Der Lernort der Zukunft liegt im Netz

Qualität der Programme entscheidet über Akzeptanz

26.11.1999
Am Web Based Training (WBT) kommt in Zukunft kein Unternehmen und auch kein Mitarbeiter vorbei. Die Qualität der Programme - das wurde auf dem fünften IT-Trainingskongreß in Bonn deutlich - entscheidet über die Akzeptanz bei den Beschäftigten.

Werner Kohn, Leiter des Bereichs Neue Ausbildungsmedien der D.A.S Versicherung, erinnerte in einem Rückblick daran, daß in der Vergangenheit schon oft Begriffe wie "Distance Learning" oder "Cyber School" Hoffnungen auf eine neue Lernwelt ohne den Einsatz von menschlichen Trainern geweckt hätten, sie aber nicht erfüllen konnten. "Nicht die Ziele und Inhalte einer Weiterbildung bestimmten bislang oft das methodisch-didaktische Konzept, sondern die technischen Vorgaben", blickte Kohn zurück.

Als Resultat eines langen und manchmal schmerzlichen Weges zu einem "wirklich vernetzten Lernen" stellte der D.A.S.-Mann firmeneigene virtuelle Ausbildungszentrum vor. "Unsere Ziele waren die Qualifizierung der Mitarbeiter am Arbeitsplatz oder in seiner Nähe, die Senkung der laufenden Kosten und eine Reduktion des Arbeitsausfalls", schilderte er die Anfänge. Mittlerweile in der dritten, farbig und dreidimensional aufwendig gestalteten Version berücksichtige das Ausbildungszentrum diese Ziele, werde aber nicht als alleiniges Trainingsinstrument eingesetzt. "Bei uns gehören teamorientiertes Lernen, Training on the Job, Coaching und das mediengestützte Lernen zu den Aus- und Weiterbildungsinstrumentarien", berichtete der Bildungs-Manager.

Auch innerhalb des virtuellen Ausbildungszentrums setzt die D.A.S auf einen Medienverbund. Per Intranet kann sich der lernende Mitarbeiter alle zur Verfügung stehenden Informationen beschaffen, indem er die verschiedenen Möglichkeiten nutzt: In der Bibliothek stehen einschlägige Gesetzestexte bereit. Im Hörsaal gibt es virtuelle Seminare, Kolleghefte zum Selbststudium oder Computer-based Trainings (CBT) mit Multimedia-Anwendungen. Die Cafeteria lädt zum Chatten ein. "Ein ganz wichtiges Mittel ist für uns aber auch das Teletutoring", bestätigte Kohn.

Per Knopfdruck kann der Lernende Kontakt zu seinem Trainer aufnehmen, mit ihm aktuelle Fragen erörtern oder komplexe Inhalte für beide sichtbar grafisch am PC darstellen.

"Lernen ist und bleibt ein situations- und kontextgebundener, vor allem aber ein sozialer Prozeß, in dessen Mittelpunkt der Mensch, nicht die Technik stehen sollte", forderte der Ausbildungsleiter.

Um die technischen Möglichkeiten beim elektronischen Lernen ging es im Vortrag von Ulrich Kobusch, dem Abteilungsleiter Computerunterstützte Ausbildung bei der Sema Group. "In unserer medienverwöhnten Welt sind Grafik und Foto, Audio und Video zwingend notwendige Bestandteile von Lernprogrammen", stellte er fest. "Aber sind sie auch immer sinnvoll?" Am Beispiel des Einsatzes von Video im Web Based Training (WBT) arbeitete Kobusch die Vor- und Nachteile heraus.

Einer aufwendigen Codierung, der notwendigen Verarbeitung von großen Datenmengen und einer komplizierten Installation stünden unbestreitbar die Lernerfolge mittels Video gegenüber, wenn es um das Training von Verhaltensänderungen geht, so Kobusch.

Als Beispiel nannte er ein Lernprogramm, das rund 10000 Zugbegleiter im täglichen Umgang mit dem Kunden schult. Idee und Umsetzung überzeugten die Jury: Das Sema-Programm kam bei der Verleihung des IT-Awards auf den zweiten Platz (siehe Kasten). Grund genug für Kobusch, seine These bestätigt zu sehen: "Video kann trotz aller technischer Schwierigkeiten ein sinnvoller Bestandteil eines Gesamtlernkonzepts sein, weil damit bestimmte Ziele besser erreicht werden können." Insgesamt räumte Kobusch dem virtuellen Lernen jedoch große Chancen ein. "Das Internet ist die Grundlage von Entwicklungen, von denen wir heute noch träumen." Dem WBT als Bestandteil eines systemumspannenden Knowledge-Managements gehöre die Zukunft, weil nur so sichergestellt werden könne, daß das richtige Wissen zur richtigen Zeit beim Arbeitnehmer ankomme. "Der virtuelle Lernort der Zukunft liegt im Netz", ist Kobusch überzeugt.

Um möglichst praxisnahe Lösungen ging es in den Themen-Workshops. Immer wieder tauchte die Frage nach dem sinnvollen Einsatz und den Grenzen des virtuellen Lernens auf. Unternehmen wie die Bildungsakademie der Bankgesellschaft in Frankfurt am Main stellten Erfahrungen im Umgang mit dem elektronischen Training vor.

Dabei gab es überraschende Ergebnisse, wie Teamleiterin Gunhild Hasselbeck berichtete. "Als wir vor zwei Jahren unser erstes Pilotprojekt mit computergestütztem Lernen begonnen hatten, wurde das neue Medium gerade von den Mitarbeitern mit wenig oder gar keinen PC-Vorkenntnissen viel besser angenommen als von den Kollegen mit Erfahrung", erzählte sie. Mittlerweile finden CBTs und WBTs bei der Bankgesellschaft längst auch in der Lehrlingsausbildung, zum Beispiel in der Prüfungsvorbereitung für die Bankkaufleute, regelmäßig Anwendung. "Unser Ziel ist es auf Dauer, mit Hilfe dieser Lernmedien auch ein funktionierendes Bildungs-Controlling einzuführen", gab Hasselbeck einen Ausblick in die Zukunft.

Aber nicht nur die Praktiker berichteten aus ihrem Umgang mit neuen Lernmethoden, auch Wissenschaftler stellten die Frage nach der Qualität von Online-Trainings. So analysierte Silke Mittrach, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fernuniversität Hagen, virtuelle Lernprogramme, die in Unternehmen zum Einsatz kommen. Ihr Appell: "Online-Training kann nur so gut sein wie die Beteiligten, die damit zu tun haben." So seien bei den Lernern nicht nur das elektronische Medium, sondern auch soziale Lernstrukturen gefragt, wie etwa Gruppenarbeit oder die Betreuung durch kompetente Trainer.

*Gabriele Müller ist freie Journalistin in Wuppertal.