Was heißt schon Hardwareneutralität?

Risiko: 100 Änderungen oder 1000 Manntage

23.09.1983

Mit der Hardwareneutralität der Softwarehäuser ist es nicht weit her. Zwar heften sich nicht wenige Programmierschmieden dieses wohlfeile Zeichen auf ihre Fahnen, jedoch scheint die Entwicklung wirklich rechnerneutraler Software bei dem heutigen Stand der

DV-Technik kaum möglich." Kein Softwarehaus, das irgendein Produkt zu verkaufen hat, ist neutral", meint dazu der Münchener Software-Profi Harry Sneed, Chef der Software Engineering Service GmbH. Vor allem DV-unerfahrene Anwender erfahren nur selten, was sich hinter den Auftragskulissen abspielt.

Jedes Softwarehaus verfolgt eine eigene Vertriebsstrategie. Die einen bekennen sich klar zu einem bestimmten Hersteller; sie segeln größtenteils im Kielwasser der Marktführer. Andere beackern die Randgebiete der Datenverarbeitung oder erobern ihre Marktanteile mit wenigen, aber stark problemspezifischen Programmpaketen. Zunehmend verzieren jedoch Programmkünstler aller Größenordnungen ihre Werbeprospekte mit dem Emblem der Herstellerneutralität.

Bittere Erfahrungen mit der vermeintlichen Unabhängigkeit machte zum Beispiel Norbert Oberender, DV-Leiter der Großdruckerei E. C. Baumann KG aus Kulmbach. Nach einer halbjährigen Untersuchung des Marktes (immerhin zwölf Hardwareanbieter nahm man unter die Lupe) entschieden sich die Kulmbacher für "Eclipse"-Anlagen von Data General. Mit der eigenen Mannschaft kam eine Umstellung und Neuentwicklung der Programme aus Zeitgründen nicht in Frage, so daß die Druckerei auf Fremdkapazität angewiesen war, "Die Neutralität der Softwarehäuser ist da hervorragend", ätzt der DV-Chef, "wenn sie jemanden fragen, kann der einfach alles," Doch die ersten Engpässe zeigten sich schon beim Posteingang, als es um die angeforderten Mitarbeiterprofile ging: Kaum jemand nämlich hatte zuvor auf DG-Anlagen oder nur vergleichbaren Rechnern gearbeitet.

"Black-box"-User trifft es am schlimmsten

Nicht wenige Anwender sind bei der Auswahl geeigneter Softwarehäuser überfordert. Insbesondere DV-Einsteiger, die einen Rechner schlicht als "Black box" betrachten, sind oftmals nicht in der Lage, Wünsche und Anforderungen präzise zu formulieren. Ob der Kunde nun zuerst seine Hardwareauswahl beim Hersteller trifft oder eine Gesamtlösung dem Softwarehaus seiner Gunst überläßt, stets wird er an unsichtbaren Fäden geführt und weitergereicht,

Der Schrott wird verteilt

Daß zwischen Hardwareherstellern und Weichwareproduzenten in der Regel mit ziemlich offenen Karten gespielt wird, davon sind Branchenkenner überzeugt. In den Vereinigten Staaten liegen Vereinbarungen, etwa zwischen Digital Equipment und Floating Point Systems, offiziell und vertragsmäßig fest. In Deutschland beschränkt sich die Zusammenarbeit überwiegend auf rein verbale Absprachen. "Wenn mir von Prime Computer ein Kunde geschickt wird, biete ich ihm schon aus Anstand keine andere gleichwertige Anlage an", bekräftigt Hermann Wild, Geschäftsführer der Bremer

Software-Dienst GmbH, die Insidermeinungen, "da gibt es einfach eine unausgesprochene Verpflichtung."

Portable Software als Lösung

Nicht immer herrscht jedoch nur Einigkeit bei den Geschäftspraktiken um die Gunst des Anwenders. So werden auch unangenehme Aufträge von den Herstellern auf die Softwarepartner abgewälzt. " Das läuft zum Teil darauf hinaus daß die Computerfirmen interessante Sachen im Hause behalten und den 'Schrott' nach außen verteilen", ärgert sich ein Mitarbeiter eines renommierten deutschen Softwarehauses. Bei lukrativen Einzelaufträgen könne das zu Rangeleien und auch schon mal zu Schlägen unterhalb der Gürtellinie führen. Von hardwareneutraler Kundenbetreuung könne bei den Softwarehäusern im engeren Sinne nicht die Rede sein.

Das sieht Hellmut Brümerhoff, Prokurist der Bremer PS Systemtechnik GmbH, völlig anders. Um den Kunden bei der Realisierung seiner Anforderungen nicht von vornherein auf eine DEC-, HP- oder Wang-Anlage festzulegen, wurden die Anwenderprogramme hardwareneutral erstellt. Die Portabilität sei durch ein ,einziges Schnittstellenmodul sichergestellt und werde von den entsprechenden Maschinenherstellern vertrieben, verteidigt der PS-Manager die in Frage gestellte Neutralität seines Hauses.

Absprachen nicht unterschätzen

Diese Meinung will indes "Programm-Guru" Harry Sneed von der SES keinesfalls auf sich beruhen lassen. "Bei dein heutigen Stand der DV-Technik gibt es keine herstellerneutrale Software. Gäbe es eine, wäre sie nicht auf eine bestimmte technische Umgebung optimiert und somit nicht besonders brauchbar." Sehr oft werbe ein Softwarehaus mit portablen Produkten, die auf verschiedenste Umgebungen übertragbar seien. Diese Behauptung, so Sneed, gelte jedoch nur bis zum Haus des Kunden. Dann stelle man fest, daß noch hundert Änderungen oder tausend Manntage Anpassungsarbeit nötig seien. "Dann hat das Softwarehaus schon den Fuß in der Tür", meint der Softwarespezialist, der auch großen Programmierküchen wie mbp, ADV/ORGA oder SCS eine hundertprozentige Neutralität abspricht.

Solchen Diskussionen gehen die meisten der kleineren und mittleren Softwarehäuser aus dem Weg, indem sie sich von vornherein an eine bestimmte Hardware binden. So auch die Command-Computer-Anwendungs GmbH aus Karlsruhe, die zu 90 Prozent IBM-orientiert arbeitet, sich aber jetzt mit einer Wang-Anlage ein zweites Bein anschaffen will. "Eine Teilneutralität ist bei 200 Mitarbeitern wohl eher gewährleistet als bei kleinen Unternehmen", berichtet Systemberater Dieter Kaiser, von seinen jahrelangen Erfahrungen an der DV-Front, "aber völlig hardwareunabhängig kann kein Softwarehaus sein, sondern höchstens ein Berater." Dabei seien die offiziellen Empfehlungen der Hersteller als auch die Absprachen der Vertriebsbeauftragen nicht zu unterschätzen.