Neue Sichtweise der Materialwirtschaft führt zu "Integrierten Systemen":

Rationalisierungs-Potential bisher kaum genutzt

07.07.1978

Die Materialwirtschaft als ein betrieblicher Bereich, der in besonderer Weise einer Quantifizierung, Formalisierung und damit Programmierung zugänglich ist, wurde schon sehr frühzeitig der automatisierten Datenverarbeitung erschlossen. Dabei war die Softwareentwicklung über Jahre hinweg von der klassischen funktionsorientierten Betrachtungsweise beeinflußt.

Die der Produktion häufig zugeordnete Bedarfsrechnung errechnet aus dem Produktionsprogramm oder den Kundenaufträgen beziehungsweise aus dem vorliegenden Materialverbrauch vergangener Perioden den Bedarf an Materialien. Die in der Regel dem Einkauf zugerechnete Bestellrechnung löst entsprechend dem vorhandenen Bedarf die Bestellung nach Menge und Termin aus und überwacht die laufenden Bestellungen. Die Bestandsrechnung, die im allgemeinen im Verantwortungsbereich des Lagers liegt, führt die für die Bedarfsermittlung und Bestellrechnung notwendigen Lager-, Bestell-, Vormerk- und Werkstattbestände.

Funktionsorientierte Dreiteilung

Analog dieser funktionsorientierten Dreiteilung waren die Softwarepakete der führenden Hersteller aufgebaut. Zwar waren diese Systeme schon modular strukturiert, so daß betriebsindividuelle Anpassungen, wenn auch mit einem relativ hohen Aufwand, möglich waren; doch die Flexibilität dieser Systeme reichte häufig nicht aus, den branchen- oder fertigungsartabhängigen Besonderheiten zu entsprechen, so daß heute neben den Programmpaketen der führenden Hersteller zahlreiche Eigenentwicklungen der Anwender existieren.

In jüngster Zeit hat sich eine neue Sichtweise der Materialwirtschaft ergeben, die auch Wirkungen auf die Softwareentwicklung haben muß. Die Erkenntnis der aufgabenlogischen Zusammenhänge zwischen den geschilderten Teilfunktionen und zwischen diesen und den angrenzenden Gebieten wie Beschaffungswesen, Verfügbarkeitskontrolle sowie der Übergang zur Fertigungssteuerung und Optimierung des Materialflusses führten zur Konzeption der "Integrierten Materialwirtschaft".

Unterstützt wurde diese Umorientierung durch die Erkenntnis, daß die Rationalisierungs-Potentiale in der Produktion weitgehend ausgeschöpft waren, die in der Verwaltung zumindest nicht so kurzfristig zu realisieren waren, wie ursprünglich vermutet wurde. Ein Bereich, in dem vorhandene Rationalisierungs-Potentiale bisher kaum genutzt wurden, ist die Materialwirtschaft, die in einzelnen Branchen über 50 Prozent der Kosten verursacht. Um eine Kostenreduzierung in diesem Bereich zu ermöglichen, ist es notwendig, alle mit der Bewirtschaftung von Materialien verbundenen Aktionen stärker als bisher zu integrieren. Eine solche "Integrierte Materialwirtschaft" umfaßt dann alle Tätigkeiten der Planung Disposition, Durchführung und Kontrolle für das Einkaufen, Bevorraten, Verteilen sowie auch das Entsorgen.

Zentrale Datenbank

Zwar sind die klassischen Teilfunktionen der Materialwirtschaft - Bedarfsrechnung, Bestellrechnung, Bestandsrechnung - nach wie vor die zentralen Elemente eines solchen integrierten Systems. Es müssen aber als neue Teilfunktionen hinzutreten: ein Einkaufs-Informationssystem, das dem Einkäufer stets die neuesten Daten über Produktionsprogramm, Lieferanten, laufende Bestellungen und Bestellanforderungen seitens der Produktion liefert, sowie ein System zur Steuerung und Kontrolle des innerbetrieblichen Materialflusses, um die häufig in der Produktion befindlichen Zwischenläger auf ein unbedingt notwendiges Mindestmaß zu beschränken und permanent zu überwachen.

Zur DV-technischen Umsetzung aller dieser Tätigkeiten als integriertem Lösungsansatz sind in der Endstufe Online-Systeme mit Bildschirmverarbeitung anzusehen, wobei die einzelnen Arbeitsgebiete über Bildschirm auf eine zentrale Materialwirtschaftsdatenbank zugreifen.

Von den führenden Herstellern wurden in den letzten Jahren Konzeptionen entwickelt, die der hier beschriebenen nahestehen. Allerdings sind diese Systeme größtenteils zur Produktionssteuerung entwickelt worden; die Materialwirtschaft wurde als Subsystem angelegt. Hierdurch wurde der nahtlose Übergang zwischen Materialwirtschaft und Produktionssteuerung weitestgehend gewährleistet.

Im Gegensatz hierzu ist die Entwicklung von Einkaufsinformationssystemen nicht mit dem ihrer Bedeutung entsprechenden Nachdruck betrieben worden. Die Notwendigkeit gerade eines solchen Einkaufsinformationssystems wird jedoch von den Praktikern, wie etwa den Teilnehmern des vom BIFOA im Juni 1978 durchgeführten Seminars für Unternehmer und obere Führungskräfte "Management der Materialwirtschaft", eindringlich gefordert.

Für die Zukunft ist daher zu wünschen, daß die Software-Hersteller die Entwicklung geeigneter Systeme für eine alle Funktionen umfassende, integrierte Materialwirtschaft beschleunigt vorantreiben.

* Geschäftsführender Direktor des BlFOA-Betriebswirtschaftliches Institut für, Organisation und Automation an der Universität zu Köln.