Computer und Recht / Gesetzeslage bei digitalen Aktivitäten ist weltweit unklar

Rechtsprofessor warnt: "Multimedia ist Multilegia"

22.11.1996

Laut Thomas von Hoeren, Inhaber des Lehrstuhls für internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Düsseldorf, muß man sich dabei mit einem ganzen Bündel rechtlicher Probleme auseinandersetzen. Im Gestrüpp von Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Vertragsrecht, Datenschutzrecht, Strafrecht und internationalem Recht haben hochfliegende Pläne kaum eine Chance. Allein in den Fängen des Urheberrechts verstrickt sich schnell, wer für seine multimediale Online-Präsentation eine Vielzahl an Texten, Bildern und Musiksequenzen vorgesehen hat.

Alles ist urheberrechtlich geschützt, ob es sich um die geistigen Schöpfungen eines Autors oder Komponisten handelt oder um die Leistung von Tonträger-, Filmherstellern, Schauspielern und Musikern. Alles, was nicht völlig banal ist, genießt in Deutschland den vollen Schutz des Urheberrechts.

Ein mittelständisches Unternehmen, zeigt der Juraprofessor an einem Beispiel, benötigt für eine Jubiläums-CD-ROM einige Texte, Filmausschnitte und Musiksequenzen. Ohne Mühe lassen sich 400 Rechteinhaber identifizieren. 50 sind allerdings bereits gestorben, man bekommt es somit mit zahlreichen Erbengemeinschaften zu tun. Die Zahl der Zustimmungsberechtigten hat sich auf 600 erhöht. Unter dem Strich bleiben vielleicht 550, und 50 verweigern ihre Zustimmung. Nach zwei Jahren ist das Projekt gescheitert.

"One-stop-Shopping", eine Idee der Europäischen Kommission aus dem letzten Jahr, soll für Erleichterung sorgen. "Man geht sozusagen in ein Geschäft und erwirbt alle benötigten digitalen Rechte", klärt von Hoeren auf. Was in der Theorie noch ganz passabel anmutet, stößt in der Praxis jedoch bald an Grenzen. Denn Verwertungsgesellschaften wie die Gema, die VG Bild/Kunst und die VG Wort machen den Erwerb von digitalen Rechten zumindest in Deutschland zum Spießrutenlauf.

Verwertungsgesellschaften kämpfen für ihre Klientel

Die Gema ist für Vervielfältigungsrechte zuständig, für die bis zu zehn Prozent des Händler-Nettopreises auf den Tisch zu legen sind. Will man verändern, anpassen und digitalisieren, muß man mit den Urhebern verhandeln. Umgestaltungsrechte muß der Urheber selbst wahren, sagt der Gesetzgeber.

Für den Online-Bereich sieht es noch schlimmer aus, denn hierfür ist die Gema nicht zuständig. Allerdings plant sie derzeit eine Änderung des Wahrnehmungsvertrags. Demnach sollen alle digitalen Musikrechte auf die Gema übertragen werden. Dann bekäme man alle Musikrechte etwa für eine Internet-Produktion ebenfalls von der Verwertungsgesellschaft.

Die VG Wort hingegen besitzt überhaupt keine Kontrollbefugnisse. "Die VG Wort hat nichts zu sagen, und sollte man eine Rechnung bekommen, braucht man sich nicht beeindrucken zu lassen", lautet der Rat des Düsseldorfer Juristen. Bei der VG Bild/ Kunst haben Architekten und Maler ihre gesamten digitalen Rechte bereits auf ihre Verwertungsgesellschaft übertragen.

Fotografen machen Front gegen Internet-Provider

Fotografen scheinen die bei weitem schwierigste Gruppe zu sein. Was den Bildungsbereich anbelangt, haben sie ihre digitalen Rechte vor wenigen Monaten abgetreten. Schulen können Rechte direkt bei der VG Bild/Kunst erwerben. Eine dritte Gruppe innerhalb der VG Bild/Kunst sind die Filmurheber. Wie von Hoeren weiß, übertragen sie ihre Rechte sehr großzügig auf die VG Bild/ Kunst.

Vom One-stop-Shopping ist man in Deutschland also weit entfernt, so von Hoeren in seinem Resümee. Ein zweites Problem berührt das Urheberpersönlichkeits-Recht, also die Möglichkeit, gegen jegliche Entstellung vorzugehen. "Vor allem die Fotografen sind betroffen", umreißt von Hoeren das Problem. "Sie bekommen eine Gänsehaut, wenn sie sehen, wie ihre Bilder im Internet verhunzt werden." Fotografen machen deshalb Front gegen Internet-Provider und wissen dabei die Rechtsprechung auf ihrer Seite. Wer sich vor Rechtsstreitigkeiten mit Fotografen schützen wolle, gibt von Hoeren zu bedenken, sollte sie rechtzeitig informieren und in den Produktionsprozeß einbeziehen.

Nachdenken über ein staatliches Internet-Amt

Alle vor 1990 geschlossenen Verträge erstrecken sich nicht auf digitale Rechte. "Man muß jeden einzelnen nachverhandeln", so von Hoeren. Wird nicht verhandelt, hat der Betroffene einen Anspruch auf Vernichtung, zum Beispiel einer CD-ROM. Noch komplizierter ist es beim Internet, wie die digitalen Silberscheiben eine neue Nutzungsart. Alle Verträge vor 1995 müssen nachverhandelt werden. Einen großen Trumpf hat man dabei, wenn die digitalen Rechte bereits Gegenstand der Altverträge sind.

Weitere Tücken hat das Wettbewerbsrecht. Vor allem in Fragen des Online-Marketings steht es auf der Tagesordnung. Wer zum Beispiel unaufgefordert E-Mails verschickt, verstößt gegen Wettbewerbsrecht. Zudem sollte das Trennungsgebot beachtet werden: Sind Werbung und redaktioneller Teil deutlich voneinander zu unterscheiden? Im Internet bei jedem Hyper-Link eine Warnung anzubringen: "Achtung Werbung!", kann nicht die Lösung sein.

Schließlich gibt es noch das Markenrecht: Wer schützt eigentlich Internet-Adressen? Ein erstes Urteil sprach unlängst das Landgericht Mannheim, demnach gilt im Internet das gleiche Markenrecht wie in anderen Bereichen. Wie von Hoeren weiß, ist ein staatliches Internet-Amt in der Planung, das für alle rechtlichen Probleme, so auch bei der Adressenvergabe, zuständig ist.

Wie steht es um das Vertragsrecht im Internet? Wie beweist man zum Beispiel, daß dort ein Vertragsschluß stattgefunden hat? Legt man Urkunden vor, ist das Problem laut aktueller Rechtsprechung gelöst. Nach der Zivilprozeßordnung (ZPO), erklärt von Hoeren, müssen Urkunden handschriftlich unterzeichnet und authentifizierbar sein. Beides ist jedoch im Internet nicht möglich. Der Gesetzgeber plant deshalb im Rahmen des neuen Multimedia-Gesetzes die Einführung einer digitalen Signatur, die den herkömmlichen Urkunden gleichgestellt ist, sofern digitale Unterschriftsverfahren existieren. Ferner muß eine Zertifizierungsstelle die Richtigkeit der Unterschrift überprüfen.

Ein weiteres Problem ist die Haftungssituation: Wer im Internet Angebote unterbreitet, muß für deren Richtigkeit geradestehen. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist die Haftung für die Richtigkeit der Inhalte im Internet ein vorrangiges Problem. Einen Haftungsausschluß gibt es nach deutscher Rechtsprechung nicht.

Spätestens beim Datenschutzrecht beginnt das Kartenhaus zumindest zu wanken. "Welcher Kunde hat welche Homepage wie benutzt?", lautet die Frage der Online-Marketiers, die sich darum bemühen, den Internet-Kunden möglichst gläsern zu machen. Doch nicht nur von Hoeren fragt, ob solche Erhebungen überhaupt datenschutzrechtlich zulässig sind. In Deutschland gibt es dazu die strengsten Gesetze auf der ganzen Welt. Jede Verarbeitung personenbezogener Daten ist automatisch verboten, es sei denn, man ist im Besitz einer ausdrücklichen Genehmigung des Kunden. Jede Nutzung von Bestandsdaten zum Zwecke der Werbung oder der Meinungsforschung ohne ausdrückliche Einwilligung des Kunden ist verboten, so schreibt es das Multimedia-Gesetz vor. Will man allerdings reine Statistik betreiben - wieviel Kunden haben was gemacht? - gibt es kein Problem.

Vor allem zum Thema Datenübermittlung steht den Juristen noch einige Arbeit ins Haus. Innerhalb Europas, so sieht eine europäische Datenschutzrichtlinie vor, könne man Daten - auch im Internet - frei übermitteln, weil ein hohes Datenschutzniveau den Mißbrauch verhindere. Doch wie sieht es in den USA aus? Von Hoeren: "Man darf nur Daten ins nichteuropäische Ausland transferieren, wenn sie dort auf ein angemessenes Datenschutzniveau treffen. Dies ist in den USA nicht der Fall. Es gibt Bundesstaaten, die überhaupt kein Datenschutzgesetz haben, andere haben ihre Gesetze vor zwanzig Jahren wegen Unzulänglichkeit abgeschafft." Schon drohen die Amerikaner mit einem Handelskrieg, der vor der internationalen Handelskammer ausgetragen werden soll.

Spätestens beim Strafrecht hört der Spaß auf. Als Content-Provider ist man für die Richtigkeit seiner Inhalte verantwortlich. Keine Verantwortung tragen die Access-Provider, so sieht es jedenfalls das neue Multimedia-Gesetz vor. Doch wann ist ein Inhalt fremd, wer stellt das fest?

Was sich bis hierher noch einigermaßen lösen läßt, wird spätestens beim internationalen Recht vollends unüberschaubar. Das Internet berührt globale Fragen, deutsches Recht ist wirkungslos. Für welche Umstände gilt das deutsche Urheberrecht? Ein Anbieter von Multimedia-Inhalten muß sich der rechtlichen Bedingungen aller seiner Nutzer vergewissern. Diese können in den USA oder in der Mongolei sitzen. Die Europäische Kommission möchte sich an den Erlaß zum Satellitenrundfunk anlehnen. Diese Richtlinie erklärt den Sitz des Anbieters für entscheidend. Wer seinen Geschäftssitz also auf die Seychellen verlegt, dem droht kein Unheil. Denn dort gibt es kein Urheberrecht. "In einer Urheberrechts-Oase kann man machen, was man will", sagt von Hoeren.

Nur ein international einheitliches Recht könne die Antwort auf solche Probleme sein. Doch davon, erwartet Jurist von Hoeren, könne man wahrscheinlich noch 200 Jahre träumen. Ähnliche Fallstricke beim Wettbewerbsrecht: Was passiert bei Werbung für alkoholische Getränke? Das Saudi Arabian Internet Office etwa überzieht die gesamte elektronische Welt mit Abmahnungen, denn nach seinem Dafürhalten liegt bei solcher Werbung ein klarer Verstoß gegen saudiarabisches Wettbewerbsrecht vor.

Es gilt der Ort des "finalen Markteingriffs"

In den Niederlanden, so ein anderes Beispiel, ist vergleichende Werbung zulässig. Was passiert, wenn jemand vergleichende Werbung online von Holland aus anbietet? Folgt man der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt, gilt der Ort des "finalen Markteingriffs", mit anderen Worten: Worauf zielt das Angebot im Internet? Doch wer kann etwa im englischsprachigen Raum beurteilen, auf welches Land sich ein Angebot konzentriert? Im Strafrecht gibt es die Diskussion, was Pornografie sei. Aus der Sicht eines Amerikaners oft etwas anderes als aus der eines Dänen. Stellt ein Däne Pornografie ins Internet, kann er dann bei Betreten der USA sofort festgenommen werden? Für diese Probleme gibt es weit und breit keine Lösung.

"Multimedia ist Multilegia", urteilt von Hoeren. Eine ganze Reihe von Rechtsordnungen ist zu berücksichtigen. Vieles könne man vertraglich steuern, und auch über das neue Multimedia-Gesetz komme etwas Licht ins Dunkel. Der überwiegende Teil aber bleibt schlichtweg ungeklärt. Wer sich unter solchen Vorzeichen dennoch zu einem Engagement entschließt, muß mit dem Schlimmsten rechnen.

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Ob Urheber-, Wettbewerbs-, Vertrags- oder sonstiges Recht - im Internet sind die Chancen, diese Ansprüche derzeit durchzusetzen, gering. Die EU-Kommission überlegt deshalb, das sogenannte One-stop-Shopping einzuführen. Damit meinen die Brüsseler Eurokraten, daß man von einer bestimmten Stelle alle digitalen Rechte erwerben kann. Rechtsexperten bezweifeln allerdings, ob diese Form der Rechteverwertung funktioniert.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.