Raupen im Sauerkraut oder der trickfreie DV-Verkäufer

13.11.1987

Horst Rückle

Management und Verhaltenstrainer, Böblingen

Produkte und Dienstleistungen in der DV-Branche zu verkaufen, ist eine der interessantesten, wenn nicht sogar schönsten Vertriebsaufgaben, die es gegenwärtig gibt. In kaum einem anderen Bereich reizt so sehr die Fortschritts-Faszination, die dieser Schlüsselsektor unserer Industriegesellschaft ausstrahlt. Aus dem anhaltend hohen Bedarfszuwachs bei der Informationstechnologie lassen sich für Marketing und Vertriebsmanager wie auch - und gerade - für den einzelnen Vertriebsbeauftragten jene Auftragschancen ableiten, die selbst in Zeiten des Wirtschaftswunders als spektakulär angesehen worden waren.

Doch trotz - oder eben wegen - der starken Nachfrage nach informationstechnologischen Losungen wimmelt es in der DV-Branche nur so von unterqualifizierten Verkäufern. Zu lange vielleicht wurde dieser Wirtschaftszweig von einer Dauerkonjunktur verwöhnt - zu Sott ließen sich die "Hobel auf den Hof" stellen. Der verbreitete Anwenderfrust resultiert zu einem großen Teil aus der Tatsache, daß sich immer noch allzu viele Verkäufer als Vermarkter, nicht aber als Problemlöser begreifen. Der Könner - und nur er hat langfristig Erfolg - laßt sich mit einem einfachen Gedankenansatz umreißen: Er hat die Kluft zwischen Problem und Aufgabe überschritten, denn beides verknüpft sich bei ihm zur Herausforderung, kundenorientiert zu fühlen, zu denken und zu handeln, ohne dabei die Interessen seines Unternehmens zu vernachlässigen.

Probleme werden freilich nicht zwangsläufig zur Aufgabe, wenn der Verkäufer die vorhandenen Lösungsmöglichkeiten auswendig lernt und sie beim Kunden herunterbetet. Diese Manier ist aber im DV-Gewerbe sehr verbreitet, weil man sich über Jahrzehnte - dank des Dauerbooms - zuwenig Gedanken darüber machen mußte, wie ein potentieller Auftraggeber individuell bedient werden kann. "Self-selling-products" - in anderen Segmenten der Wirtschaft kann man davon nur träumen! Erst der Trend zum mündigen Anwender, der bislang eher als Vorhut denn als Massenbewegung sichtbar ist, vermittelte da und dort die Erkenntnis, daß ein Kunde dem anderen nicht wie ein Ei dem anderen gleicht.

Es ist denn auch höchste Zeit, dem Schablonendenken und der Klischeepflege in der DV-Vertriebspolitik ein Ende zu setzen. Wer es nicht selbst tut, wird von den Anwendern zunehmend dazu gezwungen. Es muß also eine Wende - gemessen an der übrigen Wirtschaft - zur Normalisierung betrachtet werden, wenn DV-Verkäufer nicht länger ihre technologischen und effizienzbetonenden Routineargumente mit der Stereotypie von Gebetsmühlen vortragen, sondern hinterfragen und erforschen müssen, wo den Kunden der Schuh nun tatsächlich drückt. Wer sich dazu nicht durchringt, wird mit Tricks zu operieren versuchen und außerdem in Angst leben.

Welche Tricks und warum Angst? Wer im Gegensatz zu seinen Konkurrenten nicht kundenorientiert reflektiert und agiert, wird versuchen, dieses Manko zum Beispiel mit überhöhten Leistungsversprechen oder nicht einzuhaltenden Servicezusagen zu kompensieren. Auf Dauer entgeht der Trickreiche natürlich dem Bumerang nicht, dem er dann durch einen Jobwechsel zu entrinnen versucht - um anderwärts genauso (wieder) zu operieren. Die eigene Inkompetenz und Unfähigkeit - oft aber auch eine nur quotenbedingte Egomanie - erzeugt Angst. Sie wiederum verkleinert das Fähigkeitsrepertoire und führt in eine regelrechte Abwärtsspirale, die in jene Frustqualität mündet, aus der die Anwender immer offenkundiger ausbrechen.

Keine Frage: Alle Versuche mit Standardwissen oder eingetrichterten Formeln erfolgreicher als die Rivalen an der sogenannten "Verkaufsfront" (ein übler, weiI konfliktproduzierender Begriff!) zu sein, gleicht dem Bemühen eines Kindes, sämtliche Multiplikationsergebnisse auswendig zu lernen. Gerade solche Beispiele belegen, daß das Erkennen und Verinnerlichen von Prinzipien - hier der Multiplikation, dort des Verkaufens - vernünftiger und effizienter sein muß. Also: Verkäufer sollten bestimmte, nämlich bedarfsjustierte und kundenbezogene Verhaltensmuster erlernen und diese in unterschiedlichen Situationen partnerspezifisch realisieren. Damit bleibt der Verkäufer letztendlich sich selbst treu und kann sich doch in jedem Gespräch anders - eben kundengerecht - verhalten.

In einer Zeit in der immer mehr Routineabläufe von elektronischen Rechnern und Automaten übernommen werden, muß der Verkäufer jene personalen Qualitäten aufweisen, die von, Maschinen niemals zu erwarten sind: so vor allem vertrauensvolle Beziehungen herstellen und Gefühlssignale des Kunden erkennen zu können, die offene - ja, sogar herzliche - Verhandlungs-, Gesprächs- und Beratungsatmosphäre. Gerade der Stellenwert des Vertrauens rückt in einer Gesellschaft, deren erbarmungsloser Leistungsdruck das Mißtrauen fast schon zur kollektiven Krankheit gemacht hat, immer weiter nach oben.

"Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut" frotzelte bereits Wilhelm Busch. Also: Ändern wir unsere Einstellung, so erreichen wir auch eine andere Wahrnehmung. Wir legen gleichsam die eine Brille ab und setzen eine andere auf. Wer schließlich ohne Brille zurechtkommt, lebt - um im Bild zu bleiben - ohne Vorurteile.

Ein Beispiel: Da kommt der Geschäftsführer einer kleinen Werbeagentur zum PC-Händler und erklärt: "Ich würde mir ja schon gerne einen Rechner kaufen, befürchte aber, daß durch die schnelle Weiterentwicklung das Gerät schon morgen veraltet und wertlos ist - dann habe ich mein Geld eigentlich zum Fenster rausgeworfen." Der auf Bedarf und Identifikation eingestellte Verkäufer wird erfahren wollen, an welchen Computertypen der Kunde interessiert ist. Hingegen sieht der vorurteilsbehaftete Verkäufer seine skeptische Meinung über die rapide Weiterentwicklung und die damit verbundenen Nachteilen bestätigt und wird dem Werbemann recht geben. In diesem Augenblick lenkt ihn nämlich seine unterbewußte Negativ-Haltung stärker als die Chance, gemeinsam mit dem Kunden eine Lösung zu finden, die jenen zufriedenstellt (in diesem Falle etwa ein PC-Leasing mit der Option eines regelmäßigen Gerätewechsels).

Vertiefen wir diesen Aspekt noch etwas: Entsprechend seiner inneren Haltung tritt der Verkäufer dem Kunden gegenüber. Seine Einstellung ruft sprachliche und körpersprachliche Umsetzungsformen ab und kann sein Dialogverhalten positiv und erfolgreich oder aber negativ und mißlingend bestimmen. Wer sich nicht mit seinem Verkäuferberuf, seiner Firma, den Produkten oder Dienstleistungen identifiziert, wird sozusagen mit der linken Hand verkaufen. Gemäß "sich selbst erfüllender Prophezeiungen

führen Vorbehalte wie "Hier werde ich sowieso nichts ab setzen!" zwangsläufig zum Fehlschlag. Und noch etwas. Eine Lieblingsbeschäftigung weniger erfolgreicher Verkäufer ist die Schuldprojektion auf andere. Verantwortlich sind aus seiner Sicht primär das eingene Unternehmen, die Produkte, die Konkurrenz oder gar Fortuna. So argumentierende Vertriebsleute vergessen freilich, daß ihre Kollegen oder Konkurrenten trotz identischer oder zumindest ähnlicher Bedingungen gut im Rennen liegen.

Die Kompetenz des Verkäufers in der informationstechnologischen Branche zeichnet sich nicht nur durch die perfekte Beherrschung der angebotenen Technik oder durch Detailwissen über Einsatzmöglichkeiten aus, sondern auch durch das Bemühen auf sehr "unerschiedliche Problemstellungen gleichermaßen mit "Herz und Verstand" einzugehen. Wer mit Tricks und Taktiken arbeitet, weiß genau, daß er kein fairer Partner seiner Auftraggeber ist. Mit einem solchen Bewußtsein kann man nur schlecht leben geschweige denn überzeugend und ehrlich wirkend auftreten. Das wiederum verursacht Verdrängung der eigenen Schwächen. Und die Konsequenz: Man wird nach und nach jener belastenden Spaltung des realen Selbst und des gespielten Ichs unterworfen, die immer weiter von der Identifikation mit dem eigenen Beruf und Unternehmen sowie den Kundenwünschen wegführt.