Reduzierung der interpersonalen Kommunikation nur auf den ersten Blick ökonomisch

08.04.1982

In unserem Kultur- und Wissenschaftssystem ist offenbar für fast alle Arbeitenden die Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse gesichert. Aber bei den Sicherheitsbedürfnissen kann angenommen werden, daß diese hinsichtlich der Sicherheit des Arbeitsplatzes von immer mehr Menschen als gefährdet betrachtet werden. Dias ist gleichbedeutend mit der Aussage, daß Bedürfnisse in höheren Stufen in ihrer Bedeutung hinter diesem Sicherheitsbedürfnis zurücktreten und unsere hier angestellten Überlegungen zur Farce werden, wenn Unternehmungen diese Bedürfnisse für ihre Interessen auszunutzen gewillt sind. Wir unterstellen hier, daß dies nicht der Fall ist, und beziehen deshalb vorwiegend die Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Achtung und Selbstverwirklichung als zentrale Elemente der aktuellen Bedürfnisstruktur eines Arbeitenden in unsere Überlegungen ein.

Welche Gefahren, Probleme und Dysfunktionen können durch ungeeignete Gestaltung beziehungsweise Anwendung von Telekommunikation und Büroautomation (mit-)verursacht werden?

Dequalifizierung

Einer der herausragenden Problemaspekte ist in der Tendenz zur Arbeitsteilung und Entmischung von Tätigkeiten zu sehen, die dazu führen, daß einzelne Arbeitende nur noch ganz spezielle, repetitive Teilfunktionen in einem Mensch-Maschine-System wahrzunehmen haben, dessen Arbeitsrhythmus weitgehend von maschinell gesteuerten Arbeitsabläufen bestimmt wird. "Die fortschreitende Zerlegung der Arbeitsprozesse objektiviert die geistigen Potenzen des Arbeitsprozesses in der Technologie, zugleich reduziert sie die menschlichen Arbeitsleistungen auf mechanische Grundoperationen so weit, daß sie durch Maschinentätigkeit ersetzt werden können. " )

Auch wenn die verbleibende "Restarbeit" für den Menschen eine meist psychisch stark beanspruchende Kontrolltätigkeit beinhaltet ist das Problem einerseits in der Entwertung der Arbeit (Dequalifizierung) zu sehen und andererseits in der Tatsache, daß ein etwa vorhandener "tayloristischer Gewinn" zum Beispiel durch stärkere Austauschbarkeit der Arbeitenden und geringere Abhängigkeit von individuellen Quahfikationen kompensiert werden kann. Insbesondere der Wegfall oder die Reduzierung interpersonaler Kommunikation sieht nur auf den ersten Blick ökonomisch günstig aus. Auf den zweiten Blick erkennen wir die stets folgende Gefahr von Fehlentscheidungen und Fehlreaktionen durch den Realitätsverlust, der durch die geringe psycho-soziale (kommunizierende) Aktivität bedingt wird.

Eine entsprechende Wirkung der hochgradigen Arbeitsteilung ist in der Entfremdung der Arbeit zu sehen. Der Arbeitende erlebt sich nicht mehr als der das vonständige Arbeitsprodukt Schaffende. Das einheitliche Produkt als Ergebnis der Arbeitstätigkeit verschwindet, teilweise fehlt sogar der Überblick über den Stellenwert und die Einordnung des selbstgeschaffenen Teilproduktes in den gesamten Zusanunenhang. Eine Identifikation mit dem individuellen Arbeitsergebnis ist kaum mehr möglich (individuelle Entfremdung). Diese Tendenz wird verschärft durch eine soziale arbeitstechnische Entfernung von den anderen Arbeitenden (sozialer Entfremdung) und durch Wegfall der identitätsstabilisierenden sozialen Kommunikation. Die Folgen können sein: Realitätsverlust, psychosomatische Störungen und Fehlverhalten.

Die soziale Entfremdung ist ein erster Schritt zur sozialen Vereinzelung (Isolation). "In der weitgehenden Individualisierung und Isolation der Arbeitsplätze kommt der Mangel an (sozialer) Kommunikation und. .. Integration. .. deutlich zum Ausdruck. "2)

Neben der fehlenden sozialen Kommunikation ist auch die Unmöglichkeit der Bildung von arbeitsbezogener Gruppenidentität zu verzeichnen. Eine solche soziale Isolation ist reicht sinnvoll, weil die Gruppenidentität nicht nur erforderlich ist, um bei vorhandenem Bedürfnis sich von anderen zu unterscheiden, gleichzeitig die eigene Besonderheit in einer Gruppenidentität integriert zu wissen und diese Besonderheit positiv sanktioniert zu sehen, sondern sie kann auch umgemünzt werden in eine produktionsfördernde Konkurrenz der Arbeitsgruppen untereinander.

Monotonie

Die eintönige Wiederholungsarbeit (repetitive Arbeit), die dennoch Konzentration zur Vermeidung von Fehlern oder zur Einhaltung des Arbeitstempos erfordert, beinhaltet die Gefahr, daß das Bewußtsein des Arbeitenden nicht in der Lage ist, die einzelnen Arbeitsschritte zu einem Verhalten zu integrieren, das durch Zeit und Raum strukturiert ist. Für die Identität der Menschen und ihre Erhaltung ist jedoch eine solche bewußte Strukturierung von Raum und Zeit unerläßlich. Der psychische Zustand, der durch zunehmende Destruktion von Raum und Zeit verursacht wird, wird n der Arbeitspsychologie als Monotonie bezeichnet.

Beurteilung der Konsequenzen

Die Beurteilung der beispielhaft erörterten Probleme oder Gefahren ungeeigneter Gestaltung und Anwendung von Technologie zur Verwaltungsautomation steht vor dem Dilemma, daß viele der Konsequenzen individuell bedeutsam sind und über die Vielzahl der Individuen gesamtgesellschaftliche Probleme aufwerfen, jedoch einzelwirtschaftlich die Bedingungen kaum dazu angetan scheinen, auf diese Konsequenzen Rücksicht zu nehmen.

Die betroffenen Individuen reagieren auf die Einschränkung ihrer Bedürfnisbefriedigung und Identitätswahrung durch vielerlei dysfunktionelles Verhalten. Sie setzen psychische Abwehrmechanismen ein, um ihr Selbst zu erhalten, verwenden ihre Phantasie, um Realitätsverluste auszugleichen und reagieren auf ihre psychische Überbelastung durch Aggression, unruhevone Unlust und psychosomatische Erkrankungen. Auch wenn diese Folgen von den Individuen getragen werden, sind die nüttelbaren Konsequenzen für die arbeitgebende Organisation erheblich und verdienen stärkere Beachtung als bisher.

Hier gilt es, den Gestaltungsspielraum der informations- und kommunikationstechnischen Anwendunqssysteme sinnvoll und mit Bedacht in Hinblick auf die möglichen Folgewirkungen auszunutzen.

1) Volmerg, U.: Identität und Arbeit, erfahrung. Eine theoretische Konzeption zu einer Sozialpsychologie der Arbeit. Frankfurt, 1978, S. 53.

2) Briefs, U.: Arbeiten ohne Sinn und Perspektive? Gewerkschaften und "Neue Technologien", Köln 1980, S. 63.