Geschäftsusancen der Gebrauchtcomputerbranche

Reminiszenzen eines ehemaligen Insiders

19.03.1976

Die Gebrauchtanlagen lassen sich ungefähr in vier Gruppen aufteilten:

Die Uralten: Hierbei handelt es sich meist um 1401, 1410, 1441 und 7000er. Selbst derartige Antiquitäten können, wie später noch erläutert wird, Käufer und Verkäufer bei Liquiditätsschwächen beglücken. Ansonsten aber tut sich nicht mehr viel in diesen Jahrgängen.

Die Reife Jugend: Vorwiegend Anlagen der IBM-Serie 360 werden zu 10 bis 30 Prozent des Neuwertes im Kampf gegen kleinere 370er angeboten. Hier wurde das große Geschäft vermutet, was jedoch nicht eingetreten ist, da über 95 Prozent der IBM-Benutzer ihre Anlagen direkt bei IBM bezogen haben.

Die Aktuellen: Hierbei handelt es sich meist um frühe 370er Modelle/155 oder ältere /145. Durch die günstigen Leasingsätze der IBM ist die Ersparnis selbst im Kauffalle minimal. Sie spielt höchstens nach entsprechender Aufrüstung mit Fremdspeichern und -peripherie - was aber wiederum ein anderes Metier ist - eine Rolle.

Die Exoten: Darunter sind praktisch alle Nicht-IBM-Anlagen zu fassen. Bei diesen Computern steht einem riesigen Angebot eine minimale Nachfrage gegenüber, eine Tatsache, welche sich dadurch erklären läßt, daß die Hersteller erhebliche Schwierigkeiten bei der Wartung machen oder diese gar rundherum ablehnen.

Mama ist großzügig

Mutter IBM erweist sich in solchen Dingen durchwegs großzügiger als ihre Konkurrenten. Ein Zertifikat, welches nicht älter als drei Monate ist, garantiert eine völlig normale Pauschalwartung, so daß der Benutzer einer solchen Anlage zunächst einmal von größeren technischen Risiken freigestellt scheint. Sicherlich reißt sich IBM bei der Wartung solcher, das Neugeschäft dämpfender Veteranen kein Bein aus, was begreiflich erscheint, wenn man daran denkt, daß vorher häufig eine taufrische 370 erst abgebaut werden mußte.

Flirt mit rechnerischem Hintergrund

Broker und Leasingfirmen - Direktverkäufe gelten als absolute Ausnahmen - bieten nun "den gleichen Computerdurchsatz für weniger Geld". Trotzdem sind nur wenige Benutzer von dieser Theorie zu überzeugen, bei welcher, folgt man den Verkäufern dieser Oldtimer, nur auf das Prestige einer Neuanlage verzichtet werden muß. Der Preisvorteil mag in vielen Fällen stimmen nur ist er sehr schwer meßbar. Da aber der Preis genau der undiskutierbar einzige Vorteil einer solchen Anlage darstellt, ist eine sehr differenzierte Abwägung aller Nachteile und Risiken bei einem Second-Hand-Flirt unabdinglich. Mit welchem Modell der Serie 360 soll denn eine /125 verglichen werden?

Der Tanz beginnt

Ist jedoch die Entscheidung zugunsten eines Gebraucht-Computers gefallen, kennt man gar schon das Modell in der genauen Konfiguration, beginnt erst der eigentliche Tanz. Die Chance, eine Anlage in dem genau gewünschten Umfang direkt bei einem verkaufswilligen Letztbenutzer zu finden, ist gleich Null. In der Regel wendet man sich an einen Broker oder sucht die Maschine per Anzeige, woraufhin man postwendend zwanzig Angebote über genau die gesuchte Konfiguration erhält, alle mit dem Hinweis, daß die Anlage nur kurzfristig verfügbar ist und deshalb eine Entscheidung möglichst umgehend zu treffen sei.

Poker am Beuteanteil

Die Angebote stammen aus Lintorf, Essen, Heidelberg, Berlin, Stuttgart, Neustadt, Hegnach, Düsseldorf, der Schweiz, England und Skandinavien. Mit der großen IBM haben diese Unternehmen häufig nur die Anzahl der Buchstaben im Firmennamen gemeinsam - meist drei, mit einem "C" beginnend. Auch ansonsten unterscheiden sich die Angebote nicht wesentlich. Entweder meinen sie alle ein und dieselbe Anlage oder es handelt sich um sogenannte Phantome, Branchenjargon für frei erfundene Maschinen. Zweck dieses zunächst seltsam anmutenden Handels ist es, eine verbindliche Bestellung aufgrund des den Interessenten verblüffenden Angebots zu erhalten. Wird diese erreicht, sucht man mit Hilfe der anderen Broker die versprochene Anlage zu möglichst einem Preis zusammen, um die nächste Zeit überwintern zu können - denn Abschlüsse dieser Art sind selten geworden. Hat einer erst erkannt, daß er gerade über das Teil verfügt, welche zu der zu findenden Anlage unabdinglich ist, beginnt das Pokern um den Beuteanteil .

Der Interessent könnte solche Tricks leicht durchschauen, würde er nur auf Angeboten mit den Seriennummer der entsprechenden Geräte und dem derzeitigen Standort bestehen. Dies jedoch sind den Brokern meist selbst nicht bekannt oder werden wie lupenreine Zwölf-Karäter gehandelt.

Das Mißtrauen der ehrenwerten Gesellschaft, gepaart mit der unter Brokern epidemisch verbreiteten Liquiditätsschwäche, läßt eine weitere Merkwürdigkeit verstehen: Gezahlt wird nur mit unwiderruflichen Bankenakkreditiven, welche nach Vorlage der Lieferpapiere zu erfüllen sind. So kontrolliert einer den anderen und verhindert, daß einer der beteiligten Kollegen eventuell weiterzureichende Gelder in die Finger bekommt.

Verdienst bescheiden

Ansonsten aber sind die Gewinne dank einer meist kollektiven Beteiligung an den Transaktionen eher bescheiden. Die Broker-Unternehmen in ihrer Geschäftigkeit verlassen aus solchen Gründen auch nie ihr Mansarden-Milieu, es sei denn auf dem Wege des Konkurses. Die Liste der Pleiten ist gespickt mit gestern noch so honorigen Namen .

IBM kann so dem Treiben sehr gelassen und amüsiert zugleich zuschauen. Während Broker Weltreisen unternehmen, um an eine Steuereinheit für einen älteren Kartenleser zu unglaublichen Preisen zu kommen, wandern die vollständigen Rückläufer der IBM, gleich welchen Alters und technischen Zustandes, bestens überwacht nach Waiblingen - in die Schrottpresse.

*Wolfgang Mudter war jahrelang im Second-Hand-Computergeschäft tätig. Die Computerwoche folgte seiner Bitte, seine heutige Position nicht zu nennen.