"RIM hat nur einen Konkurrenten - Microsoft"

10.08.2007
Mit Jim Balsillie, Co-CEO sowie Mitbegründer des Blackberry-Herstellers RIM, sprach CW-Redakteur Jürgen Hill über RIMs Verhältnis zu Microsoft und künftige Trends im Mobility-Markt.

CW: Vor knapp zwei Jahren behauptete Ihr Co-CEO Mike Lazaridis im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE, dass RIM mit dem Blackberry ein kugelsicheres System geschaffen habe. Die Sicherheitsdiskussionen in Frankreich oder der Ausfall des Network Operation Center im April vermitteln aber ein anderes Bild.

Balsillie: Gut, wir hatten ein Problem, das unser Network Operating Center in Kanada betraf. Aber das war ein einmaliger Zwischenfall.

CW: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass darunter das Image Ihres Unternehmens leidet, denn RIM setzte ja immer stark auf die Sicherheits- und Zuverlässigkeitskarte?

Balsillie: Die Gerüchte und Diskussionen in Frankreich gibt es seit zwei Jahren. Unsere Verkaufszahlen sprechen da eine andere Sprache. Sie lagen in den letzten drei Wochen in Frankreich auf Rekordniveau, trotz der eigentlich ruhigen Ferienzeit. Und die Regierung kauft weiter Blackberrys und setzt sie ein. Das Ganze ist für mich deshalb nicht mehr als ein Gerücht, zumal der Blackberry Security-Zertifikate in den USA, Großbritannien und zahlreichen anderen Ländern erhalten hat. Und das Problem in unserem kanadischen NOC hatte nichts mit der Kapazität oder Leistungsfähigkeit des Blackberry-Systems zu tun, sondern wurde durch eine Legacy-Applikation hervorgerufen.

CW: Also halten Sie auch in Zukunft am NOC-Konzept fest? Ihre Konkurrenten kommen ja ohne aus.

Balsillie: Ja das Konzept verfolgen wir weiter, schließlich ist es nicht ganz trivial, ein globales Push-Mail-System mit begrenzten IP-Adressen aufzubauen. Deshalb würde ich bei unseren Wettbewerbern weniger von Push-Mail reden, sie machen eher Pull. Unsere Konkurrenten benutzen zusätzlich noch andere Dienste wie etwa SMS, um den Standort zu ermitteln. Diese Ansätze sind für den User teuer und benötigen viel Netzkapazität. Das mag vielleicht noch für E-Mail oder einzelne Applikationen funktionieren, wir liefern aber mittlerweile eine Konvergenz-Plattform, um unterschiedlichste Anwendungen zu mobilisieren. Zudem entsteht noch ein ganz anderes Problem, wenn Sie auf zentrale Instanzen wie unsere NOCs verzichten: Wer garantiert dem User die Quality of Service für seinen E-Mail-Dienst? Soll der Anwender wirklich mit jedem einzelnen Mobilfunkanbieter verhandeln - wir haben weltweit über 300 Carrier als Partner, die mit einer entsprechenden Zuverlässigkeit aufwarten.

CW: Sicher, aber nun drängen andere Player wie Microsoft, IBM, Sybase oder Nokia in dieses Segment.

Balsillie: IBM hat eine Partnerschaft mit uns. Und Nokia ist im Enterprise Business eine ganz kleine Nummer, deren Verkäufe liegen fast bei null. Es gibt für RIM nur einen großen Konkurrenten, und das ist Microsoft. Nur sie haben für diesen Bereich die nötigen Entwicklungsressourcen und Finanzmittel.

CW: Wie wollen Sie gegen einen Konzern bestehen, der seinen Kunden eine All-in-one-Lösung aus Enterprise-Applikationen, VoIP sowie Unified Communications offeriert?

Balsillie: Wenn das funktionieren würde, dann würde Microsoft Cisco, IBM, SAP, Google sowie Yahoo plattmachen und die Carrier in die Rolle der dummen Bit-Lieferanten drängen.

CW: Kurz gesagt, Microsoft ist keine Gefahr?

Balsillie: Ich sehe Microsoft in zwei Geschäftsfeldern: als Betriebssystem-Lieferanten für Desktop-Rechner und als Applikationshersteller. Sie behaupten zwar, Konvergenzlösungen für die Wireless-Welt anzubieten, aber das ist eine ganz spezielle Welt. Hier muss ein Anbieter zu fast jeder Applikation eine Schnittstelle haben, wie wir etwa zu IBM, SAP oder Oracle.

CW: Dennoch wächst das Angebot an Windows-Mobile-Smartphones kontinuierlich.

Balsillie: Ja, aber wie viele Anwender setzen Exchange 2006 ein, nur um Push-Mail auf ihren Endgeräten benutzen zu können? Das ist ein kleines Stück eines noch kleineren Marktsegments. Zudem dürften viele Carrier mit Microsofts Geschäftsmodell ein Problem haben, wenn Microsoft lieber Anwendungen direkt an die Endkunden verkauft. Für mich ist es im Mobility-Bereich eine Schlüsselfrage, ob ein Unternehmen eine Plattform für Services anbietet oder nur eine Anwendung vermarktet.

CW: Die Zukunft von RIM liegt also in der Rolle eines Plattformanbieters für konvergente Services?

Balsillie: Genau, wir routen Datenpakete zuverlässig, global und sicher. Dazu offerieren wir Schnittstellen zu verschiedenen Anwendungen wie MAPI für Exchange, ebenso unterstützen wir XML oder HTTP, um nur drei Beispiele zu nennen. Wir haben gelernt, dass die Anwender in der mobilen Welt eine Umgebung wünschen, über die sie auf ihre unterschiedlichen Applikationen zugreifen können. Dabei ist es egal, ob es sich um SAP-Daten, eine Musiksammlung, Telefonanrufe oder auch Spiele handelt. Für mich lautet deshalb die Schlüsselfrage: Betrachten wir das als eine Plattform oder als einzelne Applikationen? In meinen Augen ist es ein Fehler, ein Handy als Applikation für Telefonate und Textdienste wie SMS zu sehen. Wenn wir das Handy als Plattform begreifen, dann reden wir nicht mehr nur von einer neuen Anwendung.

CW: Welche Bedeutung hat diese Unterscheidung zwischen Applikation und Plattform?

Balsillie: Das ist eine Effizienzfrage - läuft die Anwendung auf dem Endgerät oder einer Server-Plattform? Nehmen Sie unsere jüngsten Blackberry-Geräte mit integriertem WLAN. Dort entscheiden sich die User für Internet-basierende Dienste. Und mit UMTS/HSDPA sowie WLAN werden wir künftig mehr Streaming-Dienste erleben.

CW: Wie sieht dann der Blackberry der Zukunft aus?

Balsillie: Das ist nicht leicht zu beantworten, denn eine Antwort inkludiert gleich drei weitere Fragen: Welche Connected Services gibt es künftig, welches sind die Transportmechanismen, und wie sieht das Packaging aus? Mit WLAN, Edge und HSDPA ist die Zukunft der Transportmechanismen relativ klar. Ebenso sind Schnittstellen wie MAPI, XML, HTTP, VoIP und IP definiert und dürften Bestand haben. Allerdings werden sich die Anwendungen, die darauf aufsetzen, dramatisch verändern. Hier stehen wir erst am Anfang einer Transformation der Applikationen, und das wird eine Revolution. Diese Umwälzungen verändern die Endgeräte. Wir werden andere Displays und Eingabemechanismen verwenden und uns an neue Capture-Verfahren gewöhnen. Es wird jedoch nicht nur ein Endgerät geben, sondern verschiedene Techniken werden je nach den verwendeten Übertragungsverfahren und den genutzten Content-Services in unterschiedlichen Kombinationen verbaut werden.

CW: Also wird der Wettbewerb um das Endgerät der Zukunft auf der Content-Seite entschieden?

Balsillie: Ganz eindeutig ja, unser Ziel ist es, der beste Anbieter von Konvergenz-Middleware zu sein. Zusammen mit den Carriern wollen wir Applikationsanbietern wie Google oder Yahoo eine Plattform offerieren, um die über zwei Milliarden mobilen Endgeräte zu erreichen. Für die Applikationsanbieter bedeutet diese Mobilisierung eine Revolution für ihre Geschäftsmodelle.

CW: Welche mobilen Anwendungen haben Ihr Leben revolutioniert?

Balsillie: Das sind für mich vier Anwendungen: Mobile E-Mail, der Zugriff auf unser SAP-System, der mobile Browser für Nachrichten und Sport sowie Voicetalk. Seit kurzem benutze ich auch den integrierten MP3-Player, statt ein zusätzliches Gerät auf Reisen mitzunehmen. Mein Blackberry ist also ein Device für Arbeit und Freizeit. Instant-Messaging-Dienste wie Google Talk nutze ich momentan überhaupt nicht. Eventuell setze ich künftig aber MSN ein, um mit meinen Kindern unterwegs zu kommunizieren. Sie verwenden das bereits. Ein anderer Aspekt, der für mich als viel reisender Geschäftsmann noch interessant wäre, ist eine mobile E-Commerce-Anwendung, um Fastfood zu bestellen oder Blumen und andere Dinge für Jahrestage wie Hochzeitstage. Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann spiele ich auch mal gerne eine Runde auf dem Blackberry.

CW: Durch Ihr Faible für diese Dinge werden wir also mehr Prosumer-Geräte von RIM sehen?

Balsillie: Mit Sicherheit, denn die User lieben diese Devices. Und die beruflichen Anwender schätzen die anderen Applikationen genauso wie nicht Berufstätige. Arbeit heißt ja nicht, dass ich keine Videos oder Musik mag oder nicht mal ein Konzertticket kaufe und mich für den Wetterbericht interessiere.

CW: In jüngster Zeit wurden etliche Studien veröffentlicht, die behaupten, dass die E-Mail-Flut und die ständige Erreichbarkeit die Beschäftigten vom konzentrierten Arbeiten abhalte. Inwieweit ist der Blackberry daran mitschuldig?

Balsillie: Schön, einige Leute sagen beispielsweise, dass die Blackberrys die Meeting-Kultur ruiniert hätten. Ich sehe das etwas anders, sie haben dem Anwender in langweiligen Meetings neue Möglichkeiten eröffnet. Oder ein anderes Beispiel: Wenn ein Auto mit Tempo 200 durch die 30er Zone vor einer Schule rast – ist nun das Auto oder der Fahrer schuld? Der Blackberry ist ein Produktivitäts-Tool, das seinem Benutzer mehr Freiheiten gibt. Aber es sollte klare Regeln geben, wann er an und aus zu sein hat. Das E-Mail-Bombardement der Anwender ist ein anderes Thema – viele User missbrauchen E-Mail schlicht und einfach als Chat. Fragen wie, wer das Bier zum Grillen mitbringt oder die Fußball-Wette haben in E-Mails nichts zu suchen.

CW: Ihr letztes Beispiel kommt mir bekannt vor..

Balsillie: Ja, und dann wird das noch an einen möglichst großen Verteiler verschickt. Für diese Kommunikationsbedürfnisse gibt es Instrumente wie Consumer-, Corporate- oder Blackberry-Chat als Peer-to-Peer-Anwendungen. Für ein effizientes Arbeiten ist es entscheidend, dass wir das passende Kommunikationsmittel für den richtigen Zweck nutzen. So ist es falsch, E-Mail für den Workflow zu verwenden, um zu fragen, ob Produkt XY auf Lager ist. Dies ist aber auch eine Frage der Kommunikationsarchitektur in einem Unternehmen. Fehlt dort die adäquate Anwendung, dann greifen die User eben zur nächstbesten Applikation. Ich bin davon überzeugt, dass die Unternehmensapplikationen künftig immer stärker ereignisorientiert gesteuert und nicht mehr wie die klassische E-Mail Session-orientiert sind.

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