Standard-SW bindet für gut drei Jahre:

Quicke Lösung kann zum Langzeit-Flop werden

15.03.1985

MÜNCHEN (CW) - Der Kauf von Anwendungssoftware legt eine Organisation in ihrer Geschäftstätigkeit für mindestens die nächsten drei Jahre auf bestimmte Verfahrensweisen fest. Praktisch geht das Unternehmen eine fast untrennbare Verbindung der Geschäftstätigkeit mit dem Programm ein.

Anwendungssoftware verzeichnet die höchsten Wachstumsraten auf dem Markt für Informationstechnik. Trotz dieser gesunden Marktentwicklung ist jedoch nicht alles in Ordnung. Viele Organisationen unterschätzen derzeit noch die mittel und langfristigen Folgen, die der Kauf falscher Pakete haben kann.

Allein in den USA entfielen 1984 rund 6 Milliarden Dollar auf Anwendungssoftware. Bis 1989 werden sich die jährlichen Ausgaben der Benutzer fast vervierfachen und über 23 Milliarden Dollar erreichen, was einer jährlichen Zuwachsrate von 31 Prozent entspricht.

Informations- und Datensysteme werden immer rascher zu einem kritischen Wettbewerbsfaktor, wenn Unternehmen um die Vorherrschaft auf dem Markt kämpfen. Anwendungssoftware in Form fertiger Pakete mit verlockendem Preis und schnellerem Realisierungspotential (im Vergleich zu kundenspezifischer Software) ist die logische Antwort auf den wachsenden Bedarf an einem kostengünstigen Arsenal von Programmen.

Integrationstrends sind zu beachten

Leider wird jedoch zu oft übersehen, daß jede fertig gekaufte Anwendungssoftware eine Organisation für eine Zeit von mindestens drei Jahren - die typische Lebensdauer einer Anwendung - auf bestimmte paketspezifische Methoden, Vorgehensweisen und Verfahren in der Geschäftstätigkeit festlegt. Praktisch geht das Unternehmen eine nur schwer lösbare Verbindung mit den im Code realisierten Verfahrensweisen ein.

Anstatt diese Unzulänglichkeiten der Anwendungssoftware erst spät zu erkennen, die zu einem vorzeitigen Verwerfen des Pakets oder der teuren Änderungen führen können, sollten die Käufer von Anwendungssoftware verschiedene Punkte gründlich berücksichtigen.

Zu beachten sind die momentanen Trends und Entwicklungen, die vermutlich in den kommenden fünf Jahren einen Einfluß auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten von Informationssystemen haben werden. Folgerungen aus diesen Feststellungen

sollten in die heutigen Auswahlkriterien für Anwendungssoftware mit einbezogen werden.

Anwendungen werden in stärkerem Maße integriert, als viele Leute wahrhaben wollen. Integrierte Anwendungssoftware mit Datenbank-Managementsystemen wird so stark an Bedeutung gewinnen, daß bis 1989 auf solche Pakete ein Siebtel aller Softwarekäufe entfallen wird. Bis zum Ende des Jahrzehnts wird darüber hinaus mehr als ein Drittel aller Softwareprodukte Möglichkeiten zur Verbindung von Mikrocomputern mit Mainframes benötigen.

Die meisten Systeme werden schließlich in einer Hierarchie "Unternehmen-Abteilung-Individuum" zusammengeschaltet werden. Folglich werden Funktionen, die ein Anwendungssoftware-Paket alleine ausführen kann, in Zukunft oft weniger wichtig sein als die Frage, wie gut das Paket die Systeme, neben denen es existieren muß, unterstützt beziehungsweise von diesen unterstützt wird. Dieser Trend sollte bei der Auswahl berücksichtigt werden.

In dem Bemühen, den Markt stärker zu durchdringen, erweitern viele Anbieter ihre Produktlinien über ihre traditionellen Ursprünge hinaus. Diese Erweiterung kann verschiedene Formen annehmen.

Zahlreiche Anbieter von professionellen Dienstleistungen vertreiben jetzt auch Softwareprodukte, die aus Software-Entwicklungsverträgen mit einzelnen Kunden abgeleitet wurden. Viele etablierte Anbieter von Fern-Rechenleistungen und schlüsselfertigen Systemen befassen sich neuerdings mit Softwareprodukten. Diese Anbieter werden Markt- und Anwendungsspezialitäten entwickeln und den Kunden dann auf unterschiedliche Weise Lösungen für typische Probleme anbieten.

Diese Tendenz der "Marktwanderung" stellt eine Gelegenheit und eine Herausforderung für die Käufer von Anwendungssoftware dar. Positiv ist zu vermerken, daß zusätzliche Quellen neue Produktalternativen bieten. Umgekehrt laufen die Anbieter Gefahr, daß sie sich im Hinblick auf ihre Ressoureen übernehmen, wenn sie ihr Wettbewerbspotential nicht realistisch einschätzen. Die Kriterien für die Auswahl von Anwendungssoftware müssen ein Urteil in bezug auf diese Fragen zulassen.

Die Software-Gesamtstrategie von IBM sollte bei jeder Entscheidung zum Kauf von Anwendungssoftware wesentlich beachtet werden. Bis zum Jahre 2000, so erwarten Beobachter, wird IBM ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 400 Milliarden Dollar werden, wovon etwa 100 Milliarden Dollar aus Software- und Informationsleistungen stammen.

In den kommenden fünf Jahren wird IBM sich jedoch vorwiegend auf Systemsoftware und nicht auf Anwendungssoftware konzentrieren. Obwohl IBM eine Menge Anwendungssoftware anzubieten hat, wird das Unternehmen sich mit größtem Nachdruck bemühen, den Wettkampf bei Betriebssystemen, System-Netzwerkarchitektur und Produkten in Zusammenhang mit Datenbank-Managementsystemen zu gewinnen.

Diese Produkte bilden das Kernstück der zentral gesteuerten dezentralen Verarbeitungssysteme, auf die IBM sich bei den Großunternehmen stützt.

Erst Anfang der 90er Jahre wird der Computerriese ein primäres Geschäftsziel auf das elektronische Büro und die zugehörige anwendungsorientierte Software verlagern, prognostizieren Marktkenner.

Infolge des strategischen Drucks von IBM werden unabhängige Anbieter von Anwendungssoftware eher die Unterstützung von IBM erlangen, als daß IBM sie bekämpfen wird. Für IBM ist die Koexistenz mit anderen Anbietern viel bequemer, denn mehr Anwendungssoftware verlangt nach mehr IBM-Hardware.

Darüber hinaus bilden diese Unternehmen bei der Beherrschung der Großunternehmen eine weniger große Gefahr als die Systemsoftware-Firmen. Da die Einstellung und Haltung von IBM zum Wohlergehen der Anbieter von Anwendungssoftware beitragen, sollte der Benutzer diesen Aspekt der Überlebensfähigkeit des Anbieters in seine Kaufüberlegungen einbeziehen.

Für den Rest dieses Jahrzehnts werden sich mehr gutbetuchte Unternehmen auf dem Markt für Software und Dienstleistungen tummeln. Während derzeit über zwei Drittel dieses Marktes auf unabhängige Anbieter entfallen, werden sie 1989 nur noch einen Anteil von unter 60 Prozent haben. Unternehmen der Computer-Kommunikation erhöhen ihren Anteil in den nächsten fünf Jahren der Voraussicht nach von 10 auf 16 Prozent. Die stärksten Zuwachsraten werden jedoch die Tochtergesellschaften der Großunternehmen aufweisen. Sie werden ihren Marktanteil von derzeit 10 Prozent bis zum Ende des Jahrzehnts auf 19 Prozent ausbauen können.

Die Größe des Anbieters und der Bekanntheitsgrad des Produkt- oder Markennamens bedeuten jedoch allein nicht unbedingt das absolute Glück mit der Anwendungssoftware. Obwohl große Firmen über das nötige Potential verfügen, positive Vorteile wie kostspielige Produktverbesserungs-Bemühungen und langfristiges Engagement in einzelnen Marktsegmenten zu erzielen, gibt es jedoch auch einige Nachteile.

Der unternehmerische Eifer, der viele ungewöhnliche innovative Produkte hervorgebracht hat, wird möglicherweise fehlen. Darüber hinaus könnte die Organisation aufgrund ihrer Größe vielleicht nur langsam auf Marktveränderungen reagieren, was zu einer zu langsamen Verbesserung der Produkte führen könnte.

Der Kauf von Anwendungssoftware ist eine strategisch wichtige Geschäftsentscheidung. Um Enttäuschungen durch Systeme zu vermeiden, die heute gut aussehen, für die Bedürfnisse von morgen aber schlecht gerüstet sind, sollte der Käufer sich das gesamte Bild betrachten:

Hat der Anbieter einen überlebensfähigen, realistischen Langzeit-Produktplant?

Berücksichtigt er in angemessener Weise Verbindungen zwischen Mikrocomputer und Mainframe sowie andere Fragen der Integration?

Wie stark ist der Anbieter auf dem Markt engagiert? Welche Beweise sprechen dafür, daß der Anbieter diesen Anwendungsbereich wirklich versteht?

Wie groß ist der Mitarbeiterstab (nicht das Unternehmen), der die in Frage kommende Software entwickelt und unterstützt? Verfügt er bereits über Erfahrung oder befindet er sich noch im Lernstadium?

Wer ist der stärkste Konkurrent des Anbieters? Stellt diese Konkurrenz eine Bedrohung für die Überlebensfähigkeit des Anbieters dar? Wenn ja, was muß er tun, um zu überleben? Wird er dies auch tun und wann? Mit anderen Worten: Der Kauf von Anwendungssoftware ist ein Milliarden-Dollar-Unternehmen, das Auswirkungen auf die Zukunft von Unternehmen jeder Größe haben wird.