Gastkommentar

Realitätsverlust?

12.01.2001
Stephan Peters, Unternehmensberater für Software-Vertrieb und -Marketing

Noch steckt die Talfahrt am Neuen Markt vielen in den Knochen, da treten die Auguren schon wieder auf den Plan und versprechen Besserung. Ohne Wertung: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Planung und Vollzug lagen und liegen offensichtlich Welten. Gewinnwarnungen und Plankorrekturen sind die Folge. Man kann sich nur erstaunt dieAugen reiben, was da in kürzester Zeit verwirklicht werden soll. Quasi über Nacht entstehen gigantische Märkte, für deren Erschließung ein fundierter Marketing-Plan offensichtlich entbehrlich ist.

Dem Vertrieb werden Leistungen vorgegeben, die weder kapazitiv noch strukturell darstellbar sind, ganz zu schweigen von der Berücksichtigung üblicher Vorlaufzeiten in der Akquisition. Fundierte Markterhebungen scheinen ebenso abhanden gekommen zu sein wie substanzielle Kenntnisse über Mitbewerber. Wen wundert es da, dass geplante "schwarze Nullen" laufend im Zukunftsnebel verschwinden?

Gleichgültig wie "New" eine Economy sich auch nennt, ohne professionelles Management sieht sie schnell alt aus. Daran ändern auch heimliche Neuetikettierungen von Geschäftsmodellen und Umsatzkosmetik durch Firmenkäufe nichts.

Weil "Masse statt Klasse" als Devise am Neuen Markt vorherrschte, konnten sich Geschäftemacher mit einem erschreckenden Mangel an Qualifikation und Seriosität etablieren. Unternehmen an die Börse zu bringen und nachher auf Kurs zu halten verlangt Erfahrung, strategisches Gespür und methodische Kompetenz. Dass dies inzwischen von den Kapitalgebern erkannt wird, lässt hoffen, dass sich am Neuen Markt die Spreu vom Weizen trennt und nicht reihenweise Börsenneulinge in die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit stürzen.Realitätsverlust?