Immer mehr Freiberufler

Raus aus dem Hamsterkäfig

26.11.2014
Von Daniel Rettig und Katharina Heckendorf

Böses Erwachen bei Festanstellungen

Mehr noch: Diese Ernüchterung war der häufigste Grund für Unzufriedenheit. Oft komme es nach der Einstellung zu einem "bösen Erwachen", sagt InterSearch-Manager Thomas Bockholdt. Das rettende Ufer erweist sich bisweilen als Fata Morgana.

Nun gab es schon immer Menschen, die ihr Glück lieber alleine versuchten. Die der Verlockung eines festen Einkommens, eines schicken Dienstwagens, Weihnachtsgeld und Betriebsrente freiwillig widerstanden. Klassische Freiberufler wie Ärzte, Anwälte und Steuerberater stellen immer noch die Mehrzahl.

Doch der entscheidende Unterschied ist: Zunehmend sind es auch andere Berufsgruppen, die sich als Einzelkämpfer durchschlagen. Jene, die man früher dort nicht vermutet hätte. Und die der beste Beweis dafür sind, dass individuelle Freiheit eben nicht nur Risiken, sondern vor allem Chancen bietet.

Ständiges Geben und Nehmen

Die eigenen Ziele und Träume zu verwirklichen ist den Menschen wichtiger geworden. Deshalb wägen viele ständig ab zwischen Geben und Nehmen. Im Privaten, aber eben auch im Beruflichen. Sie fragen vor allem, was der Arbeitgeber für sie tun kann. Und wenn die Antwort nicht passt, beenden sie die Beziehung. Wer gut ausgebildet und auf dem Arbeitsmarkt begehrt ist, geht oft nur für ein Projekt zu einem Unternehmen. Endet das eine, folgt das andere. Für viele hoch Qualifizierte ist die Selbstständigkeit deshalb die logische Konsequenz.

Nico Schunke zum Beispiel merkte schnell, dass für ihn langfristig nicht die klassische Festanstellung, sondern freiberufliches Arbeiten der richtige Weg sein würde. Der 28-Jährige arbeitete nach seinem Informatikstudium ein Jahr lang als Software-Entwickler in einer Agentur - und machte sich 2010 selbstständig. "Ein Sprung ins kalte Wasser", sagt Schunke, "aber er hat sich gelohnt."

Viele Aufträge erhält er über den Dienstleister Hays. Das Unternehmen sieht sich "als Zwischenstation und Vermittler zwischen Freiberuflern und Unternehmen", sagt Bereichsleiter Jörn Bäumer. Aktuell hat das Unternehmen 300000 Freiberufler in der Datenbank - im Jahr 2000 waren es gerade mal 34000. In der Deutschlandzentrale in Mannheim sind 100 Mitarbeiter damit beschäftigt, diese Datenbank auf dem neuesten Stand zu halten.

Ein lohnendes Geschäft

Bei erfolgreicher Vermittlung erhält Hays eine Provision, die Unternehmen sparen sich die meist höheren Suchkosten, Freiberufler wie Schunke kommen regelmäßig an Aufträge und können sicher sein, ihr Honorar auch zu erhalten. Bezahlt werden sie nicht vom Auftraggeber, sondern von Hays.

Zu den Kunden gehören viele deutsche und internationale Großkonzerne, darunter Bayer oder die Deutsche Post. Offenbar ein lohnendes Geschäft: Im vergangenen Jahr erwirtschaftete Hays einen Gewinn von knapp 69 Millionen Euro. Derzeit hat Hays etwa 5500 IT-Spezialisten im Einsatz.

Das Unternehmen sorgt dafür, dass Experten wie Schunke sich nicht um die Akquise kümmern müssen, sondern sich allein auf die Einsätze konzentrieren können. Mit Erfolg: Seit mehr als zwei Jahren hatte Schunke keine Ausfallzeiten mehr, ständig entwickelt er Software oder leitet IT-Projekte.

Wichtige Ergänzung zur Stammbelegschaft

"Flexibilität und Innovationskraft gewinnen für die Unternehmen immer stärker an Bedeutung", sagt Dieter Kempf, Präsident des High-Tech-Verbandes Bitkom. Deshalb seien Freelancer mit ihrem Fachwissen "eine wichtige Ergänzung zur Stammbelegschaft". Vor allem im Bereich der Computer- und Informationstechnologie.

Zu diesem Ergebnis kam im vergangenen Jahr auch eine repräsentative Umfrage von Bitkom. 854 Personalverantwortliche gaben Auskunft, etwa jeder Dritte wollte künftig häufiger Freiberufler einsetzen. Besonders stark auf Freelancer setzen demnach Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro.

Der Verband geht davon aus, dass derzeit etwa 80000 IT-Spezialisten als Freiberufler in deutschen Unternehmen aktiv sind - eine Steigerung von mehr als 30 Prozent innerhalb von zehn Jahren. Und eine Entwicklung, die die Vermittlung zwischen Auftraggebern und Auftragsuchenden zu einem florierenden Geschäftsmodell werden ließ.

Zum Wohle der Freiberufler: Laut einer Erhebung der Plattform Twago, spezialisiert auf die Vermittlung von Programmierern und Designern, verdienen über Twago vermittelte Freelancer mit einem durchschnittlichem Stundenlohn von 58 Euro mehr als doppelt so viel wie Arbeitnehmer im Bundesdurchschnitt.

Freiheit und Unabhängigkeit sind unbezahlbar

Felix Winkler muss sich derzeit wohl noch mit etwas weniger bescheiden - zufrieden ist der 34-jährige Jurist dennoch: Er legte 2008 das zweite Staatsexamen an der Universität Köln ab, danach arbeitete er zunächst in einer Kanzlei und schrieb parallel an seiner Dissertation. Die Sozietät hatte sich unter anderem auf Schul- und Hochschulrecht spezialisiert, Winkler fand das Thema interessant.

Doch gleichzeitig fragte er sich: Will ich wirklich jeden Tag in einer Kanzlei arbeiten? Weil er die Frage bald mit einem klaren Nein beantwortete, machte er sich auf die Suche nach eigenen Räumen. Seit November 2011 sitzt er nun in einem Büro in der Kölner Innenstadt.

Klar, die ersten Monate waren schwierig. Winkler lebte erst mal von Erspartem. Als junger Anwalt hatte er weder feste Mandanten noch einen bekannten Namen. Außerdem bedeutet die Spezialisierung auf Studienplatzklagen gewissermaßen juristisches Saisongeschäft. Die meisten Klagen fallen von Januar bis April und von Juli bis Oktober an. Und selbst wenn Winkler die Mandanten zufriedenstellt - sie brauchen ihn meist nur einmal.

Deshalb blieb ihm in den ersten Monaten immerhin genug Zeit, an seiner Dissertation zu feilen. Außerdem kümmerte er sich um das Selbstmarketing. Er bastelte mit einem Freund an seiner Internet-Seite, hielt Vorträge über Schulrecht, schrieb Artikel für juristische Online-Portale. Alles mit dem Ziel, sich einen Namen zu machen. Es funktionierte.

Natürlich bleibt das Geschäft unsicher, und er braucht ständig neue Mandanten. Seine monatlichen Fixkosten belaufen sich auf einen niedrigen vierstelligen Betrag. Doch mittlerweile schreibt er schwarze Zahlen und kann von den Einnahmen leben, ohne seine Ersparnisse anzuzapfen.

Winkler ist sich bewusst, dass er als fest angestellter Anwalt derzeit sicher mehr verdienen könnte. Aber als Selbstständiger kann er sich seinen Erfolg eigenständig erarbeiten, sagt Winkler, und das ist ihm wichtiger: "Diese Freiheit und Unabhängigkeit kann man mit Geld nicht kaufen."

(Quelle: Wirtschaftswoche)