Ruhe vor dem Sturm

13.08.1982

Die IBM Deutschland GmbH hatte den Strauß von Allgemeinplätzen sorgfältig ausgewählt: "Der Einsatz der neuen Architektur-Erweiterung bei Kunden, die bisher in eingeschränkter Systemumgebung gearbeitet haben, kann (Unterstreichung der Redaktion) zu größerer Leistungsfähigkeit und damit zu höherem Systemdurchsatz führen", so lautete unter anderem die Antwort, als CW-Redakteurin Ina Hönicke nach den Hintergründen der 370-XA-Ankündigung fragte (Thema der Woche, Seite 5). Aber auch von den Plug Compatible Manufacturers (PCM), den IBM-Nachahmern, erhielten wir lediglich vage Empfehlungen (Amdahl: ". . . müssen nur noch an die endgültigen Spezifikationen angepaßt werden"; BASF: "... werden diese zu einem gegebenen Zeitpunkt bieten"), mit denen der Anwender nichts anfangen kann.

Wir verstehen, daß sich der Marktführer durch die Thema-der-Woche-Befragung nicht provozieren läßt, Informationen über die IBM System /370 Erweiterte Architektur an die große Glocke zu hängen, die selbst IBM-Vertriebsbeauftragte, laut BASF, ihren Kunden noch vorenthalten. Wir verstehen auch, daß die Steckerkompatiblen mit Durchhalteparolen operieren, solange "Big Blue" die XA-Katze nicht aus dem Sack gelassen hat - wobei ihre Argumente durchaus unterschiedlich sind. Die einen rechnen damit, daß die 360/370-Welt nicht aus den Fugen geraten wird, weil IBM Rücksicht nehmen muß auf die enormen Softwareinvestitionen der Kunden. Die anderen gehen zwar von einem evolutionaren Sprung aus, der Kompatibilltätsgrenzen überwindet, vertrauen jedoch darauf, daß der Mainframe-Riese dem Markt genug Zeit läßt, sich auf die neue Architektur einzustellen.

Diese optimistische Annahme läßt sich leicht widerlegen: Wenn MVS-Anwender In einem Migrationsprozeß drinstecken, der einer "großen Release-Umstellung" (Originalton IBM) gleichkommt, dann können sie weder nach links noch nach rechts schauen.

Auch jenseits aller Kompatibilitätsüberlegungen spricht einiges dafür, den IBM-Migrationspfad derzeit nicht zu verlassen. Wer sein Geld in Großrechnern anlegt, will die Gewißheit haben, daß es Zinsen bringt, wirtschaftilche Vorteile in der Day-to-day-Datenverarbeitung - und zwar kontinuierlich. Fremdzugehen mit Amdahl & Co. scheint nur in ruhigen Zeiten das beste Rezept gegen Budgetblähungen zu sein. Bei Releasewechseln ist Vorsicht geboten.

Anfang der 70er Jahre hatten sich RCA, General Electric und Control Data von der IBM-Treue vieler Anwender in einer Phase der Neuorientierung überzeugen können. Als IBM mit den kleinen 370ern das Konzept der virtuellen Maschine einsegnete, blieb kein (Mitbewerber-) Auge trocken. Umso mehr überrascht, daß sich die Siemens AG jetzt auf Gedeih und Verderb an die MVS-Welt bindet. Die neuen 7890-Rechner seien für den Einsatz des IBM-Betriebssystems MVS/SP 2 unter XA vorbereitet, sagen die Münchner. Daß man sich mit der XA-Option was die Softwareentwicklung betrifft, einen dicken Brocken vorgenommen hat, daraus machen die Kessler-Leute kein Hehl. Von den Japanern Hitachi und Fujitsu weiß man, daß sie blinde IBM-Gefolgschaft langfristig für bedenklich halten. Sie wollen die Amerikaner auf dem Technologiesektor überholen (Stichwort "Fünfte Generation") und neue Anwendungsmöglichkeiten erschließen. Für Siemens kann diese Entwicklung prekär werden: Ob XA-Commitment oder "Fünfte Generation" - wenn IBM und die Japaner ein cleveres Spiel spielen, sitzen die Münchner zwischen den Stühlen.