Rechnerverbundnetze

28.03.1980

Getreu dem Motto "Alle reden von Recherverbund - wir auch" verhalten sich schon seit geraumer Zeit alle führenden DV-Hersteller ob mit drei oder mit mehr Buchstaben. Kaum ein DV-Fachkongress vergeht, ohne daß dort die Garde der Hersteller das hohe Lied ihrer Rechnerverbunsnetze vortragt, in tiefe und höhere Ebenen ihrer Netzwerkarchitektur Einblick gewährt und ihr Credo auf die Paketvermittlungstechnik zum Besten gibt.

Indes, die kritische Frage sei erlaubt, wieviel hiervon Absichtserklärung, Marketingaussage oder tatsächliche Wirklichkeit der Implementierung und der praktischen Nutzanwendung ist. Auffallend bleibt jedenfalls, daß auf den schon erwähnten Fachkongressen Erfahrungsberichte von Anwendern über realisierte Lösungen von Rechnerverbundnetzen höchst selten sind. Ja, es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, daß hier die "Vernetzungsexperten" der Hersteller unter sich "sophistizieren"- und dabei in Gefahr geraten, am Bedarf der Benutzer vorbei zu planen.

"Alle reden vom Rechnerverbund - wir auch"

Dabei kommt dem Schlagwort "Rechnerverbundnetz" und der damit im Zusammenhang stehenden "Paketvermittlungstechnik" eine stetig wachsende Bedeutung zu. Die Bedeutung dieser Verfahren und Möglichkeiten resultiert aus dem zunehmenden Bedürfnis der Anwender

- die verschiedenen Bereiche oder Sparten eines Unternehmens in ein einheitliches Kommunikationsnetz zu integrieren, auch dann, wenn meist historisch bedingt - die in diesen Sparten eingesetzten DV-Komponenten untereinander nicht verträglich sind. Ein Beispiel für die Notwendigkeit einer solchen Integration kann aus der Versicherungsbranche herangezogen werden: Ein Versicherungsnehmer sieht in seinem Versicherer nur eine Gesellschaft, auch wenn er ganz verschiedene Versicherungsarten dieser Gesellschaft in Anspruch nimmt (Kfz-, Lebens-, Unfall-, Krankenversicherung etc.).

Dies erzwingt für die den Kunden betreuende Einheit (Niederlassung, Bezierksdirektion oder Versicherungsvertreter) den Zugriff auf alle für den Versicherungsnehmer relevanten Daten; ferner aus dem Bedürfnis

- die für die Verarbeitung und für die Übermittlung von Informationen eingesetzten Mittel möglichst wirtschaftlich zu verwenden, im Sinne eines "Ressource Sharings"; und dem Wunsch

- vorhandene Verarbeitungsressourcen mit den Ziel eines Lastausgleichs und einer Back-up-Funktion zu koppeln.

Diesen komplexer werdenden Anwenderbedürfnissen kommen nun eine Reihe von Entwicklungen entgegen:

die zunehmende Verbilligung der Hardwarekomponenten bei gleichzeitig sich vervielfachender Leistung als folge der Entwicklung hochleistungsfähiger Schaltelemente und der Mikroprozessortechnik das Vordringen der interaktiven Verarbeitung im Sinne einer aktenlosen Sachbearbeitung, die Entwicklung und Bereitstellung digitaler Übertragungsverfahren und die im Zusammenhang damit stehenden Fortschritte bei der Normung einheitlicher Transportprotokolle (x.25 nach CCITT).

Dennoch befinden wir uns heute erst in einer Frühphase der Nutzung all dieser Elemente. So ist der Aufbau von Rechnerverbundnetzen zur Zeit nur unter Einschränkungen oder in Form nicht übertragbarer Einzellösungen realisiert. Hierfür gibt es technologische Gründe sowie Ursachen, die von einem Mangel an herstellerübergreifenden Vereinbarungen.

Bevor wir uns diesen Fragen zuwenden, scheint es sinnvoll zu sein, den Begriff "Rechnerverbundnetze" ein wenig näher zu definieren.

Unter "Rechnerverbund" ist sicher zuerst einmal der Austausch von Informationen (Daten und Steuerinformationen) zwischen Anwendungsprozessen in verschiedenen Datenverarbeitungsfunktionen (Rechnern) zu sehen. Soweit es sich hierbei um Einheiten desselben Herstellers handelt, sollte ein solcher Informationsaustausch ohne besonderen Systemaufwand möglich sein. In Wirklichkeit jedoch sind auch solche Prozesse meist nur als "Master-Slave" - Beziehung in Form des Remote-Batch-Processing zwischen einem "Host" und einer "Workstation" unterstützt. Erste Ansätze zur gleichberechtigten Kommunikationsanforderung (Session-Aufbau in jeder Richtung) als "Inter-System-Kommunikation" zeichnen sich ab.

So kann als zweites Merkmal des Rechneverbunds die Möglichkeit zu "verteilten" Anwendungsprozessen gesehen werden.

Drittens gehört schließlich zu einer allgemeingültigen Definition von Rechnerverbundnetzen die Kommunikation zwischen Subsystemen unterschiedlicher Hersteller mit unterschiedlichen Datenformaten unter Verwendung festgelegter Protokolle für die Transport- und die anwendungsbezogenen Steuerungsfunktionen.

Die Basis für die Diskussion bildet hierbei das ISO-Referenzmodell (ISO = International Standardisation Organisation) für "offene" Kommunikationssysteme .

Welche Möglichkeiten zur Bildung von Rechnerverbundnetzen ergeben sich aber nun für den Anwender heute?

Zum einen können rein herstellerbezogene Lösungen, vorwiegend in den Bereichen

Remote-Batch-Processing,

Interaktiver Terminalverbund

und Distributed Data Processing realisiert werden. Bei letzterem existieren bereits brauchbare Lösungen einzelner Hersteller - vor allem aus dem Bereich der -, wobei jedoch mögliche Anschlußfunktionen zu anderen Netzen auf einfachen File- beziehungsweise Job-Transfer als Remote-Batch-Workstationen beschränkt sind.

Zum anderen ist es in Einzelfällen, vor allem bei großen Anwendern oder bei Gruppen von Anwendern mit vergleichbarer Struktur, bereits jetzt auf der Basis der Paketvermittlungstechnik möglich, Rechnerverbundsysteme mittels quasi offener Kommunikationsnetze zu planen und schrittweise zu implementieren.

Als Beispiele für solche "offenen Kommunikationssysteme" können genannt werden:

Rechnerverbundanwendungen auf der Basis des Datenvenvermittlungssystems (DVS) des Landes Nordrhein-Westfalen und das Pilotprojekt PAPA des Verbandes Deutscher Rechenzentren Hannover e. V. (VDRZ).

Im ersten Fall werden Rechenzentren verschiedener Körperschaften des Landes Nordrhein-Westfalen, nämlich die Landesdatenverarbeitungszentrale (LDVZ) im Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik (LDS), die Gemeinsamen Gebietsrechenzentren (GGRZ), die Fachrechenzentren, die Kommunalen Datenverarbeitungszentralen (KDVZ) und die Hochschulrechenzentren (HRZ), zu einem Verbund in einem Landesinformationssystem zusammengefaßt. Technisches Konzept und zugleich Basis für den Verbund ist das Datenvermittlungssystem Nordrhein-Westfalen, das nach der Methode der Paketvermittlung (CCITT-Empfehlung X.25) konzipiert ist. Aus des bereits genannten Gründen war es jedoch erforderlich, oberhalb der X.25-Funktionsebenen ein spezielles Protokoll für die End-zu-End-Transportprotokolle, das sogenannte DV-Strom-Protokoll, zu entwickeln.

"Höhere"Protokolle für "offene" Kommunikation

Im zweitgenannten Fall der "Pilot-Anwendung des öffentlichen Daten -Paketvermittlungsdienstes für den Verbund zwischen Service-Rechenzentren und RZ-Kunden" (PAPA) handelt es sich um ein vom BMFT gefördertes Projekt, das die schrittweise Erreichung einer freizügigen und herstellerunabhängigen Datenfernverarbeitung in einem offenen Netz auf der Grundlage des paketvermittelten Datendienstes (DATEX-P) der Deutschen Bundespost zum Ziel hat. Das Projekt wird sich in mehreren Phasen bis Mitte 1983 erstrecken und mit Sicherheit die Entwicklung der mit "offener" Kommunikation zwingend erforderlichen "höheren" Protokolle wesentlich beeinflussen.

Welches Fazit kann nun aus all diesen Beobachtungen für den kommerziellen Anwender gezogen werden?

Durch die Fortschritte in der Hard- und Softwaretechnologie, das Vordringen der Paketvermittlungstechnik und das Bedürfnis der Anwender nach "offener" Kommunikation ist der Trend zu herstellerübergreifenden Rechnerverbundsystemen vorgezeigt. Allgemein gültige Lösungen, die zudem noch mit vertretbarem Aufwand installiert und gewartet werden können, werden jedoch noch einige Zeit auf sich warten lassen, so daß der Anwender gut daran tut, der Euphorie so manches "Trend-Setters" mit einem Schuß gesunder Skepsis entgegenzutreten.