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Erst Emotionen, dann Ideologie

Rechte Propaganda im Netz

12.07.2012
Hetzlieder, Parolen, subversive Videos - Rechtsextreme verbreiten ihre Propaganda zunehmend über Soziale Netzwerke. Dort erreichen sie ihre junge Zielgruppe. Jugendschützer warnen, dass ein Nährboden für rechte Gewalt entstanden ist.

Die Melodie: Pippi Langstrumpf. Der Text: "Hey fauler Türke". Wenn Rechtsextreme im Internet Propaganda verbreiten, sind nicht unbedingt Hakenkreuze zu sehen. Sie versuchen es mehr oder weniger subtil - und setzen dabei auf die Sozialen Netzwerke. Den fremdenfeindlichen Song mit der fröhlichen Melodie verbreitete ein Neonazi etwa über Facebook und das Musikportal Soundcloud. "Die Mitmach-Plattformen im Netz sind für Rechtsextreme inzwischen das wichtigste Rekrutierungsfeld", warnte der Jugendschützer Stefan Glaser am Mittwoch in Berlin.

Neue Zahlen von Jugendschutz.net belegen das. Im vergangenen Jahr gingen bei der Beschwerdestelle 629 Hinweise auf rechtsextreme Inhalte im Web 2.0 ein, also bei Plattformen wie Facebook, Twitter und YouTube - 2010 waren es nur 270. In 978 Fällen beschwerten sich Nutzer zudem über klassische Websites, die meist aus dem Umfeld von Neonazi-Gruppen, autonomen Nationalisten oder rechtsextremen Versandhändlern stammten. Das waren 100 mehr als im Vorjahr. Mit diesen Beschwerden dürften aber längst nicht alle Hetz-Inhalte erfasst sein.

Die Neonazis lancieren ihre Propaganda sehr geschickt. Zum einen setzen sie auf Portale mit großer Reichweite und verbreiten ihre Kampagnen über Facebook, YouTube und zunehmend auch Twitter. Zum anderen ködern sie Kinder und Jugendliche mit emotionalen Themen, die nichts mit der rechten Ideologie zu tun haben: Kindesmissbrauch, Arbeitslosigkeit, Finanzkrise. So erreichen sie Nutzer außerhalb der Szene. Auch subversiv wirkende Aktionen mit griffigen Slogans sollen Neugier wecken. Die harte Ideologie folgt später.

"Das alles verläuft offen und ist Teil der Wirklichkeit", sagte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Daher dürfe niemand nach Taten wie den Morden der rechtsextremen Terrorgruppe NSU überrascht sein: "Das Internet ist für die Rechtsextremen ein wichtiger Aktionsraum." Der Nährboden für rechte Gewalt werde oft in den Sozialen Medien bereitet.

Der Kampf gegen die rechtsextreme Propaganda ist jedoch mühsam. Zwar konnte Jugendschutz.net viele Inhalte löschen lassen. Glaser lobte, dass deutsche wie ausländische Plattformen schnell reagieren und beanstandete Inhalte löschen - in 90 Prozent der Fälle sei das gelungen. Doch wo ein Video gelöscht wird, wird nicht selten ein neues hochgeladen.

Die Jugendschützer fordern aber noch mehr Engagement von den Netzwerken: "Bei massivem Missbrauch muss ich als Plattform-Betreiber selbst tätig werden", sagte Glaser. Sie könnten zum Beispiel nach "szenetypischen Begriffen" suchen und extreme Beiträge proaktiv bekämpfen. Bei Facebook sei das schon üblich, betont der Marktführer. Das Unternehmen habe "komplexe Systeme entwickelt", um Inhalte zu markieren oder gleich zu stoppen, die "gegen die Richtlinien verstoßen". Missbrauch auf der Plattform solle proaktiv identifiziert und bekämpft werden.

Glaser forderte zudem, dass gleiche oder ähnliche Inhalte nicht erneut hochgeladen werden können - etwa indem die Betreiber von gesperrten Videos eine Art Fingerabdruck anfertigen und mit diesem Kopien ausfiltern. Das werde schließlich auch schon bei Verstößen gegen das Urheberrecht getan. Ein solches Vorgehen lehnt YouTube allerdings ab: Jedes Video müsse einzeln bewertet werden. Allein der Kontext zeige, ob es sich um rechte Propaganda handle oder zum Beispiel um eine politische Dokumentation.

Krüger sieht auch die "Netzgemeinde" stärker in der Pflicht. Diese dürfe nicht nur über Datenschutz und Freiheit im Netz diskutieren, sondern müsse auch etwas gegen Extremismus tun. Aktiv werden kann jeder einzelne: Mit Kommentaren und mit Hinweisen auf extreme Inhalte. Denn alle Portale haben Richtlinien für "hate content", also hasserfüllte Inhalte. Gemeldete Posts und Videos werden überprüft - und womöglich gelöscht. (dpa/tc)