BGH hebt Urteil auf

Rechtsklarheit beim Handel mit gebrauchter Software

22.07.2013
Von  und
Dr. Jolanta Kostuch ist Rechtsanwältin bei Meisterernst Rechtsanwälte in München.
Andreas Meisterernst ist Rechtsanwalt bei Meisterernst Rechtsanwälte in München.
Im Streit zwischen Oracle und Usedsoft ist nun wieder das OLG München am Zug. Die COMPUTERWOCHE stellt die verschiedenen Standpunkte einander gegenüber. Jolanta Kostuch und Andreas Meisterernst beschreiben hier die Situation aus Sicht der Händler von Gebrauchtsoftware.
Vertrag, Unterschrift, Verhandlung 16zu9
Vertrag, Unterschrift, Verhandlung 16zu9
Foto: yellowj, Fotolia.com

Der Handel mit gebrauchter Software ist in den letzten Wochen wieder verstärkt in den Fokus medialer Aufmerksamkeit gerückt. Hintergrund ist, dass der Bundesgerichtshof (BGH) am 17. Juli 2013 erneut in dem sich seit 2006 hinziehenden Verfahren Oracle vs Usedsoft mündlich verhandelt hat. Zuvor hatte in einer Grundsatzentscheidung der EuGH (Rs. C-128/11 vom 3. Juli 2012), also das höchste europäische Gericht, den Handel mit "gebrauchter Software" für zulässig erklärt, und zwar unabhängig davon, auf welchem Wege die Weitergabe der Softwareprogramme erfolgt (ist). Der EuGH ist alleine zur verbindlichen Auslegung von europäischen Rechtsnormen und damit der zu Grunde liegenden Softwarerichtlinie berufen. Der BGH hatte nunmehr nur noch dessen Vorgaben zu beachten und umzusetzen. Zur Klärung einiger tatsächlicher Fragen hat er das Verfahren an das OLG München zurückverwiesen. Hinsichtlich der zugrunde liegenden Rechtsfragen hat er aber die Grundsatzentscheidung des EuGH vollumfänglich bestätigt.

Grundlage EuGH-Urteil: Was ist daran neu?

Dass Softwarehersteller mit Hilfe ihrer anwaltlichen Vertreter in den letzten Wochen wieder mit geballter Kraft ("Handel mit Gebrauchtsoftware: kleines ja - großes aber" von Peter Bräutigam und Konrad Zdanowiecki und "Gebrauchtsoftware: Schnäppchen mit Risiko" von Oliver Wolff-Rojczyk) versuchen, die Auswirkungen des EuGH-Urteils für die Softwareindustrie zu relativieren, ist nicht nachvollziehbar. Schließlich hatte sich der EuGH im vergangenen Jahr klar und deutlich für die grundsätzliche Zulässigkeit des Handels mit gebrauchter Software ausgesprochen. So lautete es in der offiziellen Pressemitteilung des EuGH zusammenfassend und eindrücklich: "Ein Softwarehersteller kann sich dem Weiterverkauf seiner "gebrauchten" Lizenzen, die die Nutzung seiner aus dem Internet heruntergeladenen Programme ermöglichen, nicht widersetzen. Das ausschließliche Recht zur Verbreitung einer derart lizenzierten Programmkopie erschöpft sich mit dem Erstverkauf". Punkt - ohne wenn und aber!

Die Entscheidung wurde nach ihrer Verkündung überwiegend als große "Überraschung" betitelt und in der Presse unter anderem mit den Worten "explosiv" beziehungsweise "Sensation" begleitet. Auch dies ist nur teilweise nachvollziehbar. Zwar wird man auf der einen Seite nicht von der Hand weisen können, dass die Entscheidung überraschend war - gerade in Anbetracht des Umstandes, dass die Vorinstanzen sich zur Frage der Zulässigkeit des Handels mit gebrauchter Software bei zum Download bereitgestellten Computerprogrammen weniger liberal gezeigt hatten. Auf der anderen Seite ist das Urteil in der Sache selbst keineswegs "sensationell" oder "überraschend", sondern eine logische und konsequente Anwendung etablierter Rechtsauffassungen auf neue Arten des Softwarevertriebs.

Der Gedanke der Erschöpfung des Verbreitungsrechts im Handel mit gebrauchter Software ist nämlich keinesfalls neu. Sowohl Art. 4 Abs. 2 der europäischen Softwarerichtlinie 2009/24/EG als auch die entsprechende deutsche Vorschrift des Urhebergesetzes bestimmen, dass sich das Recht auf die Verbreitung einer Programmkopie mit dem Erstverkauf dieser Programmkopie durch den Rechteinhaber oder mit seiner Zustimmung erschöpft. Dies bedeutet nichts anderes, als dass der Softwarehersteller nach dem Verkauf keinen Einfluss mehr darauf haben soll, wer das Programm nutzt.

Der Erschöpfungsgrundsatz basiert nicht zuletzt auf dem Gedanken, dass der Rechteinhaber mit dem Kaufpreis eine Grundgebühr für die zeitlich unbefristete Nutzung seines Softwareprogramms bekommen hat. Bei auf einem Datenträger aufgespielten Softwareprogrammen - das war Jahre lang gängige Praxis - wurde die Anwendbarkeit des Erschöpfungsgrundsatzes wegen der eindeutigen Gesetzesvorgaben nicht in Frage gestellt. Jetzt steht die freie Verkehrsfähigkeit von allen verkauften Softwareprogrammen fest, egal in welcher Form der Vertrieb erfolgt.

Damit hat Usedsoft stellvertretend für den gesamten Softwarehandel vor dem höchsten Europäischen Gericht einen klaren Sieg errungen. Der EuGH hat - und das ist das wesentlich Neue an der Entscheidung - klar entschieden, dass das Verbreitungsrecht sich unabhängig von der Vertragsgestaltung mit dem Erstverkauf erschöpfe, weil er in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht keinen Unterschied zwischen dem (Weiter)Verkauf von Software unter Weitergabe einer körperlichen Kopie und dem (Weiter)Verkauf von Software unter Einräumung einer Download-Möglichkeit gesehen hat.

Insoweit betonte der EuGH mehrfach, dass die Übertragung der Nutzungsrechte und die Weitergabe/der Download des Programms als eine Einheit zu betrachten seien. Der "Käufer" ist - wie auch bei physischen Gegenständen, wie etwa einem Buch - berechtigt, das Software-Programm sein Leben lang zu nutzen. Entscheidet er sich irgendwann dafür, das Programm nicht mehr nutzen zu wollen, so soll ihm die Möglichkeit gegeben werden, dieses erworbene Nutzungsrecht auf andere zu übertragen, ohne dass der Softwarehersteller ein weiteres Mal dafür vergütet werden muss.

Neu war außerdem die bemerkenswerte Deutlichkeit, mit der das höchste Europäische Gericht seine Aussagen getroffen hatte. Die Grundsatzentscheidung hat außerdem zur Konsequenz, dass Softwarehersteller nicht mehr - das war die bisherige Praxis - im Rahmen ihrer Vertragsautonomie den Handel mit gebrauchter Software durch Aufnahme einer entsprechenden Klausel in den "Lizenzvertrag" ausschließen dürfen. Insoweit wurde klargestellt, dass der Rechteinhaber sich, auch wenn der Vertrag eine solche Verbotsklausel enthält, dem Weiterverkauf nicht widersetzen darf. Kurz gesagt: Herstellerseits in den Vertrag aufgenommene Weiterveräußerungsverbote und Abtretungsverbote sind unbeachtlich!

Einschränkungen des EuGH: Löschung und Aufspaltung von Lizenzen

Der EuGH hat seine weitreichenden Aussagen nur unter einem Gesichtspunkt eingeschränkt: Der Verkäufer der gebrauchten Software muss die auf seinem Rechner oder Datenträger befindliche Kopie des Softwareprogramms löschen. Damit soll sichergestellt werden, dass der Erstkäufer das Softwareprogramm nach dem Verkauf nicht weiter benutzen kann. Dies ist bei physischen Gegenständen, wie beispielsweise einem Buch, von Natur aus sichergestellt, da nur einer das Buch besitzen kann. Bei auf einem Datenträger befindlichen Software-Programmen ist dies bereits problematischer, da es hier grundsätzlich möglich ist, eine Kopie des Datenträgers (beispielsweise der CD/DVD) anzufertigen und diese zu behalten. Dieselbe Gefahr sieht der EuGH bei zum Download bereitgestellter Software auch. Vor diesem Hintergrund ist das "Löschungserfordernis" aber nichts Neues, vielmehr eine Parallele zum Gedanken der Vernichtung von "Sicherheitskopien" bei auf Datenträgern gehandelter Software.

Das in der Presse viel diskutierte vermeintliche "Aufspaltungsverbot" von Volumenlizenzen ist ein Mythos, denn der EuGH hat in seiner Entscheidung weder den Begriff noch das Verkaufsmodell von Volumenlizenzen in irgendeiner Weise erwähnt. Lediglich in Fortsetzung des Löschungsgedankens hat der EuGH am Rande erwähnt, dass die Erschöpfung des Verbreitungsrechts den Ersterwerber nicht dazu berechtige, von ihm erworbene Client-Server-Lizenzen aufzuspalten - nur diese sind Gegenstand des Verfahrens Oracle vs Usedsoft und nur auf diese hat der EuGH die einschlägige Passage bezogen.

Bei solchen Lizenzen wird dem Erstkäufer das Recht eingeräumt, das erworbene Programm einmal auf den Server herunterzuladen und zu speichern, allerdings mehreren Personen Zugriff auf das Programm zu gewähren. Es geht also um mehrere Zugriffsrechte auf eine installierte Programmkopie. Hier - so der EuGH - ist ein Verkauf nur eines (abgespaltenen) Teils der Zugriffs- beziehungsweise Nutzungsrechte verboten, da, um den Zugriff sowohl des Erstkäufers (übrig gebliebene Anzahl von Nutzungsberechtigungen) als auch des Zweiterwerbers (erworbene Anzahl der Nutzungsberechtigungen) zu gewährleisten, der Zweiterwerber das Softwareprogramm aus dem Internet herunterladen müsste, der Erstkäufer sein bereits gespeichertes Programm aber nicht löschen könnte. Es wäre also die Speicherung zweier Kopien des Softwareprogramms notwendig, obwohl nur eine Kopie verkauft wurde.

Bei Volumenlizenzen - und das lassen die Kritiker des Urteils (bewusst) außer Acht - verhält es sich gänzlich anders. Hier werden Nutzungsrechte in Pakten dergestalt verkauft, dass für jedes einzelne Nutzungsrecht die Erlaubnis eingeräumt wird, eine Kopie einer Datei zu laden. Der Käufer von 100 Volumenlizenzen erhält damit die Erlaubnis das erforderliche Software-Programm auf 100 unterschiedlichen Computern gleichzeitig zu nutzen. Im Fall von "Volumenlizenzen" gibt es überhaupt keinen Grund, der ein Verbot des teilweisen Weiterverkaufs rechtfertigen könnte, da Kopien in der verkauften Anzahl an Softwareprogrammen problemlos gelöscht werden können.

Erwähnt sei in diesem Zusammenhang noch, dass sich aus dem EuGH-Urteil auch keine faktische beziehungsweise wirtschaftliche Einschränkung wegen einer angeblichen Nichtübertragbarkeit der Wartungsverträge ergibt, wie seitens der Softwareindustrie häufig geäußert wird. Der EuGH differenziert in seinem Urteil zwischen Wartungsverträgen, die sich von dem Programmkauf abtrennen lassen (also aufgrund eines eigenständigen Vertrages abgeschlossen werden) und Verträgen, die - wie gewöhnlich - unmittelbar mit dem Programmkauf zusammenhängen (also an den Kaufvertrag gekoppelt sind). Letztere gewähren ein unbefristetes Recht zur Aktualisierung der Software und sind an den Erwerb dieser Software gekoppelt, so dass jeder Erwerber der Software berechtigt ist, diese Ansprüche durchzusetzen. Programme, die mittels eines Wartungsvertrages gepflegt werden, können in der aktuellen Fassung veräußert werden.

Kritik an der EuGH-Entscheidung ist nicht berechtigt

Dass diese eindeutige Grundsatzentscheidung des EuGH für einen Aufschrei in der Softwarebranche sorgte, war abzusehen. Dass dieses Urteil auf scharfe und beharrliche Kritik stößt, war angesichts der Mächtigkeit der Softwareindustrie ebenfalls vorprogrammiert. Die Einwände sind aber rein interessengesteuert. So wenden die Kritiker des EuGH-Urteils ein, der EuGH habe eine Erschöpfung in dem zu entscheidenden Fall zu Unrecht angenommen. Vielmehr sei aufgrund klarer Hinweise in den einschlägigen Richtlinien eine Erschöpfung bei online übermittelter Software nicht beabsichtigt.

Die Argumentation ist zum einen falsch. Der EuGH wendet nicht rein wörtlich den Richtlinientext an, sondern legt diesen anhand nachvollziehbarer rechtlicher und wirtschaftlicher Wertungen aus und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Übertragung gebrauchter Software auf einem Datenträger nicht anders behandelt werden kann, als die Übertragung gebrauchter Software, die unkörperlich übertragen wurde. Zum anderen ist die Kritik eine völlig unerhebliche Urteilsschelte, sowohl der EuGH als auch der BGH sind ihr nicht gefolgt.

Auch wird eingewendet, dass der EuGH hier nationales Recht aushebelt, sei es indem er das Erfordernis der Zustimmung des Rechteinhabers zu einer Übertragung von Nutzungsrechten missachte, sei es dass er gegen den Grundsatz der Vertragsfreiheit verstoße oder die deutsche Eigentumsordnung verkenne. Alle drei Einwände sind gleichermaßen unerheblich, da sie den in der Europäischen Union geltenden Vorrangs des Europa-Rechts und den Grundsatz der europarechtskonformen Auslegung außer Acht lassen. Nicht das Europäische Recht muss sich an die nationalen Rechtsordnungen anpassen, sondern die nationalen Rechtsordnungen müssen sich an das Europa-Recht anpassen, um eine einheitliche europäische Rechtsordnung als tragendes Prinzip des Binnenmarktes zu gewährleisten.

Der BGH hat verhandelt: So geht es weiter

Der BGH hat im Anschluss an die mündliche Verhandlung am 17. Juli 2013 das zu Lasten der Usedsoft ergangene Urteil des OLG München aufgehoben. Die Revision war also erfolgreich. Damit wurde auch den Bemühungen der Gegenseite, die Richtigkeit und Anwendbarkeit des EuGH-Urteils in Frage zu stellen, eine klare Absage erteilt.

In seiner Pressemitteilung vom 18. Juli 2013 (Nr. 126/13) erklärt der BGH, dass vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils ein Anspruch auf Unterlassung des Weiterverkaufs von gebrauchter Software, die von der Hersteller-Homepage heruntergeladen werden muss, nach den bisherigen Feststellungen nicht besteht. Usedsoft verleite ihre Kunden nicht dazu - das war der eigentliche Vorwurf -, das erworbene Computerprogramm in unberechtigter Weise zu vervielfältigen, da eine Vervielfältigung durch einen rechtmäßigen Erwerber erlaubt sei und der Zweitkäufer nach den Ausführungen des EuGH als "rechtmäßiger Erwerber" anzusehen sei.

Wörtlich heißt es in der Pressemitteilung des BGH: "Dabei setzt ein Weiterverkauf der von der Internetseite des Urheberrechtsinhabers heruntergeladenen Programmkopie nicht voraus, dass die Beklagte ihren Kunden einen Datenträger mit einer "erschöpften" Kopie des Computerprogramms übergibt. Vielmehr kann ein solcher Weiterverkauf auch dann vorliegen, wenn der Kunde die ihm von der Beklagten verkaufte Kopie des Computerprogramms von der Internetseite des Urheberrechtsinhabers auf seinen Computer herunterlädt."

Auch im Übrigen folgt der BGH vollständig der Linie des EuGH, indem er die Zulässigkeit der Softwareübertragung lediglich davon abhängig macht, dass die Software dem Erstkäufer zur dauerhaften Nutzung überlassen wird und nach der Übertragung von diesem "unbrauchbar gemacht" wird. Da nun überprüft werden soll, ob diese bislang im Rechtsstreit nicht relevanten Voraussetzungen vorliegend erfüllt sind, hat der BGH den Rechtsstreit zur Klärung dieser Tatsachenfragen an das OLG München zurückverwiesen. Das OLG ist dabei an die Rechtsprechung des EuGH und des BGH gebunden und damit verpflichtet, die Vorgaben zu befolgen. Überraschungen hinsichtlich der Rechtsfragen sind deswegen nicht mehr zu erwarten. (mhr)