Von Ponderabilien und Imponderabilien:

Rechnerunterstützte Intuition kein Widerspruch

07.11.1980

SAINT-PAUL-DE-VENCE (cw) - Wenn es um Entscheidungen geht, kann die menschliche Intuition durch Computer nicht ersetzt werden, betonte Heinz Wolff, Leiter des Bio-Engineering Clinical Research Centre im britischen Medical Research Council, auf einer Konferenz über Entscheidungsfindung am International Executive Center der Sperry Corporation im französischen Saint-Paul-de-Vence. Das menschliche Gehirn sei in der Lage, wesentliche Informationen aus irrelevanten Informationen abzuleiten. Computer könnten dies nicht, weil sie keine vorgefaßten Meinungen hätten.

Als Beispiel einer intuitiven Leistung brachte er den Vergleich zweier Mediziner und führte aus, daß nicht die Fülle diagnostischer Daten, sondern die Intuition dem einen von ihnen eine Überlegenheit vor dem anderen verleihe: "Vielleicht ist es nur ein Knötchen oder eine Entfarbung die dem anderen entgeht", meinte der britische Forscher.

Der Überlegene sei deshalb in der Lage gewesen, mehr Informationen aus der gegebenen Situation zu gewinnen, weil er sich ausschließlich von seinen eigenen Sinnen oder Ahnungen hatte leiten lassen. Als weiteres Beispiel nannte Wolff einen Politiker, der anderen überlegen sei, weil er den "Finger am Puls der Nation" habe. Intuitive Talente dieser Art seine nicht quantitativ bestimmbar: "Sie sind die Determinanten, die den guten Entscheidungsfinder vom schlechten unterscheiden."

Computer brauchen nicht unbedingt die einzige Lösung zu sein, wenn es um Speichern und Wiederauffinden von Informationen geht. Beispielsweise werden sie beim Biological Information Advisory Service, einer Dokumentationsstelle für medizinische Fakten (und Gerätehersteller) nicht verwendet, da dieser Service sich in erster Linie auf Abbildungen zur Beschreibung von Produkten und Verfahren stützt. Hätte man dort ein DV-System installiert, wären die bildlichen Darstellungen auf Strichzeichnungen zur Bildschirmaufzeichnung beschränkt. "Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand das gut finden würde", bemerkte Wolff.

Kreis der Normalität

Als Alternative zu Tabellen und Statistiken schlug Wolff die Anwendung einer sogenannten multipolaren Methode vor. Sie beruht auf dem Vergleich von einem sogenannten "Kreis der Normalität" und einer Reihe von diesen umgebenden, weniger perfekten Kreisen.

Geht man von einem Patienten aus, so stellt der Kreis der Normalität den gesunden Zustand des Patienten dar. "Ausbeulungen" des Kreises weisen auf krankhafte Zustände hin und können mit den Kurven einer früheren repräsentativen Figur verglichen werden, die in einer anderen Farbe dargestellt ist. Der Maßstab der Figur kann geändert werden, wobei größere Abweichungen auf ernstere Zustände hinweisen. An gegenüberliegenden Stellen können Punkte eingetragen werden, so daß ein sich verschlechternder Zustand anhand einer anderen, erfreulicheren Entwicklung in anderem Zusammenhang beurteilt werden kann.

Was leistet diese Methode? Sie gestattet die umfassende Überwachung eines Krankheitsbilds von einer Stunde zur anderen oder von einem Tag zum anderen. Dazu ist kaum mehr als ein flüchtiger Blick erforderlich, sagte Wolff. Beispielsweise könnte auch die Entwicklung der Ölpreise durch computerverstärkte Intuition besser abgeschätzt werden, meinte er. Es wäre wahrscheinlich besser, die politische Stabilität fremdländischer Ölminister zu erforschen, als ganze Bündel von Statistiken zu konsultieren.

Zu guter Letzt müssen bekanntlich die Menschen die Entscheidungen treffen. Sie sollten sich gleichermaßen auf die Imponderabilien stützen wie auf die Ponderabilien, mit denen Computer umgehen können, sagte Wolff.

*Bruce Howard ist Mitglied der Redaktion COMPUTERWORLD; sein Artikel wurde übersetzt von H. J. Hoelzgen, Böblingen, aus der COMPUTERWORLD vom 11. August 1980 (Seite 10).