Softwarepiraterie in den GUS-Staaten

Raubkopien - Kavaliersdelikt oder Krebsgeschwür der Weltwirtschaft?

29.09.2000
MOSKAU -Trotz Beteuerungen der Regierungen, Abhilfe zu schaffen, sind die Behörden der Nachfolgestaaten der Sowjetunion mit dem Urheberrechtsschutz offensichtlich noch immer überfordert. Die Umsatzverluste der Softwareindustrie durch Raubkopien sind jedenfalls in Russland und der Ukraine besonders hoch. Doch das Problem der Softwarepiraterie ist nach wie vor ein weltweites. Von Klaus Lindlar*

Der Besucher in der russischen Hauptstadt Moskau oder in der ukrainischen Metropole Kiew wird große Augen bekommen: Fast jedes gängige Computerprogramm ist dort für Dumpingpreise zu haben. Wochenend- und Flohmärkte wie die Moskauer "Gorbuschka" und Stände an den Flaniermeilen von Sankt Peterburg und Kiew sind beliebte Handelsplätze für illegale Software. Die Betriebssystem-CD Windows 98 mit Zusatzprogrammen kostet umgerechnet zwischen 3,50 und 5,50 Mark; für Anwenderprogramme bezahlt man zehn Mark und in Kiew sogar nur vier Mark.

Wirtschaftlicher Schaden geht in die Milliarden"Keine Industrie wäre bereit, Wirtschaftskriminalität in diesem Ausmaß zu tolerieren", warnte Ende Mai angesichts der neuen Zahlen Alexandre Salzmann, Manager von Adobe Systems Schweiz. Immerhin entsteht durch das Raubkopieren von Software den legalen Herstellern von Computerprogrammen seit Jahren regelmäßig weltweit ein finanzieller Schaden in Höhe von jährlich etwa zwanzig Milliarden Mark. Zwar hat sich auch 1999 der Abwärtstrend der Raubkopierrate mit 36 Prozent fortgesetzt, die finanziellen Einbußen sind aber durch das wachsende Marktvolumen im Bereich Software mit einem Verlust von 23 Milliarden Mark erneut gestiegen. Doch bei dieser Summe handelt es sich nur um die Umsatzverluste aus dem Verkauf oder der Weitergabe illegal kopierter und gefälschter Business Software. Würde man die Zahl der Raubkopien von Computerspielen, geschweige denn die aus dem Internet heruntergeladenen Programme hinzuziehen, stiege der Schaden der internationalen Softwareindustrie um ein Vielfaches. Von 1998 weltweit 615 Millionen neu installierten Standardapplikationen sind nach Angaben der BSA 231 Millionen Raubkopien gewesen. Im Klartext bedeutet das: Zwei von fünf PC-Programmen sind illegal im Einsatz.

In Westeuropa zeichnet sich indes ein leichter Rückgang der Raubkopierrate (34 Prozent) gegenüber den vergangenen Jahren ab. Und auch in Osteuropa zeigen sich erste positive Impulse. Doch mit einer Quote von 70 Prozent (zuvor über 90 Prozent) weist die Region weiterhin die weltweit höchste Raubkopierrate aus. Allerdings mit einer geringeren Gesamtschadensbilanz. Auch in Deutschland besteht noch immer kein Grund zum Jubeln. Zwar verzeichnet die Bundesrepublik seit 1998 (28 Prozent) beziehungsweise 1999 (27 Prozent) den geringsten Einsatz an illegaler Software innerhalb der EU, doch mit realen finanziellen Verlusten von 1,2 Milliarden Mark belegt der weltweit zweitgrößte Softwaremarkt innerhalb der EU noch immer Platz zwei hinter Großbritannien.

Fast unverändert ist die Schadensbilanz in den GUS-Staaten und Russland. Die Quote in den GUS-Staaten (ohne Russland) ist mit 90 Prozent und einem Verlust von 82,7 Millionen Mark nahezu konstant geblieben. Für Russland wird die Rate der illegal benutzten Software offiziell mit 89 Prozent und einem Schaden für die einschlägige Industrie in Höhe von 314,5 Millionen Mark angegeben. Ähnliches gilt für die benachbarte Ukraine.

Gegenmaßnahmen waren bisher nur halbherzigKritisiert wird vor allem, dass Verfolgung und Aburteilung von Straftätern nach wie vor das größte Manko sind. Was um so schlimmer ist, da besonders Russland und die Ukraine von den Herstellern als ein wichtiger Wachstumsmarkt betrachtet werden. Allerdings floriert gerade dort, wie geschildert, das Fälschergeschäft, und die Falsifikate werden inzwischen bevorzugt nach Westeuropa exportiert. Hinzu kommt: Von den Mindereinnahmen ist nicht nur die Softwareindustrie betroffen. Auch die Finanzhaushalte der betroffenen Staaten leiden unter den entgangenen Steuereinnahmen.

In Moskau versucht die Stadtregierung seit drei Jahren, den Piratenmarkt zu bekämpfen. Mit geringem Erfolg, wie das Bürgermeisteramt des quirligen Oberbürgermeisters Luschkow allerdings einräumt. In einem ersten Schritt wurden Lizenzen an Geschäfte vergeben, ein per Dekret eingeführter Markierungszwang von Software, CD-ROMs und Videoprodukten für Hersteller und Importeure ist allerdings umstritten. Eine für Juni letzten Jahres geplante Verordnung, die den Verkauf von Datenträgern sowie von Video- und Audioprodukten an Straßen, in Unterführungen der U-Bahn, in Nahverkehrszügen und aus dem Auto heraus verbieten sollte, ist Makulatur geblieben. Vielmehr befinden sich in Moskau und Kiew heute die größten und modernsten Raubkopierzentren in den GUS-Staaten.

Das Vorgehen der Piraten ist professionell: Programme, die einmalig in Lizenz gekauft oder irgendwo illegal kopiert wurden, werden gesammelt, geknackt und - übersetzt und synchronisiert - zu neuen Softwarepaketen geschnürt. Die CD-ROMs werden dabei im preiswerteren Industrieverfahren gebrannt. Die in die illegale Produktion investierten finanziellen Mittel - etwa 40000 Mark für die Ausstattung, CD-Rohlinge für zwei Mark pro Stück - haben sich innerhalb eines Monats nach Arbeitsaufnahme amortisiert.

Kopiert werden hauptsächlich Betriebssysteme, Datenbanksteuerungsprogramme und Textverarbeitungssoftware. Benutzer in den Sektoren private Personalcomputer und Small-Business-Anwendungen für Klein- und Mittelbetriebe sollen sich russischen Experten zufolge zu einhundert Prozent bei der Piratensoftware bedienen. Selbst staatliche Behörden und Betriebe scheuen - aus der finanziellen Not geboren - nicht davor zurück, Raubkopien einzusetzen. Zwar darf ein in der Regel über einen IWF-Kredit angeschaffter Computer nur mit der gemeinsam damit legal erworbenen Lizenzsoftware betrieben werden. Doch ist die nicht mehr zeitgemäß, fehlt in den staatlichen Institutionen zumeist das Geld für das Update oder neue Software.

Kritiker wie der Herausgeber der russischen Fachzeitschrift "Compulog" Michail Salnikow warnen inzwischen vor einem weiteren Problem: Wenn die zahlreichen arbeitslosen Computerspezialisten der GUS-Staaten tatsächlich dazu übergehen sollten, sich als Cracker anwerben zu lassen, oder zusätzlich beginnen, selbst raubkopierte Software auf den ohnehin strapazierten Markt zu werfen, dürften sich die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft noch einmal drastisch verschärfen.

Vielfach fehlt es, so die Feststellung der BSA, den Anwendern illegaler Programme in den GUS-Staaten auch an Kenntnissen um das internationale Urheberrecht - und am entsprechenden Rechtsbewusstsein. Eine legal erworbene Software ist vor der Installation im Unternehmen oder bei Privatpersonen schnell kopiert. Oft wird - wie auch im Westen üblich - das neu gekaufte CD-ROM-Programmpaket zusammen mit der Registriernummer an Freunde verliehen. Noch häufiger tritt der Fall ein, dass legal erworbene Softwarepakete ohne weitere Lizenzierung auf dem PC eines weiteren Arbeitsplatzes installiert werden - ein Verhalten, das allerdings auch in deutschen Unternehmen immer wieder anzutreffen ist.

*Klaus Lindlar ist freier Journalist in München.