Neue Techniken verändern das Sozialgefüge:

Rationalisierungsschutz im Büro aufgehoben

20.11.1981

Das Büro wird sich innerhalb von zehn Jahren stärker verändern, als es sich in den letzten 30 Jahren verändert hat. Neue Technologien sind erschienen, und doch erreichen die Hersteller nicht den Umsatz, den sie sich damit eigentlich versprochen hatten, Hinzu kommt, wie es der Gewerkschaftsvorsitzende Heinz-Oskar Vetter aus einer Umfrage unter Angestellten in Büroberufen herausgelesen hat, daß der Widerstand gegen die neuen Technologien wächst.

Was ist so besonders an diesen neuen Technologien? Daß Papier an Bedeutung verlieren könnte. Jenes Papier, von dem wir heute mehr auf dem Schreibtisch haben, als wir überhaupt lesen können. Das papierlose Büro ist vorstellbar geworden.

Die Zahl der Beschäftigten in Büroberufen steigt weiter, wie alle Untersuchungen zeigen, und trotzdem: Der Rationalisierungsschutz, der dreißigjährige Rationalisierungsschutz im Büro ist abgelaufen. Es ist nicht mehr so, daß nur in der Produktion rationalisiert wird und daß die Industrie die Verwaltung übergeht.

Die Zeit, wo mit einem Stuhl, einem Schreibtisch, einer Schreibmaschine und vielleicht noch einer Schreibtischlampe die gesamte Investition eines Büroarbeitsplatzes erledigt war und das für viele Jahre, ist vorbei. Büroarbeitsplätze erfordern heute eine Investition in der Größenordnung wie jeder andere Arbeitsplatz auch. Aber das ist nicht alles. Die Buroarbeitsplätze der Zukunft erfordern auch ein völlig neues Denken. Nicht mehr der Kaufmann, der seine Arbeit im Rechnen sieht und der jahrzehntelang das Büro beherrscht hat, wird die dominante Figur sein, auch nicht der Ingenieur, der eigentlich über das Ausprobieren von Maschinen ins Büro gekommen ist, sondern der Planer, der vorausschauen kann, kreativ ist und in absolut logischen kleinteiligen Schritten mit der Maschine kommuniziert, ist der zukünftige Büromensch.

Alle, die im Büro arbeiten, müssen sehr viel mehr als bisher im planerischen Denken geschult sein. Und diesem planerischen Denken entspricht auch ein neues Informationsverhalten. Künftig müssen wir die Informationen, die wir brauchen, suchen. Eine unendliche Zahl von Informationen steht zur Verfügung, und aus diesen Informationen müssen diejenigen herausgefiltert werden, die für den konkreten Fall tatsächlich notwendig sind. Bisher haben wir uns im Allgemeinen auf das Papier verlassen, das morgens auf den Schreibtisch kommt, und das uns seine beständige Anregung gibt, hinsichtlich der Information, die wir verarbeiten sollen. Ab hier ist der Anregungsfaktor für Informationsverarbeitung. Künftig müssen wir in der elektronischen Datenverarbeitung nach Informationen suchen.

Alle müssen umlernen

Wir müssen alle umlernen, und der Grad des Umlernens ist erheblich. Aber es kann nicht jedem zugemutet werden, daß er sich in seinem Denken völlig umstellt. Die Beschäftigtenstruktur in einem Unternehmen ist unterschiedlich. Infolgedessen müssen die Technologien, die für diese Unternehmen geschaffen werden, auch unterschiedlich sein. Es bedeutet aber auch, daß ein Entscheidungsprozeß um die Technologie die Menschen sehr viel stärker einbeziehen wird, als das bisher der Fall war. Der Mensch kann sich nur auf jene Technologien einstellen, die er auch voll akzeptiert. Ansonsten erhalten wir eine Steigerung der betrieblichen Konflikte.

Dies hat zur Folge, daß wir mit einem veränderten Investitionsverhalten rechnen müssen. Wir können nicht mehr im Kleinbetrieb eine Technologie anschaffen, sie solange sitzen lassen, bis sie auseinander fällt, um dann in einem großen Sprung wieder die neueste Technologie anzuschaffen. Vielmehr müssen wir aus der Erkenntnis heraus, daß der Mensch mit der Technologie wachsen muß, und aus dem Wissen heraus, daß die technologische Entwicklung in außergewöhnlicher Geschwindigkeit vor sich geht, zu einem stufenweisen Investieren kommen, das heißt, wir investieren immer in die Technologie, die ein Schritt weiter voraus ist, als in die, an die wir uns gewöhnt haben.

Ein Markt für überholte Technologien

Dies bedeutet gleichzeitig, daß innerhalb der Wirtschaft sich ein Abstufungsgefüge von Technologien ergeben wird. Die Technologie, die der Betrieb "A" gegen eine neue austauscht, ist für den Betrieb "B" die Technologie, die er jetzt braucht und der Betrieb "C" kann an diese Technologie noch gar nicht denken. Er wird sie als die übernächste Technologie einführen. Dies bedeutet, daß ein Markt für "überholte", alte Technologien entstehen wird.

Die Höhe der Investition führt aber gleichzeitig dazu, daß wir das Büro der Zukunft völlig anders erleben werden ist heute. Es wird nicht mehr das Büro sein, in dem wir lediglich am Schreibtisch sitzen sondern es wird das sein, in dem wir stehen, sitzen und uns bewegen, in dem ergonomische Voraussetzungen der Büromöbel an der Tagesordnung sind. Das Stehen am Bildschirm, das Stehpult, wird ebenso wieder gewöhnlich, wie unsere derzeitige Sitztätigkeit.

Umverteilung der Arbeit

Und trotzdem haben die Menschen Furcht vor diesem Büro und vor allen Dingen deswegen, weil das Sozialgefüge dieses Büros durch diese neuen Technologien und die neuen Anforderungen durcheinandergerät. Derjenige, der bisher seine Stärke im Schreibmaschinenschreiben hatte fehlerlos und in ungeheuerer Geschwindigkeit Seite um Seite abtippen konnte, hat Sorgen, daß nun ein anderer ihn mit den relativ leichten Korrekturmechanismen auf dem Textautomaten überholt. Seine Sonderstellung als die beste Kraft des ganzen Hauses ist in Gefahr. Aber es ist nicht diese neue Rangordnung der Qualifikation, die das Sozialgefüge durcheinanderbringt, sondern es ist auch die neue Verteilung der Arbeit. Der Sachbearbeiter greift sehr viel mehr in die Schreibtätigkeiten ein und es gehört nicht viel Prophetie dazu zu sagen, daß die Schreibkräfte die reinen "Tippsen", diejenigen sind, die ihre Arbeitsplätze verlieren. Sie werden auf Dauer überflüssig.

Dies ist ein ganz ähnlicher Prozeß der sich auch bei der Rationalisierung im Produktionssektor schon ergeben hat: Diejenigen mit der geringsten Ausbildung sind letztlich die ihre Arbeitsplätze verloren haben. Auch die Entwicklung im Büro deutet darauf hin, daß diejenigen, die künftig weniger gebraucht werden diejenigen sind, die am wenigsten organisatorische, verwaltungstechnische und planerische Arbeiten erledigt haben. Die klare Trennung von Sachbearbeiter und Schreibkraft verwischt sich. Diese Furcht kann man dem Menschen nehmen, indem man ihn vertraut macht mit den Technologien, die auf ihn selbst zukommen. Jeder einzelne muß sich mit ihnen auseinandersetzen, muß die Folgen für sich selbst durch die neuen Technologien bedenken können. Und dies kann er nur - und so sind wir Menschen eingestellt -, wenn er diese Technologien zum Anfassen nahe hat, wenn er probieren kann ob seine eigenen Fähigkeiten eigentlich noch gefragt sind, wenn er feststellen kann, ob er sich in der Lage fühlt, sich mit diesen Technologien vertraut zu machen.

Längere Einführungsphasen

Es ist dazu nicht nur nötig, daß die Betriebe wesentlich längere Einführungsphasen für diese Technologien planen. Wesentlich mehr als die ein oder zwei oder vier oder fünf Tage, sondern daß sie damit rechnen, daß es Monate dauert, bis eine solche neue Technologie wirklich akzeptiert ist; es gehört auch dazu, daß man sich in Zeitungen und Zeitschriften über die Vor- und Nachteile dieser Technologien informieren kann, daß man sich mit ihnen beschäftigen kann und dabei immer sein eigenes Berufsfeld im Auge haben kann. Und es gehört auch dazu, daß es Ausstellungen gibt, in denen man die einzelnen Maschinen anfassen kann, an ihnen probieren kann, Fachleuten Fragen stellen kann; ich kann nur jedem Betrieb, vor allen Dingen den kleinen und mittleren Betrieben empfehlen, daß sie ihre Angestellten auf Messen schicken. Viel wichtiger als früher ist es, daß diejenigen, die mit den Geräten später arbeiten müssen, sich selbst dafür entscheiden, daß der Chef nicht mehr der einzige ist der entscheidet. Dies muß auch im Sinne des Handels sein, denn jede Maschine, die nachher herumsteht, weil die Beschäftigten sie nicht annehmen, ist ein Hemmnis für die weitere Entwicklung.

Wir haben uns viel zu lange damit zufriedengegeben, daß hochspezialisierte, trainierte Menschen alleine mit der Maschine kommunizieren können. Die breite Einführung der neuen Bürotechnologien erfordert jedoch, daß Profis wie Laien, daß sowohl der, der jeden Tag, als auch derjenige, der nur zweimal im Jahr mit dieser Maschine umgehen will, mit ihr umgehen kann. Und dazu gehören unter Umständen unterschiedliche Bedienungsvorgänge für Profis und Laien; es gehören vor allem klarbezeichnete Funktionstasten dazu. Auch der Chef muß in der Lage sein, abends, wenn er unter Umständen alleine arbeitet, noch wichtige Briefe aus dem Schreibautomaten herauszuholen, und er muß sich jederzeit einen Überblick über seine Buchhaltung verschaffen können.

Jede dieser Maschinen braucht Software; sie ist der maßgebliche Punkt der Mensch-Maschine-Kommunikation. Aber sie veraltet genauso wie die Hardware. Wir können jedoch den Menschen in den Unternehmen nicht zumuten, daß sie sich ständig mit neuen Softwaremöglichkeiten auseinandersetzen müssen, und hier entsteht eine neue Forderung an den Hersteller, nämlich daß er sich auch um die "alte" Software kümmern soll. Er muß in der Lage sein, die Software der Maschine, die vor zehn Jahren gekauft worden ist, beim Ausfall genauso zu pflegen wie die neueste Software der am weitesten in der Technologie fortgeschrittenen Betriebe. Alle Erkenntnisse deuten darauf hin, daß die neuen Technologien und die neuen Bürotechnologien weder gut noch böse sein müssen. Vielmehr hängen ihre positiven oder negativen Effekte für das Unternehmen von der Organisation ab, wie diese Technologien in den Ablauf der Funktionen eingebunden sind und wie man diese Funktionen neugegliedert hat. Die Organisation der Technik ist wichtiger als die Technik selbst, und wir müssen auf diese Organisation der Technik ebenso wie auf die Technik selbst vorbereitet werden.