euro.

Ob im Balkan Software entwickelt wird, entscheidet sich in den nächsten Wochen. Er möchte den besuchten Unternehmen eine kleine Projektaufgabe schicken, um zu wissen, wie sie diese lösen und wie sie kalkulieren. Noch ist er nicht ganz sicher, ob es tatsächlich klappen wird. Die vielen jungen Gesichter ließen ihn etwas skeptisch werden, ob auch die nötige Erfahrung vorhanden sei, um komplizierte unternehmensweite Lösungen zu entwickeln. Er bemängelt auch Management-Qualitäten wie eine klare Strategie und Fokussierung oder Analyse der Zielmärkte. Schmidt-Sailer wischt diese Bedenken weg und verweist auf große Kunden wie Bosch und Philips. Eines allerdings lässt beide ins Schwärmen geraten: eine herzliche, offene Atmosphäre mit unkomplizierten Menschen, die in jeder Situation sehr hilfsbereit sind.