Britisches Militär visiert fehlerfreie Chips und Software an:

RSRE setzt mit Viper-Projekt neue Maßstäbe

18.04.1986

Für den Einsatz im militärischen Bereich sind herkömmliche Chips ungeeignet. In Großbritannien diskutieren deshalb zur Zeit Halbleiter-Hersteller und Militärfachleute über die Entwicklung eines neuen 32-Bit-Prozessor-Chips, der nicht nur von geringerer Komplexität als üblich, sondern auch fehlerfrei sein soll.

Angeregt wurde das Projekt von dem "Royal Signals and Radar Establishment" (RSRE) in Malvern. In den vergangenen Jahren, so RSRE-Fachmann John Cullyer, habe sich mehr und mehr herausgestellt, daß Mikroprozessoren aus dem kommerziellen Bereich nicht sicher genug für die Belange der Landesverteidigung sind. Zwar erfüllten sie ihren Zweck in 99 von 100 Fällen zur allgemeinen Zufriedenheit, doch die verbleibenden ein Prozent seien einfach zu kritische Anwendungen, als daß "Hoffen, Glauben und Beten allein ausreichten". Hier müsse sichergestellt sein, daß die Chips zuverlässig - und nicht nur lässig - arbeiten.

Die Skepsis, die die RSRE-Mannen den heute üblichen, kommerziell erhältlichen Chips entgegenbringen, ist nicht unbegründet. Denn unter anderem wollen die Briten die Silizium-Produkte auch für die Entdeckung und Identifizierung anfliegender fremder Flugkörper einsetzen. Gerade in diesem speziellen Fall aber hatten schon die Amerikaner einige Schwierigkeiten: Vor fünf Jahren schlug das US-Frühwarnsystem NORAD einen geradezu klassischen Fehlalarm: Es signalisierte fremde Raketen im Anflug. In Wirklichkeit jedoch hatte "nur" ein fehlerhafter Chip für Verwirrung und Aufregung gesorgt.

Zu denken gibt den Briten auch der Ärger, den das amerikanische Verteidigungsministerium mit Halbleiter-Herstellern wie Texas Instruments und anderen hatte. Dabei ging es bekanntlich um die Frage, ob die Qualität der gelieferten Chips den Normen der amerikanischen Militärs entsprach oder nicht.

Doch nicht nur das einwandfreie Funktionieren beschäftigt die RSRE-Fachleute, sondern auch die technisch-funktionelle Spezifikation der Mikroprozessoren. Kritisiert John Cullyer: "Kommerzielle Chips sind so komplex und regellos konzipiert, daß man für eine formelle, mathematisch korrekte Beschreibung ihrer Arbeitsweise zuviele einzelne Seiten voller Algebra benötigte." Dabei verlöre man schlichtweg den Überblick. Auch sei es unmöglich, den Chips einwandfreien Entwurf und einwandfreies Arbeiten in jeder Situation zu bescheinigen.

Abhilfe schaffen soll nun ein neuer 32-Bit-Prozessor-Chip mit der Bezeichnung "Viper". Derzeit verhandeln RSRE-Spezialisten mit britischen Halbleiter-Herstellern über die Eigenschaften der Viper-Chips. Geplant ist, das Siliziumprodukt auf eine Weise zu konstruieren, daß sich mit mathematischen Verfahren nachweisen läßt: Der Entwurf ist korrekt. Auch sollen die Viper-Chips nur etwa "ein Fünftel der Komplexität" aufweisen, die heutige 32-Bit-Mikroprozessoren kennzeichnen.

Neben den betont schlichten Viper-Chips arbeiten die Forscher in Malvern ferner an einer passenden Programmiersprache mit Namen "NewSpeak". Diese Sprache soll gewährleisten, daß keine Programme mehr den Compiler passieren, die Fehler beinhalten. Dazu gehören auch Schwachstellen, die auf "unzureichende Genauigkeit" oder programmierten Algorithmen oder sogar auf unzureichende Ausführungsgeschwindigkeit der Software zurückzuführen sind.

Angesichts dieser ehrgeizigen Ziele darf man gespannt sein, wie das neue Produkt der Briten vorankommt. Erste Prototypen der Viper-Chips sollen schon im nächsten Jahr geliefert werden. Cullyer hofft ferner, daß die Industrie 1989 von in die Produktion einsteigen wird. Geplant ist nämlich auch, die neuen Chips sowie die Programmiersprache "NewSpeak" nicht nur im militärischen Bereich, sondern auch auf kritischen Gebieten der zivilen Automatisierung einzusetzen. Gemeint sind dabei die industrielle Prozeßsteuerung, die Automatisierung von Maschinen sowie die immer weiter voranschreitende Computerisierung von Fahrzeugen aller Art.