Rueckbesinnung auf Zeiten des Wilhelm Conrad Roentgen Bangemann-Vize Joerg Wenzel zu Europas Weg in die Informationsgesellschaft

11.11.1994

Weissbuch zu Wachstum und Beschaeftigung, Weissbuch zum Netzmonopol, Bangemann-Bericht, Aktionsplan zum Bau der neuen Informationsgesellschaft - die Bruesseler EU-Kommission entpuppt sich mehr und mehr als Motor einer Entwicklung, an deren Ende ein im Zeitalter globaler Maerkte und Kommunikation noch wettbewerbsfaehiges Europa stehen soll. Dabei ist viel von einer notwendigen Veraenderung der Rahmenbedingungen die Rede, vor allem im Bereich der Telecom-Maerkte. So wird Ende naechster Woche der EU- Ministerrat neben dem fuer 1998 vorgesehenen Ende des Telefondienstmonopols voraussichtlich auch die zeitgleiche Abschaffung des Netzmonopols beschliessen. Mit Joerg Wenzel, Kabinettschef des fuer Telekommunikation, Industrie und Technologien zustaendigen EU-Kommissars Martin Bangemann, sprachen die CW-Redakteure Peter Gruber und Gerhard Holzwart.

CW: Warum legt sich die EU-Kommission, von der formalen Zustaendigkeit des Herrn Bangemann einmal abgesehen, in Sachen Informationsgesellschaft ueberhaupt so ins Zeug? Hat die grosse Politik das Thema bisher verschlafen?

Wenzel: Nein. Wir muessen uns aber mehr denn je mit der Frage beschaeftigen, wie es mit der Wettbewerbsfaehigkeit der europaeischen Industrie aussieht. Hierzu gab es in den vergangenen Jahren seitens der Kommission verschiedene Initiativen. Bruessel hat sich ja - wie wir meinen, zu Unrecht - in vielen Koepfen als Synonym fuer Buerokratie, Reglementierung und Zentralisierung festgesetzt. Da ist eine Reihe von Missverstaendnissen und Fehleinschaetzungen vorhanden - und wir sind bemueht, dies auf allen Ebenen zu korrigieren. Bruessel will sich aber auch, dies gebe ich gerne zu, an die Spitze von Entwicklungen setzen, wenn es darum geht, der europaeischen Industrie Zukunftschancen zu sichern.

CW: Fehleinschaetzungen gab es offensichtlich aber nicht nur, was das Image der EU-Buerokratie angeht, sondern auch im Bereich dessen, was man mit dem Begriff Industriepolitik umschreiben koennte.

Wenzel: Da stimme ich Ihnen zu. Europa hat sich nicht in einem ausreichenden Tempo und mit der noetigen Konsequenz mit dem unabdingbaren Strukturwandel auseinandergesetzt. Man verschleudert, um es vorsichtig zu formulieren, immer noch Milliardenbetraege fuer die Konservierung veralteter Industrien. Und natuerlich hat es in der Vergangenheit auch zuviel Protektionismus gegeben; bestimmte Mitgliedslaender haben zu lange auf die Abschottung ihrer nationalen Maerkte gesetzt. Abbau von Subventionen, Buerokratien und Monopolen muss also die Devise lauten - vor allem im Hinblick auf den Weg zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft.

CW: Das war jetzt aber zu sehr das Hohelied eines FDP-Politikers auf

den Subventionsabbau. Wir haetten es schon gerne etwas konkreter. Worin soll sich denn der europaeische Konsens bei der Forcierung von

Zukunftstechnologien manifestieren, wenn man andererseits immer noch ueber Milchquoten streitet?

Wenzel: Ihr Einwand ist insofern berechtigt, als der Wandel zumindest in der Vergangenheit sehr viel Streit verursacht haette. Der alte Glaubenskrieg zwischen den Verfechtern der reinen Marktwirtschaft und den Befuerwortern von Protektionismus und staatlichen Interventionen ist aber seit dem Bangemann-Papier zur Industriepolitik vom Dezember 1990 deutlich entschaerft worden. Man konnte sich jedenfalls nach dieser Initiative auf einen horizontalen Ansatz in Sachen Industrie- und Forschungspolitik verstaendigen. Mit anderen Worten: Es soll nicht mehr so viel in einzelne Industriesektoren, sondern in eine generelle Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen investiert werden.

CW: Das klingt sehr vielversprechend, aendert aber nichts daran, dass die Vereinigten Staaten und Japan nach wie vor deutlich mehr Mittel fuer Forschung und Entwicklung aufwenden als Europa.

Wenzel: Um so mehr bedarf es einer Reform der F&E-Politik auf dem Alten Kontinent - und zwar in qualitativer wie quantitativer Hinsicht. Quantitativ, weil wir in der Tat im Vergleich zu Nordamerika und Japan im Rueckstand sind. Mehr als drei Prozent des Bruttosozialproduktes stehen hier knapp zwei Prozent gegenueber. Qualitativ, da sich die Europaeer bisher zu sehr auf die Grundlagenforschung und spektakulaere Einzelprojekte konzentriert haben. Was wir benoetigen, sind sogenannte generische Technologien mit einem Spin-over-Effekt fuer moeglichst viele Branchen - sei es die Lasertechnik, neue Werkstoffe oder Multimedia. Auf den Punkt gebracht bedeutet dies: Wir muessen anwendungsorientierter werden, dabei aber horizontal ausgerichtet bleiben sowie die Fristen zwischen der Antragstellung und dem Fluss der Foerdermittel verkuerzen. Gerade letzteres liegt uns bei der Kommission sehr am Herzen, denn wenn, um es an einem plakativen Beispiel deutlich zu machen, Wilhelm Conrad Roentgen heute sein Patent einreichen wuerde, waere fuer ihn wahrscheinlich schon im Antragsverfahren Endstation.

CW: Wann und wie soll denn dieses schoene Gemaelde, das Sie eben skizziert haben, Realitaet werden?

Wenzel: Dies ist bereits weitgehend konkretisiert worden. Nehmen Sie nur das im Fruehjahr verabschiedete vierte F&E-Rahmenprogramm der EU mit einer Groessenordnung von rund 22 Milliarden Mark, wo in spezifischen Programmen - natuerlich auch im Bereich Kommunikationstechnik - Anreize fuer Unternehmen und Forschungseinrichtungen geschaffen wurden. Dies gilt im besonderen Masse fuer die Foerderung von Projekten, die den Weg in die Informationsgesellschaft ebnen.

CW: Und ueber jeden, der da mit mehr oder weniger ausgegorenen Plaenen daherkommt, schuetten Sie dann den grossen Geldsack aus, oder wie hat man sich das vorzustellen?

Wenzel: Nein, so kann es natuerlich nicht funktionieren. Es wird binnen kurzer Zeit eine Art Clearing-Stelle geben, nennen Sie es Projekt-Office oder Kontaktbuero, ueber die genaue Bezeichnung sind wir uns noch nicht einig. Entscheidend ist, dass es mit dieser Anlaufstelle gelingt, bisherige Informationsdefizite im Hinblick auf moegliche Partnerschaften zu beseitigen, und dass deutlich wird, dass hier Ideen und Projekte nicht nur verwaltet, sondern aktiv unterstuetzt werden. Bruessel wird also in Zukunft, wenn Sie so wollen, verstaerkt bemueht sein, eine Katalysatorfunktion wahrzunehmen - durch die Hilfestellung bei der Anbahnung und Koordinierung von Industriepartnerschaften sowie durch die Einleitung neuer Initiativen.

CW: Ist diese Clearing-Stelle in Wahrheit nicht nur ein Vehikel fuer weitere Planstellen in Bruessel, Strassburg und Luxemburg?

Wenzel: Ueberhaupt nicht. Dieses Projekt-Office wird direkt den Generaldirektionen III und XIII unterstellt sein - mit der klaren Intention, kuenftig fuer diese Belange eine einzige, nach aussen sichtbare Adresse zu haben. Wenn wir schon die neue Informationsgesellschaft predigen, benoetigen wir auch entsprechende Transparenz in der Forschungspolitik.

CW: Lassen Sie uns die von Bruessel so vehement geforderte neue Informationsgesellschaft etwas naeher beleuchten. In dem von Ihnen mitformulierten Aktionsplan "Europas Weg in die Informationsgesellschaft" heisst es sinngemaess, beim Bau transeuropaeischer Netze beduerfe es keiner zusaetzlichen F&E-Mittel. Bedeutet dies, dass die europaeische Netzinfrastruktur fuer zukuenftige Multimedia-Anwendungen schon geruestet ist?

Wenzel: Dies muss man schon etwas anders interpretieren. Wir sind der Auffassung, dass der weitere Netzausbau primaer Sache der Privatwirtschaft ist, insofern stehen wir zu der von Ihnen wiedergegebenen Aussage. Natuerlich ist andererseits das eine oder andere fuer eine Foerderung geeignete Netzprojekt nicht wegzudiskutieren, und dafuer wird es auch in Zukunft Geld geben, denken Sie nur an den europaweiten ATM-Feldversuch. Wir verfuegen allerdings in Europa, darauf kann man nicht oft genug hinweisen, ueber eine vorzuegliche Netzinfrastruktur.

CW: Wie hoch ist eigentlich der Anteil der Kommunikations- und Informationstechnik an den im vierten F&E-Rahmenplan insgesamt zur Verfuegung stehenden 22 Milliarden Mark?

Wenzel: Rund 6,8 Milliarden Mark. Diese Summe bezieht sich auf die gesamte Kommunikations- und Informationstechnik sowie auf den Bereich der neuen Telematikdienste.

CW: Reicht dies aus, um mit Hilfe von Projektfoerderung die Industrie zu koedern?

Es gibt ja nicht wenige, die von Ihrem Szenario einer so gut wie alle Lasten tragenden Privatwirtschaft nicht ueberzeugt sind - frei nach dem Motto: Bruessel schaut auf die Industrie, die Industrie auf lukrative Maerkte und beide zusammen auf den Steuerzahler, der zunaechst das finanzielle Risiko beim Abenteuer Multimedia traegt.

Wenzel: Wir sind, ich kann es nur wiederholen, der Meinung, dass der Bau der kuenftigen Informationsgesellschaft in wesentlichen Punkten Aufgabe der Privatwirtschaft ist, und die Arbeiten in der sogenannten Bangemann-Gruppe haben uns darin bestaerkt. Alle dort vertretenen namhaften Repraesentanten aus Industrie und Wirtschaft haben versichert, dass man in der Lage sei, diese enormen Investitionen und Anstrengungen auf sich zu nehmen - wenn die Politik fuer die entsprechenden Rahmenbedingungen sorgt. Der Bau der neuen Informationsgesellschaft wird dreistellige Milliardenbetraege verschlingen; die knapp sieben Milliarden Mark an Foerdermitteln, von denen vorhin die Rede war, sind bei diesem Unterfangen lediglich ein willkommener Flankenschutz.

CW: Auf die Rahmenbedingungen kommen wir gleich zu sprechen. Vorher haetten wir aber noch gerne gewusst, woher eigentlich die ueberall so gerne und so oft zitierten EU-Schaetzungen stammen, nach denen die Telekommunikation bereits im Jahr 2000 mehr als sechs Prozent zum gesamteuropaeischen Bruttosozialprodukt beitragen wird.

Wenzel: Wenn Sie mich persoenlich fragen, waere ich vorsichtig mit Prognosen dieser Art. Fest steht sicherlich, dass die Telekommunikation in Zukunft der am schnellsten wachsende Wirtschaftsbereich sein wird - mit Steigerungsraten von vier bis fuenf Prozent jaehrlich. Dies aber gleichzeitig, wie manche Zeitgenossen es tun, mit einer wesentlichen Zunahme der Beschaeftigtenzahl zu verknuepfen, halte ich fuer verfrueht; wahrscheinlich werden wir zunaechst sogar einen Abbau von Arbeitsplaetzen hinnehmen muessen.

Wenn aber die neuen Massenmaerkte, die wir uns alle erhoffen, entstehen, werden von der Informationsgesellschaft auch in dieser Frage die gewuenschten Impulse ausgehen.

CW: Fragt sich nur, ob in Europa oder in Nordamerika.

Wenzel: Wir haben es hier, wenn Sie nur an die Clinton-Gore- Initiative zum Information-Highway denken, in der Tat nicht mehr mit einer japanischen, sondern mit einer amerikanischen Herausforderung zu tun. Die europaeischen Ingenieure sind gut, benoetigen aber fuer ihre Entwicklungen zuviel Zeit. Wir muessen, wie ich es vorhin schon angedeutet habe, die Zeitspanne von der Patenteinreichung bis zur Produktauslieferung deutlich verkuerzen. Neben diesem schon fast alten Problem gilt es aber, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Wir haben zu hohe Kosten - vor allem auch, was die Telecom-Gebuehren angeht. Bei zehnmal so teuren Mietleitungstarifen wie in den USA koennen Sie sich auf Dauer jeden Gedanken an Wettbewerbsfaehigkeit abschminken.

CW: Damit waeren wir beim Ende des Telefondienstmonopols und auch des Netzinfrastrukturmonopols, das nach den Vorstellungen der EU- Kommis-

sion ebenfalls 1998 eintreten soll. Macht sich Bruessel hier nicht, wie man in Bonner Telekom-Kreisen hinter vorgehaltener Hand aeussert, zum Helfershelfer US-amerikanischer Unternehmen wie AT&T?

Wenzel: Ich bin mir nicht sicher, ob man im Stab von Helmut Ricke wirklich noch so kurzsichtig denkt und plant. Jedenfalls weisen die juengsten Signale aus Deutschland - und zwar nicht nur aus dem Postministerium - in eine andere Richtung.

CW: Der Telekom-Chef spricht in diesem Zusammenhang ebenfalls von notwendigen Rahmenbedingungen. Fragt sich nur, ob er die gleichen meint wie etwa Herr Bangemann.

Wenzel: Herr Ricke hat zumindest insofern recht, dass man nicht einfach sagen kann, ab morgen herrscht Wettbewerb und damit basta. Dazu gehoert sicherlich ein wenig mehr - zum Beispiel eine klare Regelung fuer Lizenzvergaben, und dazu haben wir einige Vorschlaege in der Pipeline. Es besteht aber zumindest in Deutschland, Frankreich und den noerdlichen EU-Mitgliedsstaaten ein Konsens ueber das Ausmass und das Timing der Oeffnung der EU-Telecom-Maerkte.

CW: Bedeutet dies letztlich auch bei der Telekommunikation ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten"?

Wenzel: Wir sind immer noch guten Mutes, was eine gemeinsame Loesung betrifft. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben wir den ersten Teil unseres Gruenbuches zur Liberalisierung der Netzinfrastruktur schon jetzt vorgelegt, damit der Ministerrat am 17. November einen definitiven Zeitplan samt entsprechender Vorgehensweise beschliessen kann. Dies wird sicherlich nicht einfach, und man wird vor allem gespannt sein muessen, wie sich etwa Spanien verhaelt, das auch bei der Abschaffung des Telefondienstmonopols zunaechst einen Sonderweg beansprucht hatte, nun aber die Bereitschaft zum Mittragen gemeinsamer Beschluesse signalisiert.

CW: Was steht denn in besagtem Gruenbuch zum Netzmonopol ueberhaupt drin?

Wenzel: In dem jetzt veroeffentlichten ersten Teil geht es um die politische Festlegung auf den Wegfall aller Netzinfrastrukturmonopole zum 1. Januar 1998. Im zweiten Teil des Gruenbuches, den wir Ende Dezember vorlegen, werden die entsprechend notwendigen Rahmenbedingungen detailliert behandelt.

CW: Was passiert, wenn sich der Ministerrat am 17. November doch nicht auf einen gemeinsamen Fahrplan in Sachen Abschaffung der Netzmonopole einigen kann?

Wenzel: Dann muss unter Umstaenden die deutsche Drohung eines Alleinganges Realitaet werden, und man wird sehen, welche Laender sich dem anschliessen. Grossbritannien hat ja bekanntlich mit der vorzeitigen Oeffnung seines Telecom-Marktes den Weg gewiesen und sich dadurch einen moeglichen Wettbewerbsvorteil verschafft.

CW: Die Aeusserungen von Wolfgang Boetsch waren fuer Sie also mehr als nur Wahlkampfgetoese eines Ministers auf Abruf?

Wenzel: Es geht hier nicht um einzelne Personen und auch nicht um den derzeitigen oder kuenftigen deutschen Postminister, sondern um die Einsicht in Notwendigkeiten - und die ist in Deutschland mittlerweile doch recht ausgepraegt. Die FDP wird jedenfalls dafuer Sorge tragen, dass die weitere Liberalisierung des deutschen Telecom-Marktes essentieller Bestandteil des Programmes der neuen Bundesregierung sein wird.

CW: Dass sich die EU-Kommission den Wettbewerb auf ihre Fahnen geschrieben hat, ist mittlerweile hinlaenglich bekannt. Andererseits will man in Bruessel, so pfeifen es zumindest die Spatzen von den Daechern, der Telekom Steine in den Weg legen, wenn es um das Joint-venture "Atlas" beziehungsweise dessen internationale Konkurrenzfaehigkeit geht. Da passt doch, wie nicht wenige Zeitgenossen meinen, einiges nicht zusammen.

Wenzel: Hier muss ich den fuer Wettbewerbsfragen zustaendigen Kollegen Karel van Miert schon ein bisschen in Schutz nehmen. Dieser ist ganz einfach von Amts wegen verpflichtet, die Zusammenarbeit zwischen Telekom, France Telecom und Sprint im Hinblick auf eine unzulaessige Einschraenkung des Wettbewerbs zu pruefen.

Ich kann, was besagten Fall betrifft, im uebrigen nicht erkennen, dass es hier zu Auflagen groesserer Natur oder gar zu einem Veto kommen wird. Wir sind doch in Bruessel nicht so blauaeugig, einerseits die europaeischen Telecom-Maerkte zu oeffnen und andererseits die Entstehung starker, global ausgerichteter europaeischer Carrier und Diensteanbieter zu verhindern.

CW: Dann waere aber eine europaeische Regulierungsbehoerde nach dem Vorbild der britischen Oftel oder der FCC in Washington unabdingbar.

Wenzel: Nicht sofort, mittelfristig aber ja, weil es ohne europaeische Schiedsrichterinstanz nicht gehen wird.

CW: Wenn sich kuenftig, um auf das neue Projekt-Office zurueckzukommen, alle Ideenschmieden und innovativen Mittelstaendler Europas auf den Weg nach Bruessel machen sollen, Sie gleichzeitig von einer europaeischen Kartell- beziehungsweise Regulierungsbehoerde traeumen, bleibt fuer die zustaendigen nationalen Minister nicht mehr viel zu tun. Viel Freunde werden Sie sich in Bonn, Paris und London damit aber nicht machen.

Wenzel: Schiedsrichter zu sein bedeutet nicht, alle Dinge im Detail regeln zu muessen. Uns kommt es mehr denn je auf entsprechende Synergieeffekte an; nationale Aktivitaeten muessen mit europaeischen Initiativen verzahnt werden und umgekehrt. Kooperationen dieser Art funktionieren, was beispielsweise den deutschen Forschungsminister angeht, hervorragend.

CW: Ihr Kollege Karel van Miert muss derzeit nicht nur das Joint- venture "Atlas", sondern auch die von der Telekom, Bertelsmann und der Kirch-Gruppe gegruendete Media Service GmbH pruefen, und da geht es fuer viele Experten ans Eingemachte in Sachen Information- Highway. Will man in Bruessel wirklich den Buerger vor der Glotze mit 500 Fernsehkanaelen, und will man, dass die Welt kuenftig von den Murdochs, Kirchs und Berlusconis regiert wird?

Wenzel: Jetzt uebertreiben Sie gewaltig, aber das gehoert wohl zu Ihrem Handwerk. Natuerlich sehen wir in Bruessel diese Gefahren, und wir machen uns dazu auch intensiv Gedanken. Datenschutz, Informationsvielfalt, freier Informationszugang etc. muessen auch in Zukunft gewaehrleistet sein. Bedenkentraegerei hilft uns hier jedoch nicht weiter, denn die Chancen und Moeglichkeiten der neuen Informationsgesellschaft ueberwiegen bei weitem.

"Man kann nicht einfach sagen, ab morgen herrscht Wettbewerb und damit basta."

"Wenn Wilhelm Conrad Roentgen heute sein Patent einreichen wuerde, waere fuer ihn wahrscheinlich schon im Antragsverfahren Endstation."

Media Service GmbH

Das im Fruehjahr dieses Jahres von der Telekom, der Bertelsmann AG und der Kirch-Gruppe gegruendete Joint-venture-Unternehmen sorgt weit vor der Aufnahme des operativen Betriebs fuer Schlagzeilen. Zielgruppe der neuen Multimedia-Firma sind die kuenftigen Konsumenten eines interaktiven, digitalen Fernsehens, vor allem im Hinblick auf gebuehrenpflichtige Spartenkanaele. Die Media Service GmbH soll fuer den Empfang solcher Programme zunaechst eine einheitliche, bedienungsfreundliche Set-Top-Box entwickeln, diese anschliessend vertreiben sowie fuer das Gebuehreninkasso zustaendig sein. Die europaeischen Kartellwaechter in Bruessel wollen, wie diese Woche bekannt wurde, gegen die Multimedia-Plaene der Telekom ihr Veto einlegen. Mit rund 14 Millionen Teilnehmern verfuegt das Bonner Postunternehmen ueber das groesste Kabelnetz der Welt; Verfechter eines freien Wettbewerbs sprechen von der Gefahr eines neuen deutschen, wenn nicht europaeischen Monopolisten bei kuenftigen Multimedia-Diensten wie Teleshopping und Video on demand. Insider in Bonn und Bruessel rechnen daher mit einem Veto der EU-Kommission oder zumindest mit strengen Auflagen.

Netzmonopol

Der 1. Januar 1998 ist das magische Datum fuer die europaeische und insbesondere die deutsche Telecom-Branche. Wenn nun voraussichtlich nach dem bereits beschlossenen Ende des Telefondienstmonopols auch das Netzmonopol faellt, stehen Veba, RWE, Deutsche Bank und vielleicht auch British Telecom und AT&T Gewehr bei Fuss, um der deutschen Telekom in ihrem Heimatmarkt Konkurrenz bei Sprach- und Datendiensten zu machen. Beim sogenannten Netzinfrastrukturmonopol geht es im uebrigen ausschliesslich um das Recht, eigene Netze fuer die Bereitstellung und den Betrieb von Telecom-Diensten zu errichten. Die Moeglichkeit, in Deutschland vom Noch-Monopolisten Telekom entsprechende Leitungen zu beziehen und an Dritte weiterzuvermieten, besteht seit der Postreform I von 1989. Experten wie der Muenchner Professor fuer Betriebswirtschaft und Organisation Eberhard Witte zweifeln allerdings in Sachen Infrastruktur an der Zustaendigkeit der EU, weil diese nach den Roemischen Vertraegen nur fuer den freien Handel von Guetern und Dienstleistungen verantwortlich zeichnet.