DRK Karlsruhe als Pilotanwender:

Rettungsleitstelle mit AEG Bildschirmcomputer

13.02.1981

KARLSRUHE - Das erste computerunterstützte Rettungsleitsystem der Bundesrepublik ist in Karlsruhe mit dem Bildschirmcomputer "Telecomp 5200" von AEG-Telefunken realisiert worden. In rund einjährigem praktischen Betrieb konnte eine Steigerung der Effektivität der Arbeit der Rettungsleitstelle beziehungsweise des Rettungsdienstes registriert werden. Führungskräften im Rettungsdienst wurde in einem Seminar die DV-Konzeption des Kreisvereins Karlsruhe des Deutschen Roten Kreuzes vorgestellt.

Das Karlsruher Projekt wurde von der Björn Steiger-Stiftung finanziell unterstützt. Siegfried Steiger, Gründer und "Motor" dieser vor allem durch die Installation von Notrufsäulen an Bundesstraßen bekanntgewordenen Organisation, attestierte der Karlsruher Lösung Modellcharakter. Sie habe die Weichen gestellt für eine verstärkte Nutzung der EDV in Leitstellen. Der vermehrte Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen im Rettungsdienst der DRK sei dringend notwendig, meinte Steiger.

Der Kreisverein Karlsruhe des DRK stellte erste grundsätzliche Überlegungen zum Thema EDV in Rettungsleitstellen schon 1975 an. Geschäftsführer Jürgen Huber bezeichnete es als primäre Aufgabe eines Computers im Rettungsdienst, die erforderlichen Informationen und Entscheidungshilfen für eine schnelle und nach medizinischen, einsatztaktischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimale Abwicklung der Einsatzaufträge zu liefern.

Zunächst versuchte man in Karlsruhe, die Vorstellungen mit Hilfe eines Tischcomputers IBM 5100 zu realisieren. Der organisatorische Spielraum des Systems war jedoch für die anstehenden Aufgaben nicht ausreichend. Das DRK Karlsruhe schaute sich daher 1978 nach einer anderen Anlage um. Die Wahl fiel schließlich auf das System Telecomp 5200, da es sich hier um ein "preislich angemessenes und technisch ausreichendes" System handelte. Außerdem vermittelte AEG mit der Actis GmbH ein Softwarehaus, das bereits auf einschlägige Erfahrungen mit Programmen für den Bereich "Feuerwehr" zurückblicken konnte. Da der Elektrokonzern obendrein hier einen neuen Markt erkannte, beteiligte er sich an den Softwarekosten. Die Applikationen wurden zwar nach den Vorstellungen des DRK Karlsruhe und für dessen Bedürfnisse entwickelt, sollen aber künftig als Standard- "Branchenlösung" vermarktet werden.

Gerd Kaiser von der Actis GmbH formulierte als Voraussetzungen an die Hardware eines im Rettungsdienst eingesetzten Computers:

- Es muß ein 24-Stunden-Betrieb gewährleistet sein.

- Ein Hardware-(Teil-)Ausfall sollte möglichst wenig Auswirkungen auf die Arbeit der Rettungsleitstelle haben.

- Das System hat selbstreparierend zu sein, das heißt bei Systemfehlern müssen Aktionen rückgängig gemacht werden können, um fehlerhafte Datenbestände zu vermeiden.

- Die Wartung der Software bei laufendem System.

- Eine hohe Unempfindlichkeit gegen Benutzerfehler.

- Eine schnell zu erlernende, handbuchfreie Benutzung des Systems.

- Alle Aktionen müssen jederzeit für eine schnelle Notfallbearbeitung abbrechbar sein.

Der DRK Karlsruhe glaubt, mit seiner ausgewählten Hardware für das computerunterstützte Rettungsleitsystem diese Forderungen zu erfüllen. Installiert sind vier Bildschirm-Systeme Telecomp 5200, jedes mit eigener CPU, die auf einen zentralen Plattenspeicher mit Programmen, Stammdaten und Arbeitsdateien zugreifen, in der eigentlichen Datenverarbeitung aber autonom sind. Wichtige Programme sind speicherresident vorhanden. Die verfügbare Plattenkapazität beträgt 10 MB (je 5 MB auf Fest- und Wechselplatte). Nochmals die gleiche Plattenkapazität steht auf einem zweiten "Stand-by"-Laufwerk bereit, das einen eigenen Controller hat und bei Ausfall der ersten MP-Unit aktiviert werden kann. Außerdem vereinfacht es die Datensicherung.

Zur weiteren Ausstattung gehören eine Echtzeituhr und ein digitaler Eingang für den Anschluß des Funkmeldesystems (FMS) sowie ein Drucker. Das Betriebssystem erlaubt Realtimebetrieb, Vordergrund- und Hintergrundverarbeitung sowie Spool. Die mittlere Zugriffszeit beträgt 30 ms und verschlechtert sich auch nicht beim Anschluß weiterer "autonomer" Bildschirm-Systeme Telecomp 5200. Hans-Jürgen Woll, EDV-"Chef" des DRK Karlsruhe, sieht das als einen besonderen Vorteil an. Schnelligkeit sei im Rettungsdienst manchmal lebensrettend. Da nehme man auch in Kauf, daß die weiteren "Terminals" teuerer sind als Datensichtgeräte bei einem "normalen" Mehrplatzsystem.

Für den Rettungsdienst des DRK Karlsruhe sind folgende Applikationen geschaffen worden: Fahrzeugdatei, Straßen- und Objektdatei, Ärztedatei, Notrufmeldedatei, Bettennachweis, Giftstoffdatei, Personaldatei, Materialdatei, Einsatzdatei, Vorbestellungsdatei, Einsatztagebuch, Notizbuchdatei, Ärztlicher Bereitschaftsdienst, Zahnärztlicher Notdienst, Diagnosedatei, Kilometerverteilungsdatei, Dienstplandatei, Dokumentation. In einigen Wochen soll außerdem das örtliche Funkmeldesystem über die FMS-Schnittstelle online angeschlossen werden. Dann wird es möglich sein, Statusmeldungen der Fahrzeuge zu digitalisieren und direkt vom Rechner verarbeiten zu lassen. In umgekehrter Richtung kann man Statusabfragen "online" starten.

Die meisten der geschaffenen und noch zu schaffenden Dateien (es ist eine riesige Fülle von Stammdaten zu speichern) dienen zur Information. Mitarbeiter in der RettungsleitstelIe, damit sie die Einsatzaufträge "effektiver" abwickeln können. Nach den Erfahrungen des DRK Karlsruhe gehen fast 90 Prozent der Rechnerkapazität für dieses Aufgabengebiet "drauf". Die Ansteuerung nachrichtentechnischer Hilfsmittel oder Vorschläge für den Anfahrtsweg von Fahrzeugen sind ein nützliches "Zubrot". Im übrigen sind nach den Worten von Geschäftsführer Huber die in der Rettungsleitstelle anfallenden Daten nicht geeignet für die "Fakturierung", da sie nicht "juristisch" korrekt sein können. Computerunterstützte Einsatzleitsysteme mit automatischer Einsatzsteuerung seien noch "Zukunftsmusik".