CW: Mit OS/2 Warp konzentrieren Sie sich speziell auf das Desktop-Geschaeft. Traut die Anwenderschaft der IBM die noetige Kompetenz zu?
Seibt: Ja. Warp ist die Fortsetzung einer sehr erfolgreichen Strategie im Grosskundensegment. Dort haben wir bereits fruehzeitig begonnen, Client-Server-Loesungen zu entwickeln, die wir jetzt flaechendeckend offerieren. Wir haben dafuer den Installationsprozess vereinfacht und Unterhaltungsprogramme hinzugefuegt. Vobis, Escom oder Comtech haben sich bereits standardmaessig fuer OS/2 entschieden.
CW: Es faellt Ihnen zweifelsohne leichter, Kunden von OS/2 zu ueberzeugen, die ohnehin schon einen MVS-Mainframe oder AIX-Server besitzen, als Klienten, die mit Windows gross geworden sind. Sehen Sie dadurch Schwierigkeiten auf sich zukommen?
Seibt: Es stimmt, DOS- und Windows-Anwender haben eine Scheu, etwas zu verlieren, was sie schon haben. Aber saemtliche Windows-Anwendungen laufen ja auf OS/2 besser als unter Windows.
CW: Was aendert sich mit Microsofts Pendant Windows 95?
Seibt: Das ist einfach. Anwendungen, die nach dem Win32s-API entwickelt wurden, unterstuetzen wir bereits. Win16- Applikationen unterstuetzen wir schon lange, und zwar besser, als Windows es tut. Wir werden in Zukunft auch Win32C und Win32 in OS/2 implementieren.
CW: Laut Microsoft werden Sie technologisch nicht in der Lage sein, Win32C zu unterstuetzen.
Seibt: Wir sind nicht nur in der Lage, sondern haben auch das Recht dazu. Vertraege erlauben es uns, alle Windows-APIs zu implementieren.
CW: Angenommen, Microsoft entwickelt ein komplett neues API?
Seibt: Damit wuerde sich die Gates-Company gegen saemtliche Anwendungsentwickler richten. Eher glauben wir, dass sie mit ihren Office-Anwendungen IBMs Schnittstelle unterstuetzen wird.
CW: Wie sehen Ihre aktuellen OS/2-Verkaufszahlen aus?
Seibt: Wir haben momentan rund sieben Millionen verkaufte Lizenzen weltweit und werden dieses Jahr die Eine-Million-Grenze in Deutschland ueberschreiten.
CW: Ihren sieben Millionen OS/2-Kopien stehen rund 60 Millionen Windows-Lizenzen gegenueber.
Seibt: Man muss sehen, wie gezaehlt wird. 60 Millionen Windows-Benutzer sind hauptsaechlich dadurch entstanden, dass wir frueher auf jedem PC Windows installiert hatten. Nun messen wir uns allerdings im 32-Bit- Sektor.
CW: Kunden zu ueberzeugen ist eine Sache, Entwickler zu animieren, ihre Applikationen auf OS/2 zu bringen, eine andere, wohl schwierigere. Wie wollen Sie diese Herausforderung meistern?
Seibt: Da waeren wir beim Henne-Ei-Problem. Escom liefert seit 1. Juli '94 OS/2 als Standard-Betriebssystem. Seitdem haben sich etwa 750 Firmen, die OS/2-Software entwickeln, dort gemeldet.
CW: Wie sehen Ihre Plaene fuer den horizontalen Markt aus, beispielsweise fuer Suites?
Seibt: Wir werden Microsoft auch dort die Stirn bieten.
CW: Sie wollen uns doch nicht weismachen, selbst Microsoft dazu ueberreden zu koennen, seine Anwendungen auf OS/2 zu portieren.
Seibt: Microsoft ist ein wirtschaftlich geleitetes Unternehmen. Wir fuehren keinen Krieg, um Verluste zu machen, sondern eine Auseinandersetzung, von der wir alle profitieren. Microsoft wird bei einer entsprechenden Bedeutung von OS/2 einfach gezwungen sein, Anwendungen fuer unser Produkt zur Verfuegung zu stellen.
CW: Wie kam der kuerzlich bekanntgewordene Fehler in OS/2 zustande? Hat IBM das Produkt aus Wettbewerbsgruenden vielleicht zu frueh auf den Markt gebracht?
Seibt: Software ist nie fehlerfrei. Wir haben uns anschliessend gedacht: Weshalb sollten wir den Fehler nicht schnell beheben?
CW: Aber das war doch keine Lapalie, sondern ein gravierender Bug, der die gesamte Installation scheitern liess.
Seibt: Wir haben den Fehler innerhalb von zwei Tagen aus der Welt geschafft.
CW: Wie beurteilen Sie die diesjaehrige Herbst- Comdex?
Seibt: Ich vergleiche die Comdex immer mit der CeBIT. Es handelt sich um eine Presse- und Entscheidermesse. Hier gehen die Besucher zum Shopping, werden Markttrends bestimmt und Standards gesetzt.Das Gespraech mit Richard Seibt, Leiter des Geschaeftsbereichs Personal Software Marketing (PSM) bei IBM fuehrten die CW-Redakteure Karin Quack und Alexander Deindl.