Die Verdrängung von PCs ist nicht zu erwarten

RISC-Workstations visieren die Desktop-Marktnische an

05.10.1990

FRAMINGHAM, MASS. (IDG) - Als die Preise für Workstations im letzten Jahr fast auf das Niveau der Preise für PCs sanken, sagten viele Marktbeobachter die Ablösung des PCs durch leistungsstarke Workstations im Desktop-Bereich voraus. Doch man kann eben nicht leugnen, daß sich PC-Betriebssysteme fest am Markt etabliert haben. Zudem fehlt es noch an kommerziellen Anwendungen für Workstations. Die Anbieter versuchen deshalb, sich um den Vergleich beider Systeme zu drücken.

Mittlerweile glaubt man deshalb auch nicht mehr, daß RISC-Rechner PCs verdrängen werden. Anbieter, Analysten und auch einige Anwender vertreten vielmehr die Meinung, daß Workstations bis Mitte der 90er Jahre in Nischen wie Netzwerkanwendungen mit hoher Systemauslastung hineindrängen werden, also Aufgaben erledigen, denen die heutigen PCs nicht gewachsen sind. Hier

steckt die Entwicklung allerdings noch in den Kinderschuhen. Noch vor einem Jahr vertraten einige Analysten die Ansicht, daß eine Abwanderung der PC-Anwender in Richtung leistungsstärkere Workstations die logische Folge der Preisangleichung beider Systeme sei. Für von der CW-Schwesterzeitschrift "Computerworld" befragte Anwender war aber der Wechsel vom PC zur Workstation nicht unbedingt preisabhängig:

Elaine Bond, Leiterin der Corporate Systems Group der Chase Manhattan Bank, könnte sich durchaus vorstellen, PCs durch Workstations zu ersetzen. Ihre Entscheidung würde jedoch weniger vom Preis beeinflußt, als von der Kapazität und von der für die Aufgabe benötigten Rechenleistung.

"Wir haben es nicht so sehr mit dem Austausch von PCs zu tun, sondern mit einem wachsenden Bedarf an komplexen Applikationen, wie sie etwa für den weltweiten Handel vonnöten sind", meint George Weiss, Analyst bei der Gartner Group in Stamford, Connecticut.

Nicht einmal die aggressivsten Vertriebsorganisationen von RISC-Workstations sagen noch die Ablösung der PCs durch Workstations voraus. "Einige Leute würden es gerne sehen, daß wir in den PC-Markt einsteigen, aber da wollen wir überhaupt nicht hin", wehrt denn auch Edward Zander, stellvertretender Leiter der Marketing Abteilung bei Sun Microsystems Inc. ab.

Anstatt mit PCs zu konkurrieren, tritt Sun gegen Netzwerk-Server an, die auf den CISC-Prozessoren 386/486 von Intel basieren, wobei die Workstations als Knotenrechner für Netzwerke vermarktet werden sollen.

Die Mips Computer Systems Inc. stimmt weitgehend mit Sun überein. Mips beabsichtigt nach den Worten von John Hime, dem stellvertretenden Leiter der Systems Product Group, die Systeme, zum Beispiel Server, in Ergänzung zu PCs zu verkaufen. Mips fährt jedoch zweigleisig. Laut Mips-Geschäftsführer Chuck Boesenberg bemüht sich die Firma, PC-Anbieter dazu zu bewegen, die Mips-Prozessorarchitektur in ihre Systeme zu integrieren. Er äußerte sich jedoch nicht, welche PC-Anbieter zur Zeit mit Mips in Verhandlung stünden.

Silicon Graphics Inc. will ebenfalls aktiv werden. Zielsetzung ist dabei nicht die Verdrängung von PCs. Man arbeitet allerdings noch an einer Strategie, Nischenmärkte für den Low-end-Bereich grafikintensiver Berechnungen zu definieren. "Warum sollte der Anwender, der beispielsweise eine Tabellenkalkulation benutzt, eine grafikorientierte Hardware einsetzen wollen?", fragt Alan Trimble aus der Chefentwickler-Etage bei Silicon Graphics.

Das MS-DOS-Betriebssystem ist für den Bedarf eines Großteils der Anwender vollkommen ausreichend. Diese Tatsache alleine ist Anlaß genug, keinen Systemwechsel vorzunehmen. Mit der Einführung von Windows 3.0 erscheint der PC in den Augen vieler Anwender im neuen Glanz. "Es wird schwierig sein, von MS-DOS wegzukommen, vor allem jetzt mit Windows", sagte Weiss.

Unix, das verbreitetste Betriebssystem für Workstations verfügt zwar über weniger kommerzielle Anwendungen, ist andererseits stabiler als DOS. Michael Goulde, Analytiker bei Open Systems Advisor in Boston, meinte etwa, Unix sei für Multitasking-Anwendungen besser geeignet.

Verschwendung der Rechenleistung

Die Anbieter arbeiten sehr konsequent und nicht ohne Erfolg daran, mehr Anwendungen auf das Unix-Betriebssystem zu portieren. Kommerzielle Anwendungen, wie die mittlerweile auf praktisch alle Hardware-Plattformen übertragene Tabellenkalkulation Lotus 1-2-3, die kürzlich erst auf die Sun Workstations portiert wurde, finden sich immer häufiger auf Unix-Systemen wieder.

Aber Anwendungen einfach auf Unix zu portieren, reicht noch nicht aus, um Anwender zum Systemwechsel zu bewegen. Dorothy Deran, Direktorin der Forschungsabteilung für Informationssysteme bei Syntex Research in Palo Alto, Kalifornien, sagte, es sei eine Verschwendung der Rechenleistung von Workstations, wenn auf ihnen lediglich Tabellenkalkulations- oder Textverarbeitungssoftware zum Einsatz käme; PC-Software auf Workstations laufen lassen zu können, stelle noch keine Wertsteigerung dar.

Laut Frau Deran sei es unwichtig, ob die DOS-Anwendungen, die sie bereits einsetze, nun auch auf Unix-Systemen verfügbar seien. "Wir können es uns nicht leisten, die PC-Technologie einfach über Bord zu werfen. Die Investitionskosten in diese Technologie haben sich noch nicht einmal amortisiert," rechnet sie vor.

Dennoch sehen die Mehrzahl der Anbieter, wie zum Beispiel HP, die Preissenkungen bei Workstations als wichtig an. Mips-Manager Zander sagte, seine Firma würde zwar keine Workstation in der Preisklasse um 1000 Dollar auf dem Markt bringen. Man könne aber sicherlich mit Preisen rechnen, die unter dem des Sparc-Rechners SLC liegen. Dieses Modell wird für etwa 5000 Dollar mit Monochrom-Monitor ohne Laufwerk ausgeliefert. HP hat ebenfalls eine Workstation für 5000 Dollar im Angebot. Die basiert jedoch nicht auf der RISC-Architektur.

Einerseits sagten Anwender zwar, ihre Kaufentscheidung für eine Workstation habe nur sehr wenig mit dem Preis zu tun; andererseits waren sie aber auch nur unwesentlich stärker an der Rechenleistung solcher Systeme interessiert.

Für Bankerin Bond geht es deshalb auch nicht um die Entscheidung zwischen einem PC für 2000 Dollar und einer Workstation für 2000 Dollar. Wenn eine Schalterangestellte eine Workstation für 2000 Dollar benötigt, wird sie auch beschafft. Benötigt ein Zweigstellenleiter eine Workstation für 2000 Dollar, bekommt er sie ebenfalls. "Computerleistung und Speicherkapazität werden bei uns auf den jeweiligen Job maßgeschneidert", präzisiert sie.

Mit der Verfügbarkeit des 486-Prozessors steht Anwendern darüber hinaus ein Migrationspfad von ihren bestehenden Systemen offen. Gleichzeitig untergräbt diese Option die Notwendig, vom PC auf eine Workstation umzusteigen.

"Auch wenn ich eine Workstation zum Preis eines 486ers kaufen könnte, würde ich den 486er vorziehen", sagte ein Anwender, der den 486 als Aufrüstmöglichkeit zu größerer Rechenleistung betrachtet, ohne den mühsamen Umweg einer Portierung der Software eingehen zu müssen. Die 15 MIPS, die der 486 bringt, stellen zumindest auf kurze Sicht eine mehr als ausreichende Rechenleistung für die Mehrzahl der Anwender dar.

Aber Analyst John Dean von Montgomery Securities, San Francisco, sagte angesichts der wachsenden Leistungsunterschiede zwischen den Power-RISC- gegenüber den schwächeren CISC-Prozessoren voraus, daß Anwender sich mit den MIPS-Werten der PCs bald nicht mehr zufrieden geben würden. "Bald schon wird es von Mips den 40-MIPS-Chip geben (R4000), der in Konkurrenz mit dem 486 steht", prophezeit er.

Die Anbieter setzen darauf, daß sich künftige netzwerkabhängige Anwendungen - Netzwerke für industrielle Leistung so die Terminologie von Zander - als Nische im kommerziellen Marktsegment für Workstations entwickeln werden. Diese Anwendungen - man denke etwa an die gleichzeitige Bearbeitung von Datenbanken und die Nutzung verschiedener Bildschirmfenster und paralleler Kommunikations-Dienstleistungen - stecken jedoch noch in den Kinderschuhen. Genau diesem Thema wird sich David Wood, stellvertretender Leiter für Informationssysteme bei der Medlantic Healthcare Group in Washington, jedoch im kommenden Jahr zuwenden. "Kein Anbieter konnte es bisher bestätigen, aber wir denken, daß wir Geld sparen können, wenn wir Workstations an einen Server anschließen, und auf diesen neue Anwendungen zur Unterstützung für ein Krebsforschungszentrums laufen lassen", sagte er. Multimedia-Anwendungen könnten übrigens eine Schlüsselrolle für das Wachstum des Workstation-Marktes spielen, meinen verschiedene Analysten. Der komplette Workstation-Markt beläuft sich laut Weiss, auf etwa sechs Milliarden Dollar.

Er erwartet eine Wachstumsrate von zirka 30 Prozent pro Jahr bis 1995, dem Zeitpunkt an dem Multimedia-Applikationen im großen Stil verfügbar sein sollen.

"Wenn wir erst mal soweit sind, daß die Sekretärin einen Videoclip anstatt Folien für den Overhead-Projektor für ihren Chef erstellt, spätestens dann benötigt sie eine Workstations" , prognostiziert Trimble.