PAC-Umfrage

Reality Check: Die deutsche Fertigungsindustrie und Industrie 4.0

29.09.2017
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Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Geht es um die Adaption und Nutzung von Industrie-4.0-Technologien, ist die hiesige Fertigungsindustrie besser als ihr Ruf. Dennoch gibt es besonders bei Mittelständlern noch Skepsis. Die Marktforscher von PAC haben zusammen mit IT-Dienstleister Reply sechs weit verbreitete Vorbehalte gesammelt und versucht, sie zu entkräften.
Gerade für mittelständische Fertigungsunternehmen gilt es, die Potentiale von Industrie 4.0 individuell für die eigene Situation zu identifizieren und umzusetzen.
Gerade für mittelständische Fertigungsunternehmen gilt es, die Potentiale von Industrie 4.0 individuell für die eigene Situation zu identifizieren und umzusetzen.
Foto: MOLPIX/shutterstock.com

Teure Projekte, fehlende Standards, praxisferne Konzepte etc.: Die insbesondere von kleineren Unternehmen der deutschen Fertigungsindustrie gegenüber Industrie 4.0 geäußerten Bedenken sind oft nicht unbegründet, lassen sich aber bei näherer Betrachtung relativieren. Vor allem aber, so der Auftraggeber der Studie, Reply, sollten die Vorbehalte kein Grund sein, sich mit Industrie 4.0 gar nicht zu beschäftigen.

Die Unternehmen würden sich damit enormer Möglichkeiten berauben, denn die bestehenden Konzepte und Techniken bieten fast allen Fertigungsunternehmen das Potential, Produktivität, Produktqualität, Kundenservice und Geschäftsmodelle zu verbessern. Das aus Italien stammende IT-Beratungsunternehmen hat daher zusammen mit den zur CXP Group gehörenden Marktforschern von PAC die häufigsten Bedenken gesammelt und versucht, für mehr Klarheit zu sorgen.

Vorbehalt Nr. 1: Industrie 4.0 ist vor allem ein Thema für Großunternehmen

Stand Industrie 4.0 anfangs in der Kritik, zu theoretisch und kopflastig, sowie auf die Belange von großen Fertigungsunternehmen zugeschnitten zu sein, hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert. Das theoretische Konzept wurde konkretisiert, zahlreiche Projekte gestartet. Außerdem hat sich gezeigt, dass Industrie 4.0 insbesondere mittelständischen Unternehmen helfen kann, ihre Wettbewerbsvorteile gegenüber Großunternehmen wie hohe Innovationsfähigkeit und ausgeprägte Kundennähe zu halten oder auszubauen - beispielsweise durch kundenindividuelle, innovative Mehrwertdienste.

Sowohl in mittelständischen Fertigungsunternehmen als auch in großen Unternehmen besteht eine beträchtliche Bereitschaft zu Investitionen in IoT.
Sowohl in mittelständischen Fertigungsunternehmen als auch in großen Unternehmen besteht eine beträchtliche Bereitschaft zu Investitionen in IoT.
Foto: PAC/CXP Group

Dies spiegelt sich auch in einer aktuellen Erhebung von PAC unter 50 deutschen Fertigungsunternehmen (davon 58 Prozent mit 500 bis 2499 Mitarbeitern) wider: Von den befragten Unternehmen sind sowohl Mittelständler als auch Großunternehmen bereit, mehr in IoT-Entwicklungen zu investieren, rückläufige Investments plant keines der Unternehmen.

Vorbehalt Nr.2: Industrie 4.0 ist eigentlich gar nichts Neues

Wenngleich viele Mittelständler zu Recht darauf verweisen, dass sie bereits weite Teile ihrer Fertigungsabläufe automatisiert und in ein lokales MES integriert haben: Industrie 4.0 geht deutlich weiter als die vielerorts angestrebte Steigerung der Effizienz. Es werden Daten aus unterschiedlichen Quellen gesammelt, korreliert und analysiert, um das verborgene Potenzial der Daten zu heben. Ein Ziel ist es etwa, mit Hilfe von Big-Data- und Analysemethoden das Verhalten der Fertigungsanlagen besser zu verstehen und aufkommende Probleme zu erkennen, bevor sie die Abläufe einer Produktion gefährden (Predictive Maintenance).

Neben Kosteneinsparungen und Effizienzgewinnen gibt es eine Vielfalt an Gründen, aus denen sich Unternehmen für IoT interessieren.
Neben Kosteneinsparungen und Effizienzgewinnen gibt es eine Vielfalt an Gründen, aus denen sich Unternehmen für IoT interessieren.
Foto: PAC/CXP Group

Auch die Erhebung von PAC zeigt, dass es vielfältige Gründe gibt, aus denen sich Unternehmen für IoT und Industrie 4.0 interessieren: Neben den durchaus angestrebten Kosteneinsparungen und Effizienzgewinnen (64 Prozent) stehen Verbesserungen in der Lieferkette sowie neue Services und Geschäftsmodelle mit deutlich über 50 Prozent weit oben auf der Prioritätenliste der Unternehmen.

Vorbehalt Nr.3: Industrie 4.0 erfordert zeitaufwändige, komplexe und mühsame Projekte

(Vermeintlich) hohe Investitionen sowie die Scheu vor schwierigen und langwierigen Projekten sorgen dafür, dass vor allem kleinere mittelständische Unternehmen nur zögerlich Industrie-4.0-Lösungen einführen. Diese Angst spiegelt sich teilweise auch in den Ergebnissen der PAC-Umfrage wider: So stellen laut Erhebung die Kosten der IoT-Lösungen für 48 Prozent der befragten Mittelständler eine große Herausforderung dar, dagegen nur für 29 Prozent der Großunternehmen.

Den anfallenden Kosten für die Einführung stehen kleinere Unternehmen dagegen im Schnitt (38 Prozent) entspannter gegenüber als Großunternehmen (67 Prozent), was man mit dem stärkeren Fokus auf kleinere Projekte und Cloud-Lösungen erklären kann.

Die Kosten für IoT-Lösungen sind nur ein Hindernis von vielen für mittelständische Fertigungsunternehmen.
Die Kosten für IoT-Lösungen sind nur ein Hindernis von vielen für mittelständische Fertigungsunternehmen.
Foto: PAC/CXP Group

Vorbehalt Nr.4: Mittelständler haben oft einzigartige Prozesse, für die sich Standardlösungen nicht eignen

Ein häufig vorgebrachter Vorbehalt gegen Industrie 4.0 ist, dass sich die individuellen Abläufe vieler deutscher Fertigungsunternehmen - vor allem die der sogenannten Hidden Champions - nicht durch standardisierte Lösungen abbilden bzw. unterstützen lassen oder dies mit hohen Kosten verbunden ist.

Dies stimmt aus Sicht von Reply aber nur teilweise. So gebe es für Industrie 4.0 zwar keine Standardlösungen, es existierten aber geeignete Standardbausteine, etwa in der Softwareentwicklung, für die Datenanalyse oder in der Cloud-Nutzung, argumentiert der IT-Dienstleister. Beispielsweise stellten Unternehmen wie Amazon Web Service, Microsoft und IBM so genannte SDKs (Software Development Kits) zur Verfügung, die die Integration von Unternehmensanwendungen in der Cloud-Umgebung vereinfachen und beschleunigen.

Klar erkennbar sei weiterhin der Trend hin zu IoT-Plattformen, die üblicherweise im SaaS-Betriebsmodell angeboten werden und die Funktionen zur Maschinenanbindung, Datenspeicherung, Analyse sowie für das Reporting, die Dokumentation und die Automatisierung zur Verfügung stellen. Ganz entscheidend für den Erfolg von Industrie-4.0-Projekten sei der zielgerichtete Umgang mit Daten, so Reply, denn darauf bauten die neuen Services und Geschäftsmodelle letztendlich auf.

Vorbehalt Nr. 5: Industrie 4.0 bedeutet vor allem Kostensenkung in der Produktion

Zentrale Interessen sämtlicher Fertigungsunternehmen sind die Erzielung von Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen in der Produktion. In der Diskussion rund um Industrie 4.0 werden daher vor allem Kosteneinsparungen in der Produktion als Argument ins Feld geführt.

Wie die Erhebung von PAC zeigt, sind für 86 Prozent der deutschen Mittelständler Kostensenkungen das entscheidende Argument. Die erhofften Vorteile von Industrie 4.0 reichen aber weit darüber hinaus. Zu den weiteren Zielen gehören unter anderem Wettbewerbsvorteile (72 Prozent) und die Erschließung neuer Umsatzquellen und Geschäftsmodelle (76 Prozent).

Neben reduzierten Betriebskosten erhoffen sich viele Unternehmen weitere Umsatzquellen aus neuen Services und Geschäftsmodellen.
Neben reduzierten Betriebskosten erhoffen sich viele Unternehmen weitere Umsatzquellen aus neuen Services und Geschäftsmodellen.
Foto: PAC/CXP Group

Sensorik, Connectivity, Mobility, Cloud und Analytics machen den Weg frei für eine "Servitization" des Produktgeschäfts mit neuen Dienstleistungen wie etwa nutzungsabhängigen Betriebsmodellen. Kernelement bei derartigen Leistungen ist, dass Hersteller Zugriff auf Zustands- und Verbrauchsdaten ihrer Produkte haben, nachdem sie das Werkstor verlassen und beim Nutzer im Einsatz sind

Vorbehalt Nr.6: Industrie 4.0 funktioniert nur mit der Cloud - und die ist unsicher

Auch wenn die Furcht dank Lösungen wie Office 365 langsam zurückgeht, sind sich viele deutsche Unternehmen hinsichtlich der mit Cloud Computing verbundenen Risiken noch unsicher - gerade, wenn es um Produktionsdaten geht. sind, Sicher ist "die Cloud" für Hacker sehr verlockend, Cloud-Installationen werden aber auch besonders gut geschützt - mit den aktuellsten Abwehrtechniken.

Dennoch sollte stets fallweise entschieden werden, ob die Cloud als Datenlagerungs-Ort in Anspruch genommen werden sollte, so Reply. Der Trend gehe ohnehin zur hybriden Cloud-Installation, aus Latency- und anderen Gründen ergänzt um ein Edge-Device oder ein Gateway. Grundsätzlich gelte: Cloud Computing ist keine zwingende Voraussetzung für eine Industrie-4.0-Umgebung, aber es vereinfacht den Start und sorgt für Flexibilität wie auch Agilität.