Kritiker bemängeln falschen Einsatz der Geldmittel

Regierung lobt sich für das eigene IT-Programm

15.03.2002
MÜNCHEN (ba) - Die Verantwortlichen im Bundesministerium für Bildung und Forschung klopfen sich für angebliche IT-Erfolge auf die eigene Schulter. So sei es gelungen, Deutschland mit einem Aktionsprogramm in den illustren Kreis der führenden Internet-Nationen zu hieven. Kritiker bemängeln jedoch, dass viele IT-Investitionen des Bundes verpuffen.

In dem jüngsten Forschungsbericht, der die Ergebnisse des Aktionsprogramms "Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts" vorstellt, pocht Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn in erster Linie auf die Zahlen. So seien die finanziellen Mittel für die Informationstechnik in den Jahren zwischen 1998 und 2002 um 40 Prozent auf 766 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt worden.

Im Bildungssektor konnten laut Bulmahn bis Herbst 2001 alle Schulen mit einem kostenlosen Internet-Zugang ausgestattet werden. Ferner nutzen fast 100 Prozent aller Hochschulstudenten einen PC für ihr Studium. Um die Entwicklung von Lernsoftware voranzutreiben, will die Ministerin in den nächsten Jahren 300 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Dieses Programm soll die Integration von Computern im Unterricht, Lehre und Studium fördern.

Milliardenprogramm für die ForschungAuch die Zahl von 70000 Ausbildungsstellen wertet Bulmahn als Erfolg. Damit habe man das selbst gesteckte Ziel, bis zum Jahr 2002 etwa 40000 Ausbildungsstellen im IT-Sektor zu schaffen, deutlich übertroffen. Mit der Greencard-Verordnung sei es darüber hinaus gelungen, 11000 IT-Spitzenkräfte nach Deutschland zu locken.

In Sachen IT-Forschung nimmt Deutschland nach Angaben der Forschungsministerin einen Spitzenplatz ein. Dieser soll in den nächsten Jahren mit einem 1,5 Milliarden Euro teuren Förderprogramm "IT-Forschung 2006" verteidigt werden. Weitere Indikatoren für den Erfolg der IT-Programme der Bundesregierung sei die Zahl von über 30 Millionen Internet- und 56 Millionen Mobilfunknutzern in Deutschland. Mittlerweile arbeiteten 822000 Beschäftigte in der IT-Branche und steuerten damit fast sieben Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.

Die Initiative D21 bewertet die IT-Aktivitäten der Regierung grundsätzlich positiv, äußert aber auch Kritik. So müssten viele Fördermaßnahmen nach den Worten des D21-Vorsitzenden und IBM-Deutschland-Chefs Erwin Staudt besser koordiniert werden. Ferner sei es notwendig, mit Hilfe bestimmter Kennzahlen den Erfolg der einzelnen Maßnahmen zu messen und damit international vergleichbar zu machen. Nur so könne man die Aufholjagd gegenüber den USA und den skandinavischen Ländern steuern. Ferner sei die Gefahr einer digitalen Spaltung der Gesellschaft trotz anderslautender Einschätzung Bulmahns längst nicht gebannt.

Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) mahnt an, die Medienkompetenz als festen Bestandteil der Lehrerausbildung zu etablieren. So sei die ITK-Industrie mit zahlreichen Initiativen in Vorleistung getreten. Nun müsse jedoch die Politik nachziehen, fordert Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder. In Sachen E-Government ließen sich Effizienz und Bürgernähe der öffentlichen Verwaltung mit Hilfe der IT deutlich erhöhen. Allerdings müssten Verfahren und Prozesse bis in die Kommunen hinein und über Verwaltungsgrenzen hinweg eingeführt werden.

Die jüngst vom Bitkom vorgelegten Zahlen präsentieren außerdem ein etwas anderes Bild der deutschen IT-Landschaft als das von Forschungsministerin Bulmahn. So sei Deutschland in Sachen PC- und Internet-Nutzung nur Mittelmaß. Auf 100 Einwohner kamen im letzten Jahr 33 PCs und 37 Internet-Nutzer. Zum Vergleich: In Skandinavien liegt die Rate in beiden Kategorien deutlich über 50. Die USA kann sogar 82 PCs auf 100 Einwohner vorweisen.

Auch in puncto Pro-Kopf-Ausgaben für Information und Telekommunikation (ITK) rangiert Deutschland mit jährlich 1665 Euro pro Kopf nur im Mittelfeld. In der Schweiz gaben die Verantwortlichen im letzten Jahr fast den doppelten Betrag aus. Auch die skandinavischen Länder sowie die USA, Großbritannien und die Niederlande liegen mit Beträgen von deutlich über 2000 Euro vor Deutschland. Das Gleiche gilt für den ITK-Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Mit 6,8 Prozent belegt Deutschland damit nur den drittletzten Platz im Ranking der westlichen Industrieländer. Schweden als Spitzenreiter erreicht eine Rate von 10,2 Prozent.

Viele Experten lassen deshalb die von der Regierung vermeldeten Erfolgszahlen kalt. Das meiste daran sei reine Augenwischerei, lautet die oft geäußerte Kritik. Mit den Zahlen versuche das Ministerium von offenkundigen Missständen abzulenken. So seien zwar mittlerweile fast alle Schulen mit Computern und einem Internet-Zugang ausgerüstet. In der Praxis könne von einem effizienten Einsatz im Rahmen des Unterrichts jedoch keine Rede sein, schimpft eine Münchner Lehrerin, die an dieser Stelle nicht genannt werden möchte. So seien beispielsweise die notwendigen Schulungen lange im Voraus ausgebucht. Darüber hinaus müssten sich die Lehrkräfte neben dem technischen Know-how auch Wissen über den pädagogischen Einsatz der Rechner aneignen. Ferner reichten zwei bis drei Rechner für 250 Schüler an der Münchner Schule bei weitem nicht aus, so ihr Fazit.

Geld für Wartung fehltRainer Dahlem, Landeschef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Baden-Württemberg, bemängelt den falschen Einsatz der zur Verfügung stehenden Finanzmittel: "Geld für Computer allein reicht nicht." So würden oft für viel Geld Rechner angeschafft, für die Wartung und Pflege seien dagegen keine Mittel eingeplant worden. Dafür müsste mindestens der gleiche Betrag wie für die Anschaffung angesetzt werden. Außerdem seien die PCs vielerorts schon längst wieder veraltet.

Auch in Sachen Softwareentwicklung müsse sich noch einiges tun. So lautete das Ergebnis einer Tagung an der Universität Bielefeld, dass etwa 80 Prozent der augenblicklich verfügbaren Lernsoftware "Schrott" sei. Befragte Studenten bemängelten, dass im Rahmen der Lehrerausbildung nur wenig über Mediendidaktik oder Lernsoftware zu hören sei. Die Ausbildung werde im allgemeinen als konventionell und konservativ eingeschätzt. Fazit der Tagung: Wer nicht in der Lage sei, sich mit der medialen Welt auseinander zu setzen, werde seinen Schülern kaum Lernalternativen bieten können.