Rückzug aus der Mikrokanal-Entwicklung

21.10.1988

Mit seinem Rückzug aus der Mikrokanal-Entwicklung setzt Compaq, der nach IBM wohl wichtigste PC-Anbieter, ein deutliches Zeichen. Damit ist die Schlacht um den künftigen Standard bei Hochleistungs-Bussystemen für Personal Computer voll entbrannt: Auf der einen Seite steht Big Blue mit seinem vor anderthalb Jahren eingeführten Mikrokanal-Konzept (MCA), auf der anderen fast der Rest der PC-Welt mit seiner Neuschöpfung EISA (Extended Industry Standard Architecture). Diese Auseinandersetzung ist weit mehr als das übliche Wettbewerbsgerangel unter konkurrierenden Anbietern: Dem Sieger in dieser Schlacht dürfte auf absehbare Zeit die Vormachtstellung im PC-Markt kaum noch streitig zu machen sein (und auch die PS/2-Maschinen von IBM sind in diesem Sinne als Personal Computer zu betrachten).

Die Diskussion wird weitgehend mit technischen Argumenten geführt: Ob der EISA-Bus multiprozessorfähig ist (er ist es), ob die Kompatibilität mit dem existierenden Industriestandard (XT/AT-Bus) nicht zu Begrenzungen in der Datenübertragungsrate zwinge (dafür gibt es keine Anhaltspunkte).

Schließlich geht es darum, ob es Sinn mache, mindestens ein weiteres Jahr auf Add-Ons für den neuen Bus zu warten, wenn IBM für den MCA bereits jetzt eine breitgestreute Zubehörpalette anbiete (das Zubehör für einen dem EISA-Konzept gleichwertigen IBM-Bus, den für diesen Herbst zu erwartenden MCA II, wird mindestens noch ebenso lange auf sich warten lassen).

Doch dieses sind allesamt Scheingeplänkel, bestenfalls am Rande von Bedeutung, da beide Konzepte von ihrer Leistungs-fähigkeit her keine signifikanten Unterschiede erwarten lassen. Von weit größerer Bedeutung sind die marktpolitischen Aspekte, die der Auseinandersetzung innewohnen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, wer in Zukunft diesen Markt steuern wird. IBMs Problem in dieser Situation gleicht der Quadratur des Kreises: Wie lenkt man einen Markt, der sich nur entfalten konnte, weil es eine Unzahl unabhängiger und somit nicht lenkbarer Anbieter gab? Mit dem patentfähigen Mikrokanal schuf sich der blaue Riese ein Instrument, das es ihm erlauben sollte, nicht nur die technische Entwicklung in der Hand zu behalten, sondern auch über die Ausgestaltung der Lizenzbedingungen den unbequemen Anbieter-Wildwuchs zu beschneiden.

Diese Politik muß heute als gescheitert betrachtet werden: Gerade aufgrund der rigorosen Lizenzbedingungen und der rechtlichen Unsicherheiten fanden sich nur sehr wenige Anbieter bereit, MCA-Produkte auf den Markt zu bringen. Der Mikrokanal konnte sich infolgedessen nicht als Industriestandard etablieren. Dies ist genau die Lücke, die der EISA-Bus füllt. Jenseits aller technischen Erwägungen glänzt er mit einer unschlagbaren - aber für IBM völlig wertlosen - Eigenschaft: Jeder kann ihn nachbauen, es gibt keine patentrechtlichen Unsicherheiten für einen EISA-Anbieter. Und das ist genau der Sprit, mit dem der Marktmotor Industriestandard läuft. Die Zeiten sind vorbei, in denen ein einzelner (DV)-Godfather den Kurs einer ganzen Branche bestimmen konnte.