RFID: Noch fehlen Business-Konzepte

05.12.2005
Die Funkidentifikation provoziert viele Diskussionen, doch die Frage nach dem Business Case im eigenen Unternehmen kommt häufig zu kurz.
Das allgemeine Wissen über RFID ist in deutschen Unternehmen hoch. Doch relativ wenige Betriebe haben die Möglichkeiten hinsichtlich ihrer eigenen Prozesse untersucht, so eine Studie der TU Berlin.
Das allgemeine Wissen über RFID ist in deutschen Unternehmen hoch. Doch relativ wenige Betriebe haben die Möglichkeiten hinsichtlich ihrer eigenen Prozesse untersucht, so eine Studie der TU Berlin.

Wir sind noch sehr stark technologisch unterwegs", so fasst Elgar Fleisch, Professor an der Hochschule St. Gallen (HSG), den Status quo auf dem Gebiet der Funkfrequenzidentifikation zusammen. Management-Konzepte für den Einsatz der Radio Frequency Identification (RFID) seien eher die Ausnahme als die Regel.

Hier lesen Sie …

• welche Vorteile die RFID-Technik hat;

• wo sie diese Vorteile ausspielen kann und wo nicht;

• warum die Logistiker den Handel beneiden;

• in welchen Zusammenhängen RFID zu sehen ist.

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Als anerkannter RFID-Experte wurde Fleisch vom Veranstalter-Duo Euroforum und "Handelsblatt" als Moderator für dessen jüngste Konferenz zum Thema Funkfrequenzerkennung verpflichtet. Zu der Veranstaltung fanden sich kürzlich knapp 100 Teilnehmer im brandneuen Düsseldorfer Intercontinental-Hotel ein. Die Vorgängerveranstaltung im Mai 2004 hatte noch mehr als doppelt so viele Wissbegierige angelockt. Doch mittlerweile hat sich die RFID-Hysterie gelegt - was durchaus positiv zu sehen ist: Jetzt stehen nicht mehr die Faszination des Neuen beziehungsweise neu Entdeckten, sondern konkrete wirtschaftliche Fragen im Mittelpunkt des Interesses.

Muster als Vorgaben für die Geschäftsprozesse

Dass sich der Einsatz der Technik auszahlen kann, ist für Fleisch unbestritten: Anders als beim Barcode, der bei jedem Lesevorgang menschliches Eingreifen erfordere, koste die RFID-Technik, einmal installiert, so gut wie nichts mehr - egal, wie lang und oft sie angewendet werde. Wenn kein zusätzlicher Aufwand anfalle, könnten häufiger Daten abgegriffen werden, und so entstehe ein Bild von den Prozessen, das Muster und Auffälligkeiten zu Tage treten lasse. Mit Hilfe dieser Informationen ließen sich anschließend die Prozesse verbessern.

Dazu führte der Hochschullehrer ein Beispiel ins Feld: Ein leeres Regal mache den Kauf- vorgang unmöglich, aber ein volles löse auch nicht unbedingt den stärksten Kaufanreiz aus. Die RFID-Technik könne hier helfen, die "optimale" Füllmenge für jedes Angebot festzustellen und beizubehalten.

Die Aufgabe des Managements besteht darin, herauszufinden, wo sich der RFID-Ein- satz lohnt und welche Daten wo in welcher Frequenz und Granularität benötigt werden. Doch die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Möglich- keiten der Technik ist ein wenig ins Stocken geraten. Wie Kurt Rindle, RFID-Experte aus dem IBM-Bereich Emerging Business Opportunities, bestätigt, steuert die Technik nach der vor etwa zwei Jahren ausgebrochenen Euphorie derzeit das aus dem "Hype Cycle" von Gartner bekannte "Tal der Desillusionierung" an.

Gestützt wird diese Einschätzung von einer aktuellen Studie der TU Berlin, die im Auftrag der Bundesvereinigung Logistik (BVL) entstand. Demzufolge planen in Deutschland momentan nur 31 Prozent der Handelsunternehmen und 17 Prozent der Industriebetriebe den Einsatz der Funkidentifikation. Zwei Drittel der rund 400 Befragten halten sich für umfassend eingeweiht in die allgemeinen Möglichkeiten der Technik, doch nur zwei Fünftel, also nicht einmal zwei von drei der "gut Informierten", haben den RFID-Einsatz speziell für das eigene Unternehmen evaluiert.

Besonders effektiv in chaotischen Umgebungen

Die automatische Identifikation mit Hilfe von Funkchips und Lesegeräten ist sicher kein Allheilmittel für schwache Prozesse. Dass es auch Unternehmen gibt, in denen sie wenig zur Effizienzverbesserung beitragen kann, bestreiten nicht einmal die Pro- tagonisten der RFID-Szene. "Warum hat Federal Express kein RFID-System?" fragte Sanjay Sarma, Chief Technology Officer des Softwareanbieters Oatsystems und Mitbegründer des AutoID Center am Massachuetts Institute of Technology (MIT), das 2003 zum großen Teil in die EPC Global Inc. überführt wurde. Die Antwort schickte Sarma gleich hinterher: "Weil deren Prozess sehr stark manuell abläuft." Die Funkidentifkation könne ihre Vorteile vor allem dann ausspielen, wenn die Umgebung chaotisch sei und die Ware eigentlich nicht angefasst werden müsse.

Was bei der Auslieferung einzelner Päckchen keinen Sinn ergibt, stellt für den Transport von Paletten oder Containern durchaus eine Option dar. Vor allem die großen Logistikdienstleister DHL sowie Kühne & Nagel (KN) setzen sich derzeit verstärkt mit dem Thema RFID auseinander. Dabei haben sie jedoch ein paar Hürden mehr zu überwinden als der Handel, wie Alexander Unruh, Projektleiter RFID bei Kühne & Nagel, das Auditorium aufklärte: "Ein Supermarkt kann einfach eine Antenne aufbauen, wir Logistiker müssen die Auflagen nationaler und internationaler Behörden erfüllen." So dürften aktive RFID-Tags nicht einfach in ein Flugzeug verladen werden.

KN absolviert derzeit ein Pilotprojekt mit dem Handelsriesen Wal-Mart und dem Druckerhersteller Océ. Reine Erfolgsmeldungen wollten Unruh und sein Co-Referent, der für den Kontraktlogistikbereich West zuständige Gerd Schmidt, nicht verbreiten. Vielmehr habe es auch Erkenntnisse negativer Art gegeben: Der Wissensstand beim Personal werde häufig überschätzt, die mechanische Beanspruchung und die Verschmutzung der Chips hingegen unterschätzt.

Doch solche Anfangsschwierigkeiten sind nach Auffassung der beiden KN-Manager völlig normal: "Der Technologiewechsel dauert nun einmal ein paar Jahre." Dass die Funkidentifikation in der Logistik noch nicht etabliert sei, lasse sich auch positiv sehen: Das eröffne die Chance für unternehmensübergreifende Standardisierungen. Wenn alle Glieder der Wertschöpfungskette mitmachten, ergäben sich mittelfristig sicher Win-Win-Effekte.

Weit mehr als ein Ersatz für die Barcode-Kennzeichnung

IBM-Manager Rindle definierte eine Art Evolution der RFID-Vorteile: Die Kostenersparnis sei nur der erste Schritt, im zweiten kämen Qualitätsverbesserungen hinzu, auf der dritten Stufe entständen neue, RFID-basierende Dienstleistungen. Damit diese Vision Realität werden könne, müssten die Anwender jedoch umdenken. Für sie sei RFID heute oft nicht mehr als "Tag" und Lesegerät. Doch ganz abgesehen von der zur Datenauswertung notwendigen Middleware - wie sie beispielsweise die IBM anbietet - erfordere ein erfolgreicher Einsatz der RFID-Technik auch Management-Entscheidungen, beispielsweise die, wie mit geringfügigen Abweichungen umzugehen sei.

Tony Taylor, europäischer Direktor des Standardisierungsgremiums EPC Global , legte ebenfalls den Finger in die Business-Wunde: Die vermeintlichen technischen Hindernisse entpuppten sich oft als Unfähigkeit, die Prozesse zu ändern. RFID sei eben weit mehr als nur ein Ersatz für die Barcode-Technik, bestätigte der ehemalige Wal-Mart-Manager seine Vorredner. Langfristig gelte es deshalb, neue Business-Modelle zu entwickeln, mit denen sich die Vorteile der kontinuierlichen und berührungslosen Überwachung ausschöpfen ließen. Fehlende Technik und hohe Preise hätten als Entschuldigung für das Abwarten ausgedient. Auf der anderen Seite gebe es aber immer noch keine Plug-and-Play-Kompatibilität.

Bestandteil eines größeren Zusammenhangs

Das beklagt auch Claus Heinrich, Vorstandsmitglied der SAP AG, die in Düsseldorf ebenfalls die Chance zur Darstellung ihrer RFID-Strategie erhielt. "Die Probleme sind immer noch technischer Art", widersprach Heinrich der vorherrschenden Meinung.

In seinem Buch "RFID and beyond" vertritt der SAP-Vorstand ohnehin die Ansicht, Funkfrequenzerkennung müsse als Bestandteil eines größeren Zusammenhangs gesehen werden. Das eigentliche Thema sei der geschlossene "Feedback-Loop". Dazu gelte es, die größtenteils schon vorhandenen Kontrolleinheiten und Sensoren im Rahmen einer unternehmensweiten Servicearchitektur zu integrieren, wie sie SAP unter dem Kürzel ESA propagiert. In einer "gestuften Systemlandschaft" lasse sich das verwirklichen, was Heinrich "Ausnahmen-gesteuertes Management" nennt: Jede Einheit ermittelt ihre Daten autark und leitet sie nur auf die nächsthöhere Ebene weiter, wenn die Werte vom Normalfall abweichen.

Anwendungsbeispiel aus dem fernen Osten

Wenn RFID-Erfolgsgeschichten gefragt sind, werden im Prinzip immer dieselben Beispiele herumgereicht. Deshalb scheuten die Veranstalter des Düsseldorfer Kongresses weder Kosten noch Mühen, um ein unverbrauchtes Anwendungsbeispiel präsentieren zu können, Eigens eingeflogen - und simultan übersetzt - wurde Masakazu Nishida, Manager des Tokioter Kaufhauses Nihonbashi Mitsukoshi.

Der Konsumtempel erzielt einen für deutsche Verhältnisse unvorstellbaren Jahresumsatz von umgerechnet 2,5 Milliarden US-Dollar, davon etwa 300 Millionen allein mit Schuhen. Laut Nishida lassen sich in diesem Bereich etwa 15 Prozent der möglichen Verkäufe nicht abschließen, weil der gewünschte Schuh nicht in der richtigen Größe und Farbe vorrätig ist. Um das zu ändern - oder zumindet der Kundschaft nicht die Zeit zu stehlen - hat das Kaufhaus mit zunächst zehn Herstellern von Damenschuhen eine RFID-Lösung aufgebaut.

Die Ware wird beim Großhändler mit den Tags bestückt und im Warenwirtschaftssystem des Zentralcomputers von Mitsukoshi erfasst. Jeder Bezahlvorgang aktualisiert automatisch die Bestandsangaben. Die Verkäuferinnen sind mit PDAs ausgerüstet, die den Lagerstand in Echtzeit anzeigen und mit denen sie Nachschub beim Großhändler ordern können. Zudem ermöglichen "Self-Check-Inven- tory-Terminals" den Kunden, selbst zu prüfen, ob das Modell ihrer Wahl auf Lager ist. Wie Nishida berichtet, halbierte sich dadurch die Wartezeit für den potenziellen Käufer von 13 auf sechs Minuten. Zudem sei der Umsatz mit den RFID-gekennzeichneten Artikeln um zehn Prozent gestiegen.