Sahra Wagenknecht im Interview

"Roboter und KI könnten uns von Mühsal und Stress befreien"

20.09.2016
Von 
Jan-Bernd Meyer betreute als leitender Redakteur Sonderpublikationen und -projekte der COMPUTERWOCHE. Auch für die im Auftrag der Deutschen Messe AG publizierten "CeBIT News" war Meyer zuständig. Inhaltlich betreute er darüber hinaus Hardware- und Green-IT- bzw. Nachhaltigkeitsthemen sowie alles was mit politischen Hintergründen in der ITK-Szene zu tun hat.

"Menschliche Intelligenz wird unterschätzt"

Nach den Analysten von der Bank of America Merrill Lynch wird eine "Robotik-Revolution" die globale Ökonomie in den nächsten 20 Jahren verändern. Die Kosten, zu denen heute Produkte und Dienstleistungen angeboten werden, ließen sich deutlich reduzieren. Gleichzeitig aber würden soziale Ungleichheiten verstärkt. Demach werden Maschinen Tätigkeiten von der Altenpflege bis zum Umdrehen von Burgern in Fast-Food-Läden übernehmen. Die Durchdringung mit Robotern und künstlicher Intelligenz (KI) erfasse, so die Analysten, jeden Industriesektor. Was uns zur nächsten Frage führt und der Überlegung, hier nun könnte Sahra Wagenknecht KI- und Robotersysteme als Ausbund des bösen Kapitalismus brandmarken. Tut sie aber nicht.

Sahra Wagenknecht bezweifelt, das Menschen sich von Robotern pflegen lassen wollen. Allerdings gibt es auch Untersuchungen, die besagen, dass Menschen umso eher bereit sind, sich von Automaten bedienen zu lassen, je mehr diese Menschen ähneln.
Sahra Wagenknecht bezweifelt, das Menschen sich von Robotern pflegen lassen wollen. Allerdings gibt es auch Untersuchungen, die besagen, dass Menschen umso eher bereit sind, sich von Automaten bedienen zu lassen, je mehr diese Menschen ähneln.
Foto: Hiroshi Ishiguro Laboratories Advanced Telecommunications Research

Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein und was werden die Folgen sein?

Sahra Wagenknecht: Ich halte diese Analyse für übertrieben. Wer möchte denn von einem Roboter gepflegt werden? Es nervt ja schon, wenn man am Telefon genötigt wird, sein Anliegen einem Computerprogramm zu schildern statt einem echten Kundenberater. Die Komplexität der menschlichen Intelligenz wird von vielen deutlich unterschätzt.

Einen Burger umdrehen, Tomaten schneiden, Flecken vom Tisch wischen und eine Bestellung im letzten Moment ändern, wenn der Kunde doch lieber Senf statt Ketchup auf dem Burger will - damit ist jeder Roboter immer noch überfordert. Mal davon abgesehen, dass seine Konstruktion für diesen Zweck viel zu teuer wäre. Sicher werden wir in den nächsten Jahrzehnten enorme Veränderungen erleben. Selbst fahrende Autos, S-Bahnen und Busse werden viele Taxifahrer, Bus- und U-Bahnfahrer überflüssig machen.

Programmierte kleine Drohnen werden womöglich den Postzusteller ersetzen. Automatische Scanner im Supermarkt, die die Preise aufaddieren, werden einige Verkäuferinnen und Verkäufer überflüssig machen. Wenn die früheren Kassierer, Postzusteller, Taxi- und Busfahrer umgeschult werden und woanders einen guten Job finden, werden sie die alte Arbeit aber kaum vermissen.

Die Durchdringung mit Robotern und künstlicher Intelligenz könnte unser Leben von Mühsal und Stress befreien und uns Freiräume für interessantere Arbeiten eröffnen. Das Problem ist nur: Im Rahmen der heutigen ökonomischen Strukturen und Machtverhältnisse wird das kaum passieren. Denn solange nicht gutes Leben, sondern höchstmögliche Rendite der Maßstab unseres Wirtschaftens ist, führt die Ersetzung von Arbeit durch Kapital dazu, dass soziale Existenzen zerstört werden und sich noch mehr Macht und Reichtum bei den Kapitaleigentümern konzentriert.

"Ich sehe die Gefahr sozialer Unruhen"

In einem Beitrag des ZDF wurde der US-Professor Neil Jacobstein zu den Folgen zitiert, die die Digitalisierung, Automatisierung und Robotik auf die Arbeitswelt und damit auf die Gesellschaften haben könnte (Jacobstein ist Professor für Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik an der US-Elite-Universität Stanford, Anm.d.Red.). Er warnt bezüglich der möglichen Entwicklungen am Arbeitsmarkt: "Wir werden es erleben: Viele Menschen werden verdrängt." Es sei zwar richtig, wenn Optimisten argumentierten, dass KI, lernfähige Maschinen und Roboter auch neue Jobs schaffen würden.

Die Frage sei aber, "wie sich Zerstörung und Aufbau die Waage halten." Wenn das aus den Fugen geriete, würden viele Menschen ihre Jobs verlieren - auch "Leute mit hohen Erwartungen, die Universitäten absolviert haben." Jacobstein mahnt, dass die Betroffenen auf diese bedrohliche Situation wütend reagieren werden. Es könne zu Situationen kommen, in denen "die Reichen ihre Kinder von Bewaffneten in die Schulen eskortieren lassen müssen", während die Armen im Elend leben.

Professor Neil Jacobstein, Professor für KI und Robotik an der US-Elite-Universität Stanford, fragt sich in punkto Arbeitsplatzverlusten beziehungsweise neu zu schaffender Jobs durch die digitale Entwicklung, "wie sich Zerstörung und Aufbau die Waage halten".
Professor Neil Jacobstein, Professor für KI und Robotik an der US-Elite-Universität Stanford, fragt sich in punkto Arbeitsplatzverlusten beziehungsweise neu zu schaffender Jobs durch die digitale Entwicklung, "wie sich Zerstörung und Aufbau die Waage halten".
Foto: ECO Media/ZDF.de

Hat DIE LINKE auf diese denkbare Entwicklung eine Antwort? Welche? Sehen Sie die Gefahr größerer sozialer Verwerfungen, vielleicht gar von sozialen Unruhen?

Sahra Wagenknecht: Ich sehe durchaus die Gefahr, dass es im Zuge weiterer Wirtschaftskrisen zu massenhafter Arbeitslosigkeit, wachsender Armut und großen sozialen Unruhen kommt. Aber wo liegen die Ursachen dafür und was kann man dagegen tun? Es hat doch keinen Sinn, gegen Windmühlen zu kämpfen. Wir müssen die Gesellschaft so verändern, dass alle vom Einsatz der Windmühlen, das heißt vom Einsatz moderner Maschinen profitieren.

In einer vernünftigen Wirtschaft würde die Anwendung arbeitssparender Technologien den Freiraum schaffen, unsere Arbeit auf andere Bereiche zu konzentrieren: beispielsweise auf Gesundheit und Pflege, die Kinderbetreuung, Schulen und Universitäten. Aber das funktioniert nur, wenn die Gewinne aus steigender Produktivität nicht allein den Branchen zugutekommen, in denen sie anfallen. Und wenn sie nicht nur in die Taschen der reichsten paar Prozent der Bevölkerung fließen, die überhaupt Produktionsmittel besitzen.

Wir müssen also über eine gerechte Steuerpolitik Reichtum umverteilen: Von oben nach unten und von den produzierenden Branchen zum Dienstleistungssektor. Davon haben am Ende sogar die Reichen etwas. Denn die Perspektive, dass sie ihre Kinder von Bewaffneten in die Schule bringen und vom Rest der Bevölkerung streng abschotten müssen, ist ja auch für sie nicht wirklich attraktiv.