Thema der Woche

Rücktritt von Bill Gates heizt Spekulationen an

21.01.2000
Der Rücktritt von Microsoft-Chef Bill Gates hat die Branche geschockt und Spekulationen ausgelöst. Etliche Beobachter sehen zumindest einen indirekten Zusammenhang mit dem laufenden Kartellverfahren. Die Kläger hatten vergangene Woche eine Aufspaltung des Konzerns gefordert.

Die Meldung schlug ein wie eine Bombe: Firmenmitbegründer Bill Gates zieht sich nach 25 Jahren aus dem operativen Geschäft zurück und wird künftig die neugeschaffene Position eines Chief Software Architect wahrnehmen. Nachfolger wird sein ehemaliger Studienkollege und langjähriger Freund Steve Ballmer, seit 1998 President von Microsoft. Gates behält lediglich seine Position als Verwaltungsratsvorsitzender.

Weniger der Inhalt als der Zeitpunkt der Ankündigung überraschte die Marktauguren. Nur einen Tag zuvor war bekannt geworden, dass die Klägerparteien im Antitrust-Verfahren gegen Microsoft eine Aufspaltung des Konzerns fordern wollen (siehe Kasten "Wird Microsoft zerschlagen?"). Bis dato hatten sich die Kläger nicht auf konkrete Sanktionen festgelegt. In den derzeit laufenden Vermittlungsverhandlungen unter Leitung des US-Berufungsrichters Richard Posner soll Microsoft dazu gedrängt werden, sich in zwei oder drei selbständig agierende Unternehmen aufzuteilen, berichteten US-Zeitungen.

Gates widersprach den Spekulationen um seine Person vehement. Schon vor Jahren habe er mit dem Vorstand darüber geredet, seine Verantwortung für das operative Geschäft abzugeben. Sein Ziel sei es schon damals gewesen, sich verstärkt mit Technologiethemen und den durch das Internet ausgelösten Veränderungen auseinander zu setzen. Ballmers Beförderung zum President im Juli 1998 sei ein erster Schritt in diese Richtung gewesen. Gates: "Nun sind wir den Weg zu Ende gegangen."

Für einige Branchenbeobachter steht hinter dem Rückzug des 44jährigen Firmenlenkers seine Strategie, sich selbst im andauernden Monopolverfahren aus der Schusslinie zu nehmen. Der sonst eher introvertiert wirkende Manager war im Prozessverlauf nicht nur wegen rüder Geschäftspraktiken, sondern auch durch sein aggressives Auftreten in die Kritik geraten. Nach zum Teil widersprüchlichen Aussagen, die mehrfach durch firmeninterne Dokumente widerlegt worden waren, machte Gates vor Gericht eine denkbar schlechte Figur. Allzu oft nahm er Anschuldigungen persönlich und reagierte entsprechend ungehalten.

Henrik Klagges, Analyst bei der Münchner Consol Software GmbH, sieht zwar keinen direkten Zusammenhang mit dem Kartellverfahren: "Gates hat die Aktion von langer Hand vorbereitet." Durch das geschickte Timing ergebe sich aber hinsichtlich des Prozesses ein positiver Nebeneffekt. Das Auftreten des Managers habe dem Unternehmen erheblich geschadet. In der neuen Konstellation sei Gates einfach nicht mehr sichtbar. "Viele Leute identifizieren die Firma mit ihm persönlich." Insofern habe der Rückzug eine "enorme psychologische Signalwirkung". Ein interner Machtkampf liege der Entscheidung auf keinen Fall zugrunde. Klagges: "Gates hatte einfach keinen Bock mehr."

Nach der Lesart Ballmers ist der Management-Wechsel Teil einer breit angelegten Strategie, Microsofts Kernanwendungen stärker auf das Internet auszurichten. Gates soll in seiner neuen Rolle als oberster Softwarestratege die entscheidenden Impulse geben.

Der Konzern aus Redmond arbeitet an einer neuen Softwareplattform, über die Clients, Server und Websites integriert werden können. Dieses "Internet-Betriebssystem" mit dem Codenamen "Next Generation Windows Services" (NGWS) basiere auf Microsofts Technologien und Tools und werde auf der hauseigenen Konferenz "Forum 2000" im April demonstriert. Gates hatte dieses Vorhaben erstmals auf dem Developer Strategy Day des Unternehmens im September 1999 angekündigt und im November auf der Comdex in Las Vegas konkretisiert.

Das Argument, der Microsoft-Gründer könne durch die Positionierung als oberster Softwarearchitekt größere interne Veränderungen bewirken, beurteilt Klagges kritisch: "Das ist Quatsch. Dafür ist er viel zu lange draußen." Der neue Job sei eher eine "zeremonielle Position".

Hinsichtlich des laufenden Kartellverfahrens scheint der 43jährige Ballmer auf der Linie seines Vorgängers zu liegen: Jeglicher Versuch, das Unternehmen zu zerschlagen, wäre "absolut leichtsinnig und verantwortungslos", donnerte der Manager in die Mikrofone. "Es wäre der schlechteste Dienst, den man den Verbrauchern in diesem Land überhaupt erweisen könnte."

William Kovacic, Antitrust-Experte an der George Washington University, glaubt denn auch nicht, dass sich die Chancen auf eine außergerichtliche Einigung verbessert haben. "Ich denke nicht, dass Ballmers veränderte Rolle zu einer Einigung führt. Gates ist die Personifizierung des Extremstandpunkts, aber Ballmer teilt seine Ansichten." Kommt tatsächlich keine Einigung zustande, wird das Kartellverfahren am 22. Februar in Washington fortgesetzt.

Substanzielle Veränderungen innerhalb des Konzerns sind nach dem Rückzug von Gates kaum zu erwarten, darin sind sich die meisten Experten einig. Als langjährigem Marketing- und Vertriebschef wird Ballmer aber zugetraut, am zuletzt wenig sympathischen Erscheinungsbild des Softwareriesen zu feilen. "Time"-Kolumnist Joshua Quittner kommentierte, Ballmer werde versuchen, "das Gesicht eines sanfteren, netteren Microsoft" zu werden.

Ob dies ausgerechnet einem Mann gelingen kann, der vom US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" als "George S. Patton der Software" bezeichnet wurde (der amerikanische General wurde im Zweiten Weltkrieg als Draufgänger bekannt), ist indes fraglich. Im Umgang mit Kollegen und Kunden ist Ballmer keineswegs immer durch Sanftmut aufgefallen. Er führte einige der aggressivsten Kampagnen Microsofts gegen Konkurrenten. Nicht wenige beschreiben ihn als Raubein und äußerst harten Verhandlungspartner, der in Sitzungen schon mal cholerisch reagiere.

Die andere Seite des Steve Ballmer ist die des Analytikers und gewieften Marktstrategen. Nach seinem Abschluss in angewandter Mathematik und Ökonomie an der Harvard University arbeitete er zunächst beim Konsumgüterkonzern Procter & Gamble, einer der ersten Adressen im Wirtschaftsleben der USA. 1980 holte Gates ihn zu Microsoft. Zu den besonderen Fähigkeiten Ballmers rechnen Insider seine Begabung, Mitarbeiter zu motivieren. Kurz nach seiner Ernennung zum President von Microsoft brauchte der stämmige Manager Berichten zufolge nur wenige Sekunden, um während eines Treffens mit Vertrieblern 6000 Mitarbeiter zu minutenlangem Applaus im Stehen hinzureißen. Statt höhere Provisionen zu versprechen, hatte Ballmer dreimal hintereinander laut ausgerufen: "Ich liebe dieses Unternehmen." Wolfgang Herrmann, Martin Bayer