RFID: Noch fehlen Business-Konzepte

08.12.2005
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Die Funkidentifikation provoziert viele Diskussionen, doch die Frage nach dem Business Case im eigenen Unternehmen kommt häufig zu kurz.

Wir sind noch sehr stark technologisch unterwegs", so fasst Elgar Fleisch, Professor an der Hochschule St. Gallen (HSG), den Status quo auf dem Gebiet der Funkfrequenzidentifikation zusammen. Management-Konzepte für den Einsatz der Radio Frequency Identification (RFID) seien eher die Ausnahme als die Regel.

Hier lesen Sie...

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  • welche Vorteile die RFID-Technik hat;

  • wo sie diese Vorteile ausspielen kann und wo nicht;

  • warum die Logistiker den Handel beneiden;

  • in welchen Zusammenhängen RFID zu sehen ist.

Der RFID-Einsatz sollte darauf zielen,die Prozesse zu verändern, so Elgar Fleisch, Professor an der Hochschule St. Gallen.
Der RFID-Einsatz sollte darauf zielen,die Prozesse zu verändern, so Elgar Fleisch, Professor an der Hochschule St. Gallen.

Als anerkannter RFID-Experte wurde Fleisch vom Veranstalter-Duo Euroforum und "Handelsblatt" als Moderator für dessen jüngste Konferenz zum Thema Funkfrequenzerkennung verpflichtet. Zu der Veranstaltung fanden sich kürzlich knapp 100 Teilnehmer im brandneuen Düsseldorfer Intercontinental-Hotel ein. Die Vorgängerveranstaltung im Mai 2004 hatte noch mehr als doppelt so viele Wissbegierige angelockt. Doch mittlerweile hat sich die RFID-Hysterie gelegt - was durchaus positiv zu sehen ist: Jetzt stehen nicht mehr die Faszination des Neuen beziehungsweise neu Entdeckten, sondern konkrete wirtschaftliche Fragen im Mittelpunkt des Interesses.

Muster als Vorgaben für die Geschäftsprozesse

Dass sich der Einsatz der Technik auszahlen kann, ist für Fleisch unbestritten: Anders als beim Barcode, der bei jedem Lesevorgang menschliches Eingreifen erfordere, koste die RFID-Technik, einmal installiert, so gut wie nichts mehr - egal, wie lang und oft sie angewendet werde. Wenn kein zusätzlicher Aufwand anfalle, könnten häufiger Daten abgegriffen werden, und so entstehe ein Bild von den Prozessen, das Muster und Auffälligkeiten zu Tage treten lasse. Mit Hilfe dieser Informationen ließen sich anschließend die Prozesse verbessern.

Das allgemeine Wissen über RFID ist in deutschen Unternehmen hoch. Doch relativ wenige Betriebe haben die Möglichkeiten hinsichtlich ihrer eigenen Prozesse untersucht, so eine Studie der TU Berlin.
Das allgemeine Wissen über RFID ist in deutschen Unternehmen hoch. Doch relativ wenige Betriebe haben die Möglichkeiten hinsichtlich ihrer eigenen Prozesse untersucht, so eine Studie der TU Berlin.

Dazu führte der Hochschullehrer ein Beispiel ins Feld: Ein leeres Regal mache den Kauf- vorgang unmöglich, aber ein volles löse auch nicht unbedingt den stärksten Kaufanreiz aus. Die RFID-Technik könne hier helfen, die "optimale" Füllmenge für jedes Angebot festzustellen und beizubehalten.

Die Aufgabe des Managements besteht darin, herauszufinden, wo sich der RFID-Ein- satz lohnt und welche Daten wo in welcher Frequenz und Granularität benötigt werden. Doch die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Möglich- keiten der Technik ist ein wenig ins Stocken geraten. Wie Kurt Rindle, RFID-Experte aus dem IBM-Bereich Emerging Business Opportunities, bestätigt, steuert die Technik nach der vor etwa zwei Jahren ausgebrochenen Euphorie derzeit das aus dem "Hype Cycle" von Gartner bekannte "Tal der Desillusionierung" an.

Gestützt wird diese Einschätzung von einer aktuellen Studie der TU Berlin, die im Auftrag der Bundesvereinigung Logistik (BVL) entstand. Demzufolge planen in Deutschland momentan nur 31 Prozent der Handelsunternehmen und 17 Prozent der Industriebetriebe den Einsatz der Funkidentifikation. Zwei Drittel der rund 400 Befragten halten sich für umfassend eingeweiht in die allgemeinen Möglichkeiten der Technik, doch nur zwei Fünftel, also nicht einmal zwei von drei der "gut Informierten", haben den RFID-Einsatz speziell für das eigene Unternehmen evaluiert.

Besonders effektiv in chaotischen Umgebungen

Die automatische Identifikation mit Hilfe von Funkchips und Lesegeräten ist sicher kein Allheilmittel für schwache Prozesse. Dass es auch Unternehmen gibt, in denen sie wenig zur Effizienzverbesserung beitragen kann, bestreiten nicht einmal die Pro- tagonisten der RFID-Szene. "Warum hat Federal Express kein RFID-System?" fragte Sanjay Sarma, Chief Technology Officer des Softwareanbieters Oatsystems und Mitbegründer des AutoID Center am Massachuetts Institute of Technology (MIT), das 2003 zum großen Teil in die EPC Global Inc. überführt wurde. Die Antwort schickte Sarma gleich hinterher: "Weil deren Prozess sehr stark manuell abläuft." Die Funkidentifkation könne ihre Vorteile vor allem dann ausspielen, wenn die Umgebung chaotisch sei und die Ware eigentlich nicht angefasst werden müsse.

Was bei der Auslieferung einzelner Päckchen keinen Sinn ergibt, stellt für den Transport von Paletten oder Containern durchaus eine Option dar. Vor allem die großen Logistikdienstleister DHL sowie Kühne & Nagel (KN) setzen sich derzeit verstärkt mit dem Thema RFID auseinander. Dabei haben sie jedoch ein paar Hürden mehr zu überwinden als der Handel, wie Alexander Unruh, Projektleiter RFID bei Kühne & Nagel, das Auditorium aufklärte: "Ein Supermarkt kann einfach eine Antenne aufbauen, wir Logistiker müssen die Auflagen nationaler und internationaler Behörden erfüllen." So dürften aktive RFID-Tags nicht einfach in ein Flugzeug verladen werden.

KN absolviert derzeit ein Pilotprojekt mit dem Handelsriesen Wal-Mart und dem Druckerhersteller Océ. Reine Erfolgsmeldungen wollten Unruh und sein Co-Referent, der für den Kontraktlogistikbereich West zuständige Gerd Schmidt, nicht verbreiten. Vielmehr habe es auch Erkenntnisse negativer Art gegeben: Der Wissensstand beim Personal werde häufig überschätzt, die mechanische Beanspruchung und die Verschmutzung der Chips hingegen unterschätzt.

Doch solche Anfangsschwierigkeiten sind nach Auffassung der beiden KN-Manager völlig normal: "Der Technologiewechsel dauert nun einmal ein paar Jahre." Dass die Funkidentifikation in der Logistik noch nicht etabliert sei, lasse sich auch positiv sehen: Das eröffne die Chance für unternehmensübergreifende Standardisierungen. Wenn alle Glieder der Wertschöpfungskette mitmachten, ergäben sich mittelfristig sicher Win-Win-Effekte.