Neu-Isenburger DFÜ-Anbieter darf keine Analog-Modems mehr verkaufen

Racal-Milgo: Daumenschrauben durch Postmonopol

15.10.1982

NEU-ISENBURG/BONN - Die am 1. Oktober in Kraft getretenen Bestimmungen der Deutschen Bundespost, die privatwirtschaftlichen Anbietern den Vertrieb von Analog-Modems untersagen, bringt dem Vernehmen nach die Racal-Milgo GmbH In Kalamitäten. Der Neu-Isenburger DFÜ-Lieferant, der nach eigenen Angaben bisher etwa 70 Prozent seines Umsatzes durch das Modem-Geschäft einbrachte, muß sich jetzt auf neue Märkte konzentrieren. Trotz der Renommier-Installation ihres Local-Area-Netzwerkes "Planet" beim Volkswagenwerk in Wolfsburg werten selbst Racal-Insider den Einstieg des Unternehmens ins LAN-Geschäft als nicht sehr erfolgversprechend.

Die jetzt wirksam gewordene "Verordnung für das Direktrufnetz zur Übertragung digitaler Nachrichten" (im Postjargon: Direktruf-Verordnung) kam für die Racal-Manager freilich nicht aus heiterem Himmel. Bereits am 24. Juni 1974 wurden Bestimmungen verabschiedet, die den Umgang mit öffentlichen Netzen auf eine neue rechtliche Grundlage stellten. Demnach sollten in einem "sukzessiven Prozeß" Analog-Modems nicht mehr als isolierte Geräte, sondern als zum Fernmeldenetz gehöriges Equipment nur noch von der Post vertrieben werden. Racal-Milgo bezeichnet sich mit rund 12 000 hierzulande verkauften Modems als Marktführer bei Analog-Geräten. Zielsetzung der DBP-Bosse: ab 1985 ausschließlich digital zu übertragen. Zuerst nahmen sich die Postler Geräte mit geringerer übertragungsgeschwindigkeit aufs Korn, jetzt drehte sie der Racal Milgo GmbH mit dem Verbot von schnellen Modems den Vertriebshahn zu.

Was von Postkritikern als "Monopolisierungsruck" gewertet wird, sehen DBP-Manager wie Arnold Bohm, Referatsleiter im Bereich Datendienste und Datennetze im Bonner Bundespostministerium, als eine technologische Notwendigkeit. Die Umstellung der veralteten Analogverfahren auf moderne Digitaltechnik erfordere, daß die bisherigen Modems aus dem Verkehr gezogen werden müßten. Bohm unterstreicht jedoch, daß mit dem Inkrafttreten der "Direktruf-Bestimmungen" Anbieter wie Racal keineswegs der Garaus gemacht würde. Da die Post selbst keine Modems produziere, seien die üblichen, staatlich reglementierten Ausschreibungen vorgesehen, an denen sich "selbstverständlich" auch das Neu-Isenburger Unternehmen beteiligen könne. Derartige Wettbewerbe hätten für den Benutzer den Vorteil, daß sie günstige Preise schafften.

Das Vorhaben der Bundespost hat bereits vor längerer Zeit einige Gegner aus Verbänden und Organisationen auf den Plan gerufen. Prostest kam insbesondere vom Bundesverband der Vertriebsunternehmen für Büroorganisation e. V. (BVB) in Bad Homburg, dessen Klientel wie Racal-Milgo durch den Postbeschluß erhebliche Ertragseinbußen befürchteten. Ärgert sich BVB-Geschäftsführer Heinrich Stehmann: "Durch die neuerliche Beschränkung der Bundespost wird der Fortschritt in diesem Markt blockiert, der bisher durch eine natürliche Wettbewerbssituation gegeben war." Für die Neu-Isenburger, die die Entwicklung im Modem-Markt in den letzten Jahren stets vorangetrieben hätten, sei dies "ein Schlag mit dem nassen Handtuch".

In der Deutschland-Zentrale hat man nach Aussagen von Racal-Geschäftsführer John Barnes alles versucht, um die jetzt eingetretene Situation zu vermeiden. Nicht nur, daß der britische Industrieminister bei Ex-Post-Lenker Kurt Gscheidle anreiste, eine Wettbewerbsklage bei der Europäischen Gemeinschaft (EG) sollte obendrein das Ruder herumreißen. Streitgrund: Die Vertriebsbeschränkunden für die privatwirtschaftlichen Modem-Anbieter würden den freien Handel innerhalb der EG beeinträchtigen und zu einer "Monopolisierung" seitens der Bundespost führen. Die Klage war vergeblich.

Als Leidtragender der DBP-Politik gilt nun insbesondere die deutsche Tochter des englischen Racal-Konzerns. Durch den Verlust ihres Hauptgeschäftes schlittere die GmbH nun in eine unvermeidbare Absatzkrise, heißt es in Neu-Isenburg. Zwar könne das Unternehmen nach Aussagen von Racal-Mitarbeitern noch etwa zwei bis drei Jahre von den Mieteinnahmen aus dem Modem-Geschäft zehren, denn nahezu 70 Prozent der installierten Geräte seien vermietet. Habe man jedoch bis dahin keinen lukrativen Produktersatz gefunden, müsse mit " existenziellen Schwierigkeiten" gerechnet werden.

Erste Umsatzeinbußen aus dem verlorengegangenen DFÜ-Business gesteht denn auch Racal-Chef Barnes ein, der ansonsten die derzeitige Situation seines Unternehmens "sehr optimistisch" beurteilt. Nach Barnes Worten habe man die Notwendigkeit einer neuen Vertriebsstrategie bereits vor eineinhalb Jahren erkannt en Schritte in die Wege geleitet. Unter veränderter Vertriebsstrategie will der gebürtige Brite den Wechsel von einem passiven "Verteilermarkt" für Modems in einen aktiven Verkäufermarkt im Bereich lokaler Netzwerke verstanden wissen. "Die Neuorientierung hat so gut funktioniert", sagt Barnes, "daß ich unser Unternehmen heute als nicht mehr gefährdet betrachte." Bezogen auf den Markt für Inhouse-Netze ist der hessische Manager gar überzeugt, daß sich Racal mit "Planet" schon bald als Marktführer - "vor allem gegenüber der Ethernet-Konkurrenz" - durchsetzen werde. Zu dem von IBM forcierten "Token-Ring" möchte er indes keine Stellungnahme abgeben.

Ganz so rosig wie Barnes sehen Racal-Mitarbeiter und Netzwerkprofis den LAN-Einstieg des Unternehmens jedoch nicht. Sie werten das herstellerunabhängige Planet-System im augenblicklichen Netzwerk-Gerangel eher als Außenseiterprodukt. Herbe Kritik kommt auch aus Kreisen der European Computer Manufacturers Association (ECMA), die erst vor wenigen Monaten den sogenannten "Ethernet-Standard" verabschiedete (siehe CW Nr. 27 vom 2. Juli 1982, Seite 1): Planet sei vom Konzept her nichts anderes als eine "ringförmig auseinandergezogene Nebenstellenanlage", mit dem Nachteil, daß es "recht unsicher" sei und einen großen Overhead verursache.

Doch weniger die Produktqualität als vielmehr die derzeitige Situation im LAN-Markt geben Racal-Beobachtern Anlaß, den Neu-Isenburgern eine schwere Netzwerk-Zukunft zu prognostizieren. Hier stünden momentan alle großen Anbieter "Gewehr bei Fuß" und versuchten, jede erdenkliche Chance auszureizen.

Aus Furcht vor der sich abzeichnenden Vertriebsmisere hätten innerhalb der letzten zwölf Monate bereits über dreißig Racal-Mitarbeiter das Handtuch geworfen oder seien gekündigt worden, heißt es in der Neu-Isenburger DV-Szene. Diese Zahl bestätigt auch Geschäftsführer Barnes. Jüngstes Opfer der "neuen Racal-Politik" ist Vertriebschef Helmut

Durinkowitz. Nach dreieinhalbjähriger Tätigkeit mußte er - selbst für Insider überraschend - seinen Hut nehmen. Durinkowitz' Weggang markiert jedoch nur einen Etappenpunkt in dem schon länger anhaltenden Abwanderungstrend. Von der kaufmännischen Leitung über die Verwaltungs- und Technik-Leader bis hin zu den Geschäftsstellenleitern, so wird kolporiert, habe sich seit Herbst letzten Jahres die gesamte zweite Führungsebene aufgelöst.

Derartige Veränderungen schreckten und verunsicherten nun insbesondere die verbliebenen Mitarbeiter. Vor allem Techniker und Vertriebsleute, die bisher fast ausschließlich im Modem-Markt operierten, müßten umsatteln und sich neu orientieren.

Ex-Racal-Mitarbeiter werfen ihrem bisherigen Arbeitgeber heute vor, daß er sich nicht rechtzeitig bemüht habe, neue Märkte zu erschließen. Zwar habe man einige Anläufe gemacht, ins Sprachausgabe- oder Terminal-Geschäft einzusteigen, aber das hätte sich als wenig lukrativ erwiesen. Resümiert ein Ex-Racal-Manager: "Wir haben jahrelang im Modem-Markt abgesahnt und die Erwartungen in jedes neue Produkt an diesem Erfolg gemessen."

Wie es nun bei Racal-Milgo weitergehen soll, ist im eigenen Hause umstritten. Mit einer "Dürre-Periode" von zwei bis drei Jahren sei aber sicherlich zu rechnen, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Derartige Probleme sieht Racal-Boß John Barnes jedoch nicht: "Es gibt bei uns weder eine Krisensituation, noch müssen wir uns auf eine Durststrecke einstellen."