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Rückblick: Das IT-Jahr 2000 (4)

02.01.2001
Zwischen den Jahren wirft Computerwoche online wie versprochen einen ausführlichen Rückblick auf das IT-Jahr 2000. Im heutigen vierten Teil: September und Oktober.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Zwischen den Jahren wirft Computerwoche online wie versprochen einen ausführlichen Rückblick auf das IT-Jahr 2000. Im heutigen vierten Teil: September und Oktober.

SEPTEMBER

Haben wir schon das Phänomen Intel angesprochen? Und dessen bemerkenswerte Ankündigungsstrategie, neue Produkte eigentlich nur selten zum angepeilten Zeitpunkt auf den Markt zu bringen? Ende Juli war so ein Fall. Da wurde die neue, mit 1,13 Gigahertz getaktete Pentium-III-CPU vorgestellt. Jetzt ist September und Intel sagt, man habe die Produktion des Chips wegen fehlerhafter Software erst einmal gestoppt.

Familienstreit derweil bei der Deutschen Telekom und ihrer Tochter T-Online: Die nämlich hat keinen Chef mehr, nachdem Wolfgang Keuntje das Handtuch geworfen hat. Angeblich gibt es gewisse atmosphärische Störungen zwischen ihm und Telekom-Boss Ron Sommer.

Die schlechten Nachrichten bei deutschen Firmen aus dem Mittelstand reißen auch im September nicht ab: Brain muss bekannt geben, man werde kurzfristig 300 der insgesamt 1400 Mitarbeiter entlassen. Hinter den Kulissen hat schon längst das Hauen und Stechen im Management begonnen. Obwohl offiziell eine andere Sprachregelung vorherrscht, hatte es zwischen Kurt Rembold und dem bereits Anfang des Jahres ausgeschiedenen Helmut Polzer wohl schon früher heftige Unstimmigkeiten gegeben. Jetzt geht auch Thomas Holzer - in Frieden.

Bei Wilken, dem Ulmer Softwarehersteller der ERP-Lösung "CS2", kommt es derweil zum innerfamiliären Shoot-out zwischen Vater Ernst und Sohn Folkert. Letzterer hat 18 Jahre unter dem Regiment des Patriarchen gearbeitet und "CS2" maßgeblich entwickelt. Kronprinz Folkert sollte gemeinsam mit seinem Schwager Andreas Lied den Betrieb mit 180 Mitarbeitern übernehmen, in eine AG umwandeln und an die Börse führen. Kurz vor dem Stabwechsel schaukeln sich die Spannungen zwischen Vater und Schwager auf der einen sowie dem Sohn auf der anderen Seite so auf, dass das Oberhaupt die Notbremse zieht und den Filius aus Firma und Verantwortung entlässt.

Unangenehmen Fragen sieht sich Sun Microsystems im September ausgesetzt, als zum wiederholten Mal Probleme bei den "Ultra-Sparc-2"-Prozessoren auftreten und für Systemabstürze bei den "Enterprise"-Servern sorgen. Schwierigkeiten mit dem Cache-Speicher auf den Chips, die längst behoben schienen, sorgen dafür, dass die angeblich zu 99,95 Prozent ausfallsicheren Maschinen so manchen Anwender im Stich lassen.

Nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten westlichen Welt läuft Anfang September eine hitzige Diskussion über den weltumspannenden, unkontrollierbaren Überwachungsstaat an, der seine großen Ohren im Internet spitzt. Das Schnüffelprogramm Carnivore der US-Bundespolizei FBI hat bereits früher für Aufregung gesorgt. Jetzt macht sich mit Großbritannien ausgerechnet die älteste Demokratie der Welt daran, den Internet-Surfer zum gläsernen Wesen umzumodellieren. Das Ausspähprogramm Regulation of Investigatory Powers (RIP) soll im Oktober so auf die geltenden Gesetze hin verklausuliert werden, dass die Rechtsprechung keinen Schaden nimmt, wenn Ermittlungsbehörden ebenso wie der britische Geheimdienst MI5 heimlich E-Mails und sonstige Internet-Datenkommunikation zwischen Surfern flächendeckend abgreifen.

Bereits Ende 1998 war die "Enfopol"-Initiative der Justiz- und Innenminister der Europäischen Union (EU) eher zufällig publik geworden. Enfopol zielte auf eine weit reichende Überwachung der europäischen TK- und Internet-Kommunikation. Die staatlichen Schnüffler wollten dabei einen ungehinderten Blick auf Dauer, Zeit, Kommunikationspartner sowie den Verweilplatz von überwachten Personen und deren Kontoverbindungsdaten und Gebührenabrechnungen werfen dürfen. Erst als sich Datenschützer und die Öffentlichkeit massiv gegen diese Überwachungsmentalität zur Wehr setzen, lenkt der EU-Rat zunächst ein.

Gute Nachrichten kommen im September aus Nordrhein-Westfalen: Düsseldorfs Regierungspräsident Jürgen Büssow droht solchen Internet-Service-Providern Geldstrafen in Höhe bis zu 500.000 Mark an, die rechtsradikales Gedankengut im Internet verbreiten. Natürlich ist die Initiative ein Ritt gegen Windmühlen. Immerhin werden aber bereits erste inkriminierte Homepages gelöscht.

Mitte September landet Hewlett-Packard einen Coup, der in der Branche auf viel Interesse und Zustimmung stößt: Mit Vehemenz trachtet HPs Chefin Carleton Fiorina danach, ihr Unternehmen als Macht im Beratungsgeschäft zu etablieren. Für 17 bis 18 Milliarden Dollar in bar und in Aktien soll deshalb die Consulting-Sparte von Pricewaterhouse-Coopers (PwC) mit rund 30.000 IT-Experten unter die Fittiche von HPs Beratungseinheit schlüpfen. Diese beschäftigt bislang lediglich 6000 Angestellte. Mit der Hinwendung auf Beratungstätigkeiten mit Fokus auf die Bereiche E-Business und Enterprise Resource Planning (ERP) könne HP sein Image als

Druckerlieferant mit angeschlossenem Rechnergeschäft loswerden, heißt es - bis die geplante Fusion im November wieder abgeblasen wird. Zahlreiche Kritiker aus der Branche hatten befürchtet, die Berater würden mehr unabhängig arbeiten.

In Deutschland wirft der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) dem Branchenriesen Deutsche Telekom den Fehdehandschuh hin. Von vorsätzlicher Benachteiligung des Wettbewerbs ist die Rede. Sogar an gerichtliche Entscheidungen halte sich die Telekom nicht. Wechselwillige Kunden würden absichtsvoll beim Umstieg auf einen anderen Provider benachteiligt. Telekom-Sprecher Ulrich Lissek ist die VATM-Argumentation natürlich "schleierhaft".

Im anschwellenden Copyright-Streit zwischen großen Musikverlagen und jungen Internet-Startups, die Hits im WWW kostenlos zum Herunterladen anbieten, kommt es im Herbst zu einer ersten Entscheidung, die für die Anhänger von Online-Musik herb ausfällt: Im Gerichtsverfahren über die zum Seagram-Konzern gehörende Plattenfirma Universal gegen MP3.com hatte der vorsitzende Richter Jed Rakoff bereits im April MP3.com wegen Urheberrechtsverstoßes verurteilt. Nur die Bekanntgabe der Höhe des Strafmasses behielt er sich für September vor. Das fällt nun ziemlich heftig aus: 25.000 Dollar muss MP3 für jede CD bezahlen, welche die Internet-Firma in - so die Aussicht des Gerichts - etwas zu freier Auslegung des Begriffs Eigentum unter das Volk bringt. Juristen sind sich allerdings weder darüber einig, ob Richter Rakoff MP3.com nicht für andere Raubkopierer büßen lässt, noch, ob das Internet-Unternehmen tatsächlich gegen geltendes Recht verstoßen hat.

Ebenfalls nicht selbstverständlich ist das Ergebnis einer Befragung deutscher Arbeitgeber und deren Interessenverbände im September zum Thema Surfen im Internet während der Arbeitszeit: Demonstrative Gelassenheit zu einem heiß gestrickten Thema zeigt die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Nicht Kontrolle der Arbeitgeber sei angesagt, sondern lediglich die Sorge darum, dass die erwartete Leistung auch erbracht werde. In einer repräsentativen Untersuchung von Unternehmen aller Größen hatte die Denkfabrik GmbH aus Düsseldorf rund 1300 Mitarbeiter deutscher Firmen nach ihren Surfgewohnheiten während der Arbeitszeit gefragt. Den nicht dienstlich bedingten Aufenthalt im Internet rechnete die rheinländische Agentur auf einen Schaden von rund 104 Milliarden Mark pro Jahr hoch. Dieser entstünde Unternehmen hierzulande, weil Mitarbeiter ihre Aktienkurse im WWW verfolgen, massenhaft Nestflüchter (so genannte Moorhühner) erlegen oder sich erotisch stimulieren. BDA-Mann Hagedorn kann das alles nicht erschüttern: Eigenverantwortlich arbeitende Mitarbeiter dürfe man nicht durch kleinliche Kontrollen demotivieren. Entscheidend sei einzig und allein, lehnt sich Hagedorn an ein Bonmot des Spendenkanzlers Helmut Kohl an, "was hinten rauskommt, dass also jemand die ihm gestellte Aufgabe in einer angemessenen Zeit erledigt".

Peoplesoft-Chef Craig Conway hofft im Gespräch mit der CW, sich nicht an seinem eigenen Anspruch zu verheben: Seine Firma wolle nicht mehr nur eine gute Adresse für Personal-Management-Software

sein, sondern mit "Peoplesoft 8" auch ein veritabler SAP- und Oracle-Konkurrent und Rundumanbieter von Kundenbeziehungs- und Lieferkettenlösungen.

Dass Deutschlands Softwerker nicht von

gestern sein müssen, zeigt eine Untersuchung über deutsche Anbieter, die mit Lösungen und gutem Service für das harmonische Zusammenwirken verschiedenster Unternehmensanwendungen (Enterprise Application Integration = EAI) aufwarten können. Jardix, Seeburger, Software AG, Fujitsu-Siemens, Computers Delta Software und Dignis EDV GmbH sowie Appsolut sind durchaus in der Lage, mit ihren Angeboten den amerikanischen Kollegen durchaus das Wasser zu reichen.

Und auch im E-Business glauben die Marktforscher von International Data Corp. (IDC) optimistisch sein zu dürfen, dass der alte Kontinent den USA den Rang ablaufen wird. Auf dem European IT Forum sind die meisten US-Amerikaner zu höflich, um dieser These laut zu widersprechen. Doch auch Zukunftsforscher Nicholas Negroponte, Gründer des Media Lab am Massachusetts Institute of Technology (MIT), sieht große Potenziale bei den Europäern: Würden die noch risikofreudiger sein, mehr auf ihre Jugend hören, die wiederum weniger auf ihre Chefs - dann könnten die transatlantischen Kräfteverhältnisse sich zu ungunsten Nordamerikas auspendeln.

Zum Herbstbeginn fallen in Deutschland nicht nur frühzeitig die ersten Blätter von den Bäumen. Mit "Cheops", dem wohl ehrgeizigsten Java-Projekt, das bis dato eine deutsche Firma gestartet hat, geht auch eine ganze Menge Hoffnungen baden. Die RWE Energie AG aus Essen wollte schon Ende 1999 eine Alternative zur SAP-Abrechnungs-Branchenlösung "IS-U/CCS" auf die Beine stellen. Was technologisch zwar mit der objektorientierten Ausrichtung und Java als Programmiersprache eine Herausforderung, trotzdem aber richtig gewesen wäre, stellt sich vom Projekt-Management her als zunehmend unlösbare Aufgabe dar. Gelandet ist RWE dann doch bei SAP. 100 Millionen Mark hat der Energieriese mit Cheops in den Sand gesetzt. Immerhin habe man, sagt der Vorstandsvorsitzende Knud Norden, wertvolle Einsichten in die Prozesse bei RWE sammeln können.

Der Datenbankspezialist Informix überrascht seine Anwender mit der Nachricht, sich weltweit in zwei Hälften zu teilen: Die Entwicklung und den Vertrieb der Datenbank übernimmt künftig Informix Software. Unter dem Dach der Informix Corp. entsteht daneben die Informix Business Solutions benannte zweite Tochter. Sie soll sich um E-Business-Lösungen, Web-Publishing-Software sowie Business-Intelligence-Angebote kümmern. Fünf Wochen später reicht Informix noch eine bittere Pille nach: Für das dritte Quartal 2000 weist Informix Software nach der Trennung einen Verlust von 18,5 Millionen Dollar aus. Rechnet man die Aufwendungen für die Umstrukturierung mit ein, färbt sich das Minus mit 85,7 Millionen Dollar sogar tiefrot.

Sage noch einmal jemand, Technologie und im engeren Sinne IT-Technologie verändere nicht die Welt oder wenigstens doch die der Unternehmen. Dank E-Commerce sind Fuhrunternehmer nicht mehr, was sie einmal waren: mehr oder weniger schlichte Transportdienstleister. Neue Entwicklungen verwandeln Transporteure wie UPS in Logistikunternehmen des 21. Jahrhunderts, die komplette Geschäftsprozessketten anzubieten haben. Noch allerdings machen fehlende Datenaustauschformate allen Beteiligten das Leben unnötig schwer.

Gerhard Schmid, Enfant terrible der deutschen TK-Branche und nebenbei Chef von Mobilcom, hat mal wieder einen Auftritt: Rund sechs Wochen nach der UMTS-Lizenzversteigerung fällt ihm ein, Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Versteigerungsverfahrens anzumelden. Wie die übrigen fünf Konkurrenten hat Schmid seinem Unternehmen mit rund 16,5 Milliarden Mark eine schwere Last für eine nicht so ganz klare UMTS-Zukunft aufgebürdet. Leicht verkatert vom Bieterrausch trachtet er nun offensichtlich danach, eine kleine Nachbesserung zu inszenieren. Klaus-Dieter Scheurle, damals noch, heute jedoch nicht mehr Präsident der die Oberaufsicht führenden Regulierungsbehörde, kommentiert den Schmidschen Vorstoß trocken mit der Bemerkung, er sei "äußerst verwundert". Schließlich habe Schmid zur rechten Zeit noch keinen Anlass gesehen, juristische Bedenken an der Versteigerung zu äußern. Schmid ahnt wohl schon, was wegen des UMTS-Abenteuers dem Kurs der Mobilcom-Aktie bevorsteht: ein eklatanter Absturz von 199 Euro im März 2000 auf 34,01 Euro Anfang Dezember. Schmid führt das auf "sachliche Fehler" zurück, die Analysten und selbst ernannte Experten machten. Sie würden die Kosten der UTMS-Lizenzrecht-Versteigerung für Mobilcom falsch einschätzen. Von einer finanziellen Unwägbarkeit des Mobilcom-Geschäfts könne keine Rede sein. So recht glauben will ihm niemand.

OKTOBER

Beim Debis Systemhaus vertreibt man sich in diesem Jahr die Zeit mit Spielen: Am liebsten mögen die Schwaben "Die Reise nach Jerusalem", weil jedes Mal einer aus dem Management übrigbleibt, für den es keinen Stuhl mehr gibt. Erst trifft es im Februar den langjährigen Vorstandsvorsitzenden des Dienstleisters Heinz Achinger, dem Konrad Reiss den Sitz auf dem Chefsessel wegschnappt. Der hält sich allerdings nur zwei Monate. Dann nämlich tritt wieder Achinger auf den Plan. Er soll Debis, das in der Zwischenzeit mehrheitlich von der Telekom gekauft worden ist, in die IT-Service-Tochter T-Systems integrieren. Doch Achinger hält kaum zwei Monate Hof, dann beerbt ihn Christian Hufnagl. Mit Hufnagl halten ausschließlich Führungskräfte aus dem Telekom-Umfeld Einzug, die Debis-Führungsetage ist im T-Systems-Topmanagement nicht mehr vertreten.

Microsoft wirft im Oktober einmal mehr seine PR-Maschinerie an. In San Franzisko zieht Firmenchef Steve Ballmer ein Mammutprogramm durch und präsentiert der interessierten Öffentlichkeit gleich neun neue Server-Produkte, mit denen die Datenzentren der Welt einmal mehr im Sturm genommen werden sollen. Mit dieser Offensive will Redmond die selbst ernannten E-Commerce-Giganten Sun und Oracle das Fürchten lehren.

Da trifft es sich gut, dass IBM zeitgleich seine neuen "Z-Serie-900"-Mainframes, Nachfolger der S-390-Großrechner, vorstellt. Ein wesentliches Merkmal der neuen Maschinen ist: Sie nehmen es gleich mit Dutzenden von Sun-Servern auf, so das Versprechen von Big Blue. Einen kleinen "Schönheitsfehler" haben die Z-Rechner aber schon: Auf ihnen läuft entweder das 64-Bit-Mainframe-Betriebssystem "z/OS" oder Linux, Windows 2000 aber natürlich nicht.

Ben Rosen, graue Eminenz bei Compaq seit dessen Gründung, tritt als Chairman des texanischen Unternehmens zurück. Michael Capellas, der Eckhard Pfeiffer als CEO beerbte, wird es nicht ohne Erleichterung zur Kenntnis genommen haben. Denn Rosen fällte nicht nur oft einsame Entscheidungen, sondern mit ihnen auch amtierende CEOs wie Compaq-Gründer Rod Canion, dem Pfeiffer folgte, dem Capellas folgte.

Haben wir eigentlich schon über Intels Produktankündigungsstrategie ein Wort verloren? Im Oktober jedenfalls verbreitet das Unternehmen die Nachricht, es werde die Entwicklung der hochintegrierten Single-Chip-Lösung "Timna" in die Tonne treten. Gedacht war die Technologie für preisgünstige PCs. Wegen anhaltender technologischer Probleme während der Entwicklung verschob sich das Debüt von Timna erst auf Mitte 2000, dann auf Anfang 2001. Schließlich setzt der Prozessorgigant seine neue CPU aufs Altenteil, bevor diese überhaupt das Licht der Welt erblickt. Auch das ist das E-Zeitalter: vor der Geburt schon auf die Bahre.

Sie haben die Sahne für die Soße vergessen und irgendwie auch keine Lust mehr, aus den Pantoffeln und in die Puschen zu kommen? Macht doch nichts! Auch Otto weiß, was nicht nur Frauen wünschen, und liefert seit Oktober bundesweit im Internet bestellte Lebensmittel an alle Couch-potatoes, dass das Hüftgold schwabbelt. Klasse, diese New Economy, was die alles auf den Weg bringt! Denkste: Die Old Economy zuckt nur müde mit den Schultern. Denn wer online Milch bestellt, wird mit ihr sauer, weil die Auslieferung tagelang dauert. Bevor sich erste Hungerödeme oder Dehydrierungseffekte zeigen, geht´s dann doch lieber in den ganz realen Super- und Getränkemarkt.

Microsoft erzielt im Kartellrechtsstreit gegen das US-Justizministerium und dessen brillanten Vertreter David Boies im Oktober einen ersten Erfolg: Das oberste US-Gericht, der Supreme Court, wird sich der Angelegenheit nicht annehmen. Microsoft darf also mit seiner Catennacio-Strategie vor einem Berufungsgericht im Staat Columbia weiter auf Zeit spielen. Kommt Ihnen der Name David Boies irgendwie bekannt vor? Genau, das ist der, der später als Klagevertreter von Al Gore weitere Berühmtheit in einem Rechtshändel mit einem texanischen Kosmopoliten um eine Handvoll Stimmen erlangen wird und sich damit wohl für immer als der Mann für unendliche Klagegeschichten.

Eine kundenfreundliche Vorlage der EU-Kommission erhält das Plazet des Europäischen Parlaments. Danach sollen die Rechte der Verbraucher beim Kauf im Internet insofern gestärkt werden, als sie bei Streitigkeiten mit international agierenden Anbietern im eigenen Land Klage einreichen können. Die Vorlage muss allerdings noch vom EU-Ministerrat abgesegnet werden - dann kann sie in sechs Monaten in Kraft treten.

Über Intel und deren eingängige Prozessorankündigungsstrategie sprachen wir ja schon. Deshalb jetzt mal was von Sun Microsystems: Deren "Ultrasparc-III"-Chip war vor zweieinhalb Jahren zum ersten, aber beileibe nicht letzten Mal angekündigt worden und kommt tatsächlich im Oktober 2000 auf den Markt. Ed Zander, President und Chief Operating Officer (COO) bei Sun, wundert sich sehr über die unbotmäßigen Reaktionen, die sein Unternehmen wegen der Verzögerungen zu hören bekommt. Ja, man habe sich verspätet. Aber generell halte er den Zeitpunkt für die Markteinführung des vor Jahren angekündigten Chips sogar für eher verfrüht, bedeutet der Mann wirklich originell.

Dass Werbung Wirklichkeit schafft, finden zur Abwechslung einmal die Analysten der Meta Group heraus. Die fragen nämlich im Oktober, welches Unternehmen wohl am ehesten als Protagonist des E-Business zu bezeichnen sei. Sie glauben, das ist Amazon.com? Nur 3,3 Prozent der Befragten nennen den Online-Buchhändler. Wir sind der Dot in der Company, dichtet Sun Microsystems. Und was hat´s geholfen? Ebenfalls nur traurige 3,3 Prozent. Intershop? Oracle? Lachhaft. Keine fünf Prozent der Befragten sehen die im E-Business aktiv.

Wie wär´s mit Mainframern alter Prägung mit modisch-oberflächlichem E-Anstrich? IBM und SAP? Mit der Antwort wären Sie bei Günther Jauch Professor. In der Tat glaubt jeder Dritte, IBM stehe für E-Business, und immerhin 15,7 Prozent der Befragten versteigen sich bei der SAP zu dieser Meinung. Wobei die Meta-Group-Analysten für den guten Leumund des ERP-Anbieters nun wirklich eine originelle Erklärung finden: Sie sagen, das Walldorfer Softwarehaus sei in der Presse so oft als Nachzügler in Sachen Internet gebrandmarkt worden, dass jetzt wirklich jeder SAP und E-Business als zusammengehörige Begriffe kenne.

Und weil wir schon dabei sind, die großen Märchen der IT zu erzählen: Application Service Provider sind die Senkrechtstarter der IT-Szene. Wer das bezweifelt, sind die Hanseaten bei Mummert + Partner. Die stellen nämlich in einer Untersuchung fest, dass die Legende zwar schön, die Realität aber mindestens so falsch sei. Frühestens in einem Jahr könne sich das Mieten von Software über das Internet zu einer halbwegs ernst zu nehmenden Alternative zum Softwarekauf auswachsen.

Nass geht es dem CRM-Anbieter S3 AG aus Hamburg rein, immerhin in Deutschland einer der zehn Größten des CRM-Marktes. Das Unternehmen kämpft mit erheblichen Finanzierungslücken. 1998 war es aus der Fusion der DCS GmbH, Essen, mit der TIS GmbH im Düsseldorfer Vorort Hilden sowie der IVM GmbH aus Hamburg hervorgegangen. Wichtige Manager kehren dem Unternehmen den Rücken und gründen ein eigenes. Ein Gutes hat das Drama, das in einem Insolvenzverfahren mündet: Die von der Münchner Nemetschek AG als stiller Teilhaber mit 30-Prozent-Anteil gestützte S3 AG plante, an den Neuen Markt zu gehen. Und dessen Mitgliedern dürfte es beileibe lieber sein, dass sich Pleitekandidaten bereits vor dem Börsengang diskreditieren, anstatt dies mit der gesamten Börse zu tun.

Daimler-Chrysler, für Firmenchef Jürgen Schrempp zur Zeit kein guter Stern, tut etwas, das sich zum Trend auswachsen könnte: Für seine E-Business-Aktivitäten gründet der Autokonzern eine eigene Firma. In der DCX Net Holding GmbH werden alle Investitionen zusammengezogen, die helfen, die Schwaben mit US-Anhang Internet-fit zu machen.

In den USA beginnen für Informix die Aufräumarbeiten zur Behebung früherer Sünden: Der ehemalige Europa-Manager Walter Königseder muss sich wegen Betrugs, Falschaussage und unrechtmäßiger Aktiengeschäfte vor der US-Staatsanwaltschaft und der Börsenaufsicht Securities Exchange Commission (SEC) verantworten. Elf zivil- und strafrechtliche Klagen erwarten den ehemaligen deutschen Geschäftsführer, der als Vice President 1997 Informix, im Zusammenhang mit Bilanzfälschungen verließ. Mittlerweile arbeitet Königseder als Vice President Sales Worldwide bei der österreichischen Update.com Software AG in Wien.

Haben wir Ihnen eigentlich schon die PR-Aktivitäten der Firma Intel näher zu bringen versucht? Mit ihrer eigenwilligen Ankündigungsstrategie und Produktphilosophie? Also da gäbe es auch noch einen Schnack über Lotus, die IBM-Tochter, weltweiter Tabellenkalkulations-Marktführer v.M. (vor Microsoft). Die hatten nämlich im alten Jahrtausend, also 1999, ihre Knowledge-Management-Suite "Raven" einer verschworenen Fan-Gemeinde vorgestellt und noch für das alte Jahrtausend versprochen. Wie immer man die korrekte Zeitenrechnung auch ansetzt, es wird noch ein Weilchen dauern: Raven wird definitiv frühestens im 21. Jahrhundert auf den Plan treten.

Die France Télécom SA hat gemeinsam mit dem Münchner Elektronikspezialisten Ruetz Technologies und dem Branchenverband "Superior International Instuitute of Perfume, Cosmetics and Food Aromatics" (SIIPCA) ein Gerät entwickelt, mit dem Internet-Surfer Gerüche empfangen können. Auf Websites, welche die neue Technik unterstützen, soll sich eine Vielzahl von Aromen per Mausklick erzeugen lassen. Wie groß diese Zeitungsente ist, konnte nicht abschließend recherchiert werden.

Auch Ende Oktober ist nicht abzusehen, dass die Green-Card-Regelung doch noch ein Hit werden könnte. Mit 20.000 Fachkräften, die mit der Hauruck-Regelung der Bundesregierung aus dem Ausland geködert werden sollten, hatte man in Berlin im August noch gerechnet. Jetzt konstatiert Volker Jung, Chef des IuK-Dachverbands Bitkom und Vorstand bei Siemens, sogar ein "Abwanderungsproblem". Jährlich gingen rund 10.000 deutsche Fachkräfte vornehmlich an die USA verloren. Weitsichtiger als viele Berliner Politiker sieht der Industrieverband deshalb auch die Notwendigkeit für eine "aktive Einwanderungspolitik", um dem Fachkräftemangel hierzulande wirksam begegnen zu können.

Dass das Internet auch originell sein kann, beweist die Wahl der fünf Icann-Direktoren via Web: Die Verwaltungsorganisation für Internet-Domains muss den per digitalem Votum von 5948 Surfern ausgewählten Oberhacker der deutschen Szene, Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club, als Europa-Vertreter akzeptieren. Wie viel der durchaus von sich überzeugte Deutsche im Icann-Gremium bewirken kann, bleibt dahingestellt. 13 der insgesamt 18 Direktoren stammen aus den USA und gehören dort Unternehmen oder der US-Regierung an, ein weiterer Direktor für Nordamerika wird per digitaler Akklamation ernannt.

Das Landgericht Hamburg will online nicht, was offline gang und gäbe ist: Mengenrabatte gehören zum Geschäftsalltag im echten Leben. Trotzdem verbieten die hanseatischen Richter Letsbuyit.com das so genannte Co- oder Power-Shopping, weil dieses gegen das deutsche Rabattgesetz und das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb verstoßen würde. Bereits einen Tag vorher hatten auch Kölner Landgerichts-Richter der Metro-Tochter Primus Online verboten, mit virtuellen Käufergemeinschaften die Preise von Produkten zu drücken.

Im Sog negativer Technologiewerte muss jetzt auch der Branchenprimus Dell Computer erstmals Federn lassen. Nach Umsatzwarnungen für das dritte Quartal straft die Börse das texanische Unternehmen postwendend ab und lässt den Aktienkurs teilweise bis auf 18 Dollar absacken. Noch Tage zuvor pendelte der Kurs bei 35 Dollar. Allgemeine Nachfrageschwächen nach PCs hatten schon Intels Börsenwert bröckeln lassen.

Der Anwender des Jahres 2000 ist gekürt:

Jedes Jahr prämiert die COMPUTERWOCHE in Kooperation mit den Unternehmensberatern von Gartner die deutsche Firma, deren IT in möglichst vollkommener Symbiose mit den Geschäftszielen des gesamten Unternehmens lebt. Dieses Jahr ist die Konkurrenz ausgesprochen stark besetzt. Aus ursprünglich 79 Unternehmen werden 18 Kandidaten für die Zwischenauswahl herausgefiltert. Eine fünfköpfige Jury wählt hieraus die sechs Top-Kandidaten, die den Gewinner des Wettbewerbs unter sich ausmachen. Die Jury krönt schließlich gemeinsam mit der Redaktion Ralf Kalbhenns Team der Dresdner Bank in Frankfurt am Main mit ihrem Firmenfinanzportal zum "Anwender des Jahres 2000".

Die fünf weiteren IT-Finalisten sind der ADAC aus München mit seiner Telematikplattform "Plato", BMW mit einer E-Commerce-Anwendung für das B2B-Online-Ordering sowie die Bosch und

Siemens Hausgeräte GmbH mit dem Konzerninformationssystem für Vertrieb und Absatzwirtschaft "KIS-V&A". Die Gehe Informatik Services GmbH aus Stuttgart dringt mit dem Customer-Relationship-Management-Projekt "Win" ebenso wie die TUI Interactive GmbH aus der Expo-Stadt Hannover mit der E-Commerce-Lösung für eine Online-Tourismus-Vertriebs- und Informationsplattform in den engsten Kreis der IT-Überflieger vor.

Nach der Vax- geht noch eine Ära langsam zu Ende: Die Fujitsu-Tochter Amdahl verabschiedet sich vom Mainframe. Bereits im März hatte die Hitachi Data Systems einen ähnlichen Schritt vollzogen, als sie ankündigte, nur noch für bestehende Kundschaft Produkte anbieten zu wollen, aber keine Investitionen mehr für das "nicht rentable Neukundengeschäft" bereitstellen zu wollen. Amdahl argumentiert Ende Oktober, es rechne sich nicht mehr, ein Konkurrenzprodukt zu IBMs neuen, 64-Bit-basierenden "Z-Serie"-Großrechnern zu entwickeln. Das Mainframe-Geschäft habe sich mittlerweile zum Nischenmarkt entwickelt. Künftig wolle sich Amdahl auf das Hochleistungs-Unix-Server-Segment konzentrieren. In diesem hat das Unternehmen als Wiederverkäufer von Sun-Enterprise-Servern ja schon einige Erfahrung gesammelt. Und Big Blue hat den Großrechner-Markt jetzt praktisch für sich allein.

Und schon wieder mal kommt die Sprache auf Intel als Großmeister der Produktankündigung. Weil das Unternehmen bekanntlich unangefochtener Marktführer in Sachen Prozessoren ist, verspricht sich die Konkurrenz wohl etwas davon, dem Beispiel der Kalifornier nachzueifern: So hatte Transmeta, der viel beachtete Newcomer in der Chip-Szene, eine "Crusoe-3200"-CPU vorgestellt, die insbesondere bei Notebooks, in Webpads und ähnlichen Kleinrechnern die Branche umpflügen sollte. Nun, wir wollen nicht lange drumrum reden: Dieser Crusoe-Chip erlebt seine Geburt gar nicht erst. Designfehler lassen seinen ursprünglich geplanten Einsatz nicht sinnvoll erscheinen. Das hatten wir ja schon bei Intels "Timna"-Chip erlebt. Was lernt Transmeta aus der Pleite? Nicht jedes Geschäftsmodell ist erfolgreich!

Ziemlich erfolgreich ist Apple, seit der 1985 per Rausschmiss abhanden gekommene Sohn Steve Jobs vor drei Jahren wieder das Ruder bei dem ins Schleudern geratenen Unternehmen übernahm. Nach dem Motto "Design = Success" beglücken die schon immer etwas teureren Kalifornier ihre Kundschaft seitdem mit Gerätschaft, an deren Anblick sich PC-Benutzer zur Abwechslung kaum satt sehen können. Doch im Herbst 2000 rächt sich das Nobelmarkenimage mit Umsatzeinbrüchen und enttäuschenden Gewinnen. Für das Jahresende kündigt Jobs vorbeugend gar Verluste an.

Da sage noch einer, Italiener könnten nicht preußisch effizient und kurz sein: Auf der Apenninenhalbinsel dauert die Versteigerung von fünf UTMS-Lizenzen unter sechs Bietern gerade zwei Tage und spült enttäuschende 23,55 Milliarden Mark in die Kassen des italienischen Staats. "Schuld" ist indirekt die British Telecom. Die beteiligte sich mit 20 Prozent an dem Mobilfunk-Konsortium Blue, dem unter anderem noch Benetton und ENI angehörten. Einer Aufforderung der italienischen Parteien an BT, seinen Anteil an Blue auf 31 Prozent zu erhöhen, wollen die Briten nicht nachkommen. Daraufhin steigt das Konsortium aus der Versteigerung aus, und die verbleibenden fünf Wettbewerber bedanken sich artig.

Das elektronische Buch ist auch eine der guten Ideen aus unserer Branche, die keiner so recht haben will. Auf der Frankfurter Buchmesse zeigt sich, dass Geistesfreuden einen zwar sehr wohl von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt tragen, wie Wagner es im "Faust I" mit Emphase deklamiert. Ob nervtötendes Scrollen von Page zu Page, von Link zu Link ebensolche emotionalen Vorteile bietet, ist hingegen noch nicht gesichert. Umständlich scheint bei einigen der elektronischen Lesehilfen zudem der Ladevorgang: Die literarische Vorlage muss nämlich aus dem Internet zunächst in den PC und von dort aus erst auf das digitale Buchmedium übertragen werden. Auch der Preis für die E-Books ist dem Medium nicht eben förderlich: Von rund 250 bis zu deftigen 700 Dollar kosten die Abspielgeräte. Dafür steht einem dann eine verschwindend kleine Auswahl von bislang nur 500 Büchern deutscher Verlage zur Auswahl. Aber Potenzial hat die Idee.

Große Kasse schienen clevere Unternehmen auch mit dem Geistesblitz machen zu können, Surfern zum Fixpreis den unbegrenzten Zugang zum Internet anzubieten, ohne den Web-Nutzern weitere Verbindungsgebühren abzuverlangen. Doch diese so genannte Flatrate gerät für viele Anbieter zum wirtschaftlichen Harakiri: Surf1, Sonne, Erotik-Flatrate, Cisma, NGI und andere verrechnen sich ordentlich mit ihrem Geschäftsmodell, Kunden für einen Pauschaltarif von insgesamt 79 Mark pro Monat permanenten Zugang zum WWW zu verschaffen. Da sie alle die Infrastruktur der Telekom nutzen und dafür an Ron Sommer eine zeitabhängige Verbindungsgebühr entrichten müssen, schreiben Flatrate-Anbinder bereits rote Zahlen, wenn ihre Kunden täglich mehr als drei Stunden surfen. Eine Leserumfrage von "Tecchannel" zeigt aber, dass 40 Prozent der Surfer jeden Tag mehr als fünf Stunden online sind. Auch hier hätte eine halbwegs seriöse Marktanalyse so manche Pleite verhindert.

Schöne Aussichten für kleine und mittelständische Unternehmen prognostizieren die Berater von Gartner in einer Studie: Danach wird in den kommenden Jahren mehr als die Hälfte aller Unternehmen, die sich selbst um die Sicherheit ihrer IT bekümmern, Ziel von Hackerattacken werden.

Vergleichsweise großzügig zeigt sich die US-Regierung, die von Toshiba nur 33,5 Millionen Dollar Schadenersatz dafür gezahlt haben will, dass rund 60.000 ihrer Mobilcomputer für die öffentliche Hand mit fehlerhaft arbeitenden Floppy-Controllern angeliefert wurden. Wegen des tückischen Fehlers wurden Daten sehr nachhaltig von Festplatten gelöscht. Nähere Details gibt die Regierung nicht bekannt, weil man nicht alle Munition verschießen wolle in Auseinandersetzungen mit Compaq, Hewlett-Packard sowie Packard-Bell NEC, bei deren Notebooks ein ähnlicher Fehler auftritt. In gleicher Sache und per Sammelklage war Toshiba bereits 1999 zu einem Schadensersatz von immerhin 2,1 Milliarden Dollar verdonnert worden. Seinerzeit wurden aber "lediglich" 597,5 Millionen Dollar ausbezahlt.