RFID: Pilottests für eine Revolution?

26.04.2005
Die Funkfrequenztechnik kommt. Nur wann, das ist noch die Frage. Momentan sammeln deutsche Unternehmen vor allem Erfahrungen.

Man könnte wieder einmal sagen: Typisch deutsch! Da gibt es was Neues, Erfolgversprechendes, aber hierzulande wird erst einmal reserviert begutachtet. Die Rede ist in diesem Fall von RFID (Radio Frequency Identification) der Nachfolgetechnik zu Strichcodes, zur mehr oder weniger intelligenten Identifikation von Produkten aller Art also. Udo Lackner, Leiter des Servicebereichs Supply-Chain-Management beim IT-Dienstleister Capgemini, hatte diesbezüglich schon vor Monaten geunkt: "Die deutschen Anwender nähern sich den neuen Techniken sehr vorsichtig."

Deutsche IT-Anwender stehen der neuen Technik aber prinzipiell interessiert gegenüber, wie Befragungen der computerwoche zeigen. Zudem tun sie gut daran, nicht in blindem Aktionismus einem neuen Hype hinterherzulaufen, ohne dessen Potenziale, aber auch dessen Probleme genau ausgelotet zu haben.

Eine detaillierte Analyse der Soreon Research GmbH mit dem Titel "Kassensturz: RFID - was es wirklich bringt" zeigt, dass sich die neue Technik zumindest heute nicht für alle Unternehmen aus jeder Branche rechnet. "An verschiedenen Punkten der Liefer- und Wertschöpfungskette stellen sich Kosten und Nutzen von RFID-Systemen völlig unterschiedlich dar", schreiben die Autoren. Ihre Empfehlung lautet: "Der Handel soll auf die schnelle Einführung (von RFID, Anm.d.Red.) dringen, Logistikunternehmen können sich Zeit lassen, und Hersteller (Lieferanten) sind mit einer ausgesprochenen Verzögerungstaktik am besten bedient."

Beim Für und Wider der Einbindung von RFID in die Geschäftsabläufe stehen aber für deutsche Anwender vor allem die Fragen im Vordergrund: "Was kostet der RFID-Einsatz, und was bringt er?"

Die Kosten scheinen bei einer nur auf die nahe Zukunft gerichteten Betrachtung eher gegen die Funketikettentechnik zu sprechen. Der Vertreter eines bekannten Logistikunternehmens, das nicht zitiert werden will, hält es für undenkbar, schon jetzt die Packstück-Barcodes, die in der Branche millionenfach verwendet werden, durch RFID-Tags zu ersetzen. Auch wegen der Abläufe sei dies zum heutigen Zeitpunkt unmöglich. Der Speditionsexperte fügt noch hinzu, der flächendeckende Einsatz von RFID sei erst dann vernünftig, wenn der Vorteil für die Geschäftsprozesse klar erkennbar sei.

Severin Canisius, IT-Leiter bei Wolfskin, betrachtet das Thema RFID für sein Unternehmen unter Kostenaspekten mit vorsichtiger Zurückhaltung. Der Anbieter von Outdoor-Bekleidung und -Ausrüstung investiert schon seit längerem in die Technik und ist auch von ihren Potenzialen - "die sich aber nicht heute oder morgen einstellen werden" - überzeugt. Unter Kostenaspekten allerdings müsse man das Thema differenziert betrachten. "Wir sehen RFID weniger mit Blick auf seine Sparpotenziale. Die werden sich nämlich nicht ergeben. Vielmehr wird eine Verlagerung der Ausgaben zu gewärtigen sein." Was Wolfskin im Logistikbereich in Zukunft sparen könne, werde das Unternehmen für die Backend-Systeme wieder ausgeben müssen. Obwohl sich Canisius zu den Investitionen von Wolfskin in Sachen RFID nicht genau äußern möchte, bestätigt er doch, dass diese "erheblich" sind. Vor allem aber erwartet sich Canisius von der Funketiketten-Technik eine wesentlich größere Transparenz in der gesamten Lieferkette.

Tags sind viel zu teuer

Roland Nickerl, Bereichsleiter Logistik Systementwicklung beim Versandhaus Otto in Hamburg, sagt, für den Masseneinsatz sei der Preis für die Funkchips (Tags) noch "um den Faktor zehn zu hoch". Insofern sei der Nutzen eher schwer zu berechnen. Potenziale sehen die Hanseaten allerdings darin, insbesondere "schwundgefährdete, teure Artikel" besser zu sichern.

Wer sich vom Einsatz der RFID-Technik kurzfristige Kostenreduzierungen erhofft, könnte sich also täuschen. Dies bestätigt auch Rahel Erni, europaweit zuständige Sprecherin für das Logistikunternehmen DHL. Die Tochter der Post ist in das Future-Store-Konzept der Metro eingebunden und betreibt mit verschiedenen Produkt- und Technologielieferanten Projekte für den Einsatz von RFID-Tags.

DHL-Sprecherin Erni sagt, momentan rechne sich noch kein RFID-Projekt, "weil die Vorlaufskosten hoch ausfallen und das Mengenvolumen verhältnismäßig gering ist". Die DHL investiert in der Pilotphase in das Projekt-Management, die Prozessumstellung sowie in nötige Hardware und in die Tests. Ebenso fallen Kosten für die Schnittstellenentwicklung an.

Trotz dieser Vorleistungen ist der langfristige Erfolg von RFID-Techniken unumstritten: "Wir bei DHL sind überzeugt, dass diese Technik in den kommenden Jahren die Logistik revolutionieren wird", sagt Erni.

Die Vorteile der Technik lägen auf der Hand. Kosten ließen sich insbesondere bei internen Prozessen sparen, weil diese schneller, effizienter und einfacher erledigt würden. Als Beispiel führt Erni das Fashion-Warehouse von DHL in Frankreich an. Dort werden so genannte hängende Waren, also zum Beispiel Kleider, mittlerweile via RFID inventarisiert. Erni: "Das dauert heute nur noch ein Zehntel so lang. Wenn früher der Barcode nicht richtig leserlich war, gab es schon Probleme. Das musste alles händisch absolviert werden. Heute können wir in viel kürzerer Zeit viel mehr Produkte durchschleusen."

Michael Wessing, RFID-Projektleiter beim Modekonzern Gerry Weber AG, sieht es genauso. Das Unternehmen hat Pilotprojekte mit der zur Metro gehörenden Kaufhof-Kette absolviert. "Die Potenziale von RFID liegen in der gesamten Lieferkette." Der Eigentumsübergang - also die Weitergabe von Waren etwa vom Hersteller zum Spediteur - lasse sich um ein Vielfaches schneller erledigen, und "Zeit ist bekanntlich Geld", so Wessing. Der Gerry-Weber-Mann ist absolut überzeugt, dass RFID die Zukunft gehört: "Viele Menschen haben noch gar nicht die Chancen erkannt, die in dieser Technik stecken."

Der Metro-Konzern ist in Sachen RFID so etwas wie der Taktgeber für die gesamte deutsche Industrie. Er kann es sich wegen seiner Macht am Markt auch leisten, seine Partner zu drängen, die Technik einzusetzen. Gerd Wolfram, Geschäftsführer der MGI Metro Group Information Technology GmbH, sagt zu der Kosten-Nutzen-Relation von RFID: " Nach unseren Berechnungen dürfte sich die Investition in die Technologie-Infrastruktur nach vier bis sechs Jahren amortisiert haben." Bestimmte Kosten könnten aber nur vage kalkuliert werden. Das gelte beispielsweise für den Stückpreis von Transpondern. "Sollte dieser Preis rapide fallen, erreichen wir den Return on Investment statt in vier bis sechs schon in zwei Jahren."

Einsparungen erzielt die Metro nach den Worten Wolframs vor allem durch einfachere Prozesse mit kürzeren Laufzeiten. "Die automatische Erfassung der Wareneingangsdaten über RFID bringt beispielsweise eine Zeiteinsparung von zehn Minuten pro Lastwagen."

Gegen Diebstähle

Chancen ergeben sich auch bei der Diebstahlsprävention: Hier hilft die RFID-Technik dabei festzustellen, wo innerhalb der Produktions- und Lieferkette Güter abhanden kommen. Die DHL hat ein entsprechendes Projekt einmal für Nokia und seine Handys absolviert.

Die Cambium-Forstbetriebe in Fahrenbach-Robern im Odenwald-Kreis setzen ein RFID-basierendes Tracking-System für Holzstämme ein. Inhaber Gerhard Friemel sagt, durch die Kontrolle des Weges der geschlagenen Bäume bis zum Sägewerk habe man die Schwundrate von bis zu 15 auf fünf Prozent senken können: "Wir können pro Jahr deutlich mehr Umsatz erzielen. Hier geht es um Größenordnungen von bis zu sechsstelligen Eurobeträgen."

Vorläufiges Fazit: Möglicherweise behält DHL-Sprecherin Erni mit der Prognose Recht, dass mit RFID eine - vielleicht kleine - Revolution in Unternehmen ins Rollen kommt.