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Rebellen gegen das Urheberrecht

19.12.2007
Von Handelsblatt 
Das Urheberrecht wurde einst geschaffen, um Kulturschaffenden eine Möglichkeit zu geben, von ihrer Arbeit zu leben. Doch immer mehr Kreative verzichten auf die damit verbundenen Kontrollrechte und stellen ihre Werke unter eine freie Lizenz. Was treibt sie dazu, ihre Werke frei verfügbar zu machen?

Ein Gespenst geht um im Internet: Das Gespenst freier Lizenzen. Den Anfang bildete freie Software wie Linux, der Browser Firefox oder das kostenlose Büropaket Open Office, von denen inzwischen fast jeder schon einmal gehört hat. Doch längst gehen auch immer mehr Autoren, Musiker und Fotografen dazu über, auf den urheberrechtlichen Schutz ihrer Werke im Internet teilweise zu verzichten. Sie stellen ihre Werke unter eine sogenannte freie Lizenz, welche die ungehinderte Verbreitung und in vielen Fällen auch Veränderungen der Werke erlaubt. Die freie Internet-Enzyklopädie Wikipedia, deren Qualität laut einer Studie sogar die des Brockhaus übersteigen soll, ist dabei nur die bekannte Spitze des Eisbergs freier Inhalte.

Auf Internet-Portalen für freie Musik wie Jamendo wurden bereits tausende Alben unter freien Lizenzen veröffentlicht und allein beim diesjährigen Open Music Contest des AStA der Universität Marburg nahmen 76 Bands aus der gesamten Republik teil. Dabei bestehen gerade in Deutschland immer noch große Hürden für Musiker, die ihre Werke gerne frei lizenzieren würden: Bisher ist es nicht möglich auch nur einzelne Werke unter eine freie Lizenz zu stellen und gleichzeitig Mitglied der Verwertungsgesellschaft GEMA zu sein. Das kritisiert auch Markus Beckedahl, der sich unter anderem auf seinem Blog Netzpolitik.org für ein reformiertes Urheberrecht einsetzt: "Verwertunsgesellschaften wie die GEMA zementieren das alte Denken und reagieren nicht flexibel genug an veränderte Rahmenbedingungen in der digitalen Welt" kritisiert er im Gespräch mit Handelsblatt.com.

"Meist handelt es sich dabei um noch unbekannte Künstler, denen es zunächst vorrangig darum geht, ihre Werke unkompliziert einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen" meint dagegen Stefan Michalk, Geschäftsführer des Bundesverband Musikindustrie e.V. Im bestehenden System der Verwertung von Urheberrechten sieht er eine Art Generationenvertrag unter Künstlern: "Die Labels sind die Einzigen, die in großem Stil die mit erfolgreichen Künstlern erzielten Einnahmen an junge Talente umverteilen. Bis heute ist trotz aller Kritik noch kein anderer Player im Markt erschienen, der gezeigt hat, wie es anders und besser geht" sagt er.

Der Begriff des geistigen Eigentums ist eine Erfindung der Neuzeit. Erst ab dem 18. Jahrhundert wurden im Zusammenhang mit dem unautorisierten Nachdrucken von Büchern über den Wert und das Eigentum an geistigen Schöpfungen nachgedacht. Die technische Revolution des 19. und 20. Jahrhunderts eröffnete dann auch Musikern, wovon Autoren schon seit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern profitieren: Die Vervielfältigung ihrer Werke im industriellen Maßstab.

Der staatlich garantierte Schutz geistiger Werke durch das Urheberrecht, eröffnete Kreativen eine neue Form des Einkommens. Statt über Konzerte und Auftritte Geld zu verdienen, besaßen insbesondere Autoren und Künstler nun ein in der Arbeitsgesellschaft seltenes Privileg: Sie verdienten an jeder weiteren verkauften Kopie eines ihrer Werkes, ohne dass dem eine direkte Arbeitsleistung gegenüberstand.

Eine neue Industrie wurde aus der Taufe gehoben und manch ein Musiker zum Millionär. Dieses Privileg scheint nun durch eine weitere technische Revolution gefährdet: Der Verbreitung von Tauschbörsen im Internet, die es erlauben, künstleriche Werke verlust- und kostenfrei zu vervielfältigen.

Stefan Michalk beklagt daher in Deutschland eine "Selbstbedienungsmentalität in Bezug auf geistiges Eigentum". Hierzulande seien im Jahr 2006 14-mal mehr Musikstücke illegal als legal aus dem Internet heruntergeladen worden. Die Anzahl der kopierten CDs übersteige inzwischen die der verkauften.

Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich. Stefan Michalk sieht durch den exessiven Gebrauch von Tauschbörsen das Interessensgleichgewicht zwischen Künstlern, Kreativindustrie und Konsumenten gefährdet. Gegen Urheberrechtsverletzungen will sein Verband daher mit rechtlichen Mitteln vorgehen: "Die Erfahrung hat leider gezeigt, dass moralische Appelle wenig nutzen. Deshalb geht es nicht ohne wirksame Mittel, Urheberrechtsverletzungen auch rechtlich zu verfolgen", so der Verbandsprecher.

Einige Künstler versuchen auf anderem Wege auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters zu reagieren. Nicht nur der Nachwuchs erprobt neue Modelle des Umgangs mit schöpferischen Werken. So bietet beispielsweise die bekannte britische Rockband Radiohead ihr neustes Album "Discbox" zum freien Internet-Download an. Wieviel und ob dabei bezahlt wird, entscheidet der Nutzer selbst. Immerhin zwei Drittel der Fans zahlten, so ein Bericht der Times. Die ebenfalls sehr erfolgreichen britischen Bands Oasis und Jamiroquai sollen nach Informationen des britischen Telehraph ebenfalls über eine ähnliche Vertriebsform ihrer Musik nachdenken.

Auch der Science-Fiction-Autor Cory Doctorow ( Interview beim Elektrischen Reporter) stellte sein neustes Werk "Update" unter eine Creative-Commons-Lizenz und damit zum kostenfreien Download ins Netz. Andere Werke des Schriftstellers wie der Roman "Eastern Standard Tribe" stehen ebenfalls unter dieser Lizenz.

Der Großteil der Urheber, die freiwillig Teile ihrer Rechte an eigenen Werken aufgeben, sind jedoch nicht berühmt. Abseits großer Medienöffentlichkeit vollzieht sich eine stille Revolution, die in einem neuen Umgang mit geistigen Werken Ausdruck findet. Allein die Foto-Community Flickr verzeichnet beispielsweise über 45 Millionen Bilder unter Creative-Commons-Lizenzen auf einer Sonderseite des Portals. Insbesondere Jugendliche, die mit dem Internet aufgewachsen sind, nutzen das Netz dabei als "kulturellen Steinbruch", so das Ergebnis einer Studie des Pew American and Internet Life Project aus dem Jahre 2005. Das bedeutet: Jugendliche nutzen die im Netz verfügbaren Inhalte, um daraus neue kreative Werke zu schaffen.

Dass auch in so "recycelten" Werken kreatives Potential stecken kann, beweisen beispielsweise sogenannte Fake-Trailer. Dabei werden vorhandene Vorschauen bekannter Spielmfilme auf geschickte Art so zusammengeschnitten, dass beispielsweise aus dem bekannten Horror-Streifen "Shining" eine unterhaltsame Familienkömodie wird oder umgekehrt aus dem Kinderfilmklassiker Mary Poppins ein Horror-Film. Ob dieser kreative Umgang mit urheberrechtlich geschützem Material erlaubt ist, ist unter Rechtsexperten umstritten. Während das angelsächsische Copyright mit dem sogenannten Fair Use noch Ausnahmen für die nicht-gewerbliche Nutzung von solchem Material kennt, beschränken sich die Ausnahmen im kontinentaleuropäischen Urheberrecht fast ausschließlich auf wissenschaftliche Zwecke.

"Es entspricht der gesellschaftlichen Realität im digitalen Zeitalter, dass Bürger ihre mediale Welt remixen und die Ergebnisse ins Netz stellen. Nach aktueller Gesetzeslage riskiert man saftige Abmahnungen und zukünftig vielleicht noch mehr" bemängelt Beckedahl. Das derzeit geltende Urheberrecht habe eine "nie dagewesene Vielfalt an kreativen und kulturellen Inhalten beschert", hält Verbandssprecher Michalk dem entgegen. Es läge in der Natur von Gesetzen, dass sie nicht für jeden Einzelfall die optimale Lösung bieten könnten.

Doch genau dieses kreative Potential des Mixens und Kopieren ist es auch, das US-Rechtsprofessor Lawrence Lessig durch die derzeitige Urheberrechts-Gesetzgebung in vielen Teilen der Welt bedroht sieht. Deshalb gründete er 2001 die Initiative Creative Commons und entwickelte angepasste Lizenzen für das Internet. Bei diesen können Autoren zwischen verschiedenen Rechten wählen, die sie jedem pauschal zugestehen - etwa, das Werk zu vervielfältigen, zu verändern oder auch kommerziell zu nutzen. Grundbedingung bleibt in jedem Fall die Nennung des Autors.

Das Verhalten von Wikipedia-Nutzern und anderen Anbietern von Werken unter freien Lizenzen scheint zunächst jeder ökonomischen Theorie zu widersprechen. Schließlich handeln die Autoren doch nicht in erster Linie zur eigenen Gewinnmaximierung, sondern für die Gemeinschaft. Doch die Beliebtheit offener Lizenzen im Netz widerspricht der ökonomischen Theorie nicht zwangsläufig. Zumindest dann nicht, wenn der individuelle Gewinn nicht einseitig als Einkommenssteigerung definiert wird.

Schon 1997 bezeichnete Michael H. Goldhaber in seinem Essay "The Attention Economy" Aufmerksamkeit als die Währung des noch jungen Webs. In einer Welt, in der Konsumgüter kaum noch knapp sind, während um die Aufmerksamkeit von Menschen in ihrer Freizeit immer heftiger konkurriert wird, werde die Währung Geld zunehmend durch die Währung Aufmerksamkeit ersetzt, so seine Argumentation. Daran glauben auch die beiden Netzvisionäre und Autoren ("Wir nennen es Arbeit") Holm Friebe und Sascha Lob. Für sie bildet Respekt die Währung des Mitmachnetzes, wie es seit dem Aufkommen des Phänomens "Web 2.0" besteht. Wer sein Werk unter eine Lizenz stellt, welche die freie Verbreitung erlaubt, erhofft sich damit vielleicht eine größere Verbreitung seiner Schöpfung - und damit mehr Aufmerksamkeit für sein künstlerisches Schaffen.

Doch von der Währung Respekt können Künstler trotz allem ihre Brötchen nicht bezahlen. Für Vertreter der Musikindustrie wie Stefan Michalk gibt es daher keine Alternative zur derzeitigen Praxis des Urheberrechts. Das sehen die Kritiker des geltenden Urheberrechts anders: "Ich befürworte eine Kulturflatrate, um Künstler zu kompensieren und die gesellschaftliche Realität des Teilens von Kultur in Tauschbörsen zu legalisieren" sagt beispielsweise Markus Beckdahl.

Die Idee der Kulturflatrate ist einfach: Da praktisch jeder Nutzer eines Breitband-Internetanschlusses Kultur in Form von Filmen, Musik und anderen Werken konsumiert, werden Kulturschaffende in diesem Modell über eine Zwangsabgabe finanziert, welche die Internet-Provider auf den Preis ihrer Internet-Flatrate aufschlagen. Im Gegenzug sollen die Nutzer dieser Flatrate Internet-Tauschbörsen legal nutzen dürfen. Die Gebühr würde direkt an die Künstler fließen, der jeweilige Anteil über Nutzungstatistiken der Tauschbörsen bestimmt. Ob die Content-Industrie mit solchen Modellen in Zukunft noch eine dominierende Rolle spielen wird oder ob Künstler und Kreative noch stärker als bisher das Internet zur Direktvermarktung ihrer Werke nutzen, bleibt eine spannende Frage.