Pure Technikvermittlung ist nicht Aufgabe der Hochschule

08.10.1993

Den Fachhochschulen wird von allen Seiten Lob gespendet, allerdings wird zur Beseitigung der Missstaende wenig getan, so lautet die Kritik der Professoren. Und diese wird sicherlich immer lauter, wie das Gespraech mit Rainer Bischoff* zeigt. Der von Unternehmen geforderten und von den FHs durchgefuehrten praxisorientierten Ausbildung sowie den guten Berufsaussichten stehen "erhebliche Maengel" entgegen, wie zu wenig Personal und schwache staatliche Unterstuetzung.

CW: Die Arbeitsaemter melden eine zunehmende Zahl arbeitsloser Datenverarbeiter. Wie beurteilen Sie im Hinblick auf diese Entwicklung die Berufschancen von Fachhochschulabsolventen?

Bischoff: Es wird sicherlich enger. Mittfuenfziger werden haufenweise entlassen. Ich, 51 Jahre alt, huete mich, hier eine Bewertung abzugeben. Nichtsdestoweniger: Die Berufschancen unserer Absolventen sind gut, die Gehaelter nach kurzer Zeit den universitaeren Kollegen gleich. Diese haben wegen ihres meist hoeheren Einstiegsalters manchmal ein leicht hoeheres Anfangsgehalt zu verzeichnen. Vielleicht will man auch deswegen die Studienzeitverkuerzung!

CW: Woher nehmen Sie diesen Optimismus?

Bischoff: Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft, veroeffentlicht im August dieses Jahres, werden Absolventen auch in Zukunft Positionen ausscheidender Akademiker besetzen und haeufiger als vorher anders besetzte Stellen einnehmen. Bemerkenswert ist hierbei, dass Absolventen von Fachhochschulen deutlich haeufiger nachgefragt werden als solche von Universitaeten.

CW: Seit Jahren sind die Hoersaele ueberfuellt. Darunter leidet sicherlich auch die Qualitaet der Lehre. Warum also Informatik studieren?

Bischoff: Ueberfuellte Hoersaele gibt es selten in Studiengaengen an Fachhochschulen mit Zulassungsbeschraenkungen. Die Informatikausbildung erfolgt weitgehend in Kursen mit bis zu 45 Studenten, in hoeheren Semestern mit noch weniger Teilnehmern. Kleingruppenarbeit ist moeglich, die Professoren sind zum "Anfassen".

CW: Wo sind dann die Probleme?

Bischoff: Es muss oft gewerkelt, es kann nicht gestaltet werden. Andererseits braucht man zur Gestaltung auch Mittel, die jedoch insbesondere bei der Fachhochschule ueberall fehlen. Wie soll ich als Hochschullehrer der Informatik beziehungsweise Wirt- schaftsinformatik bei dieser technologietreibenden und technologiegetriebenen Wissenschaft bei 18 Semesterwochenstunden dauerhaft die Aenderungen assimilieren, vielleicht sogar beeinflussen beziehungsweise befruchten und gleichzeitig didaktische Perfektion erreichen - und das ohne jegliche personelle Infrastruktur!?

CW: Woran mangelt es im einzelnen?

Bischoff: Ich moechte nur einige Maengel nennen, zum Beispiel die nicht entwickelte personelle Infrastruktur, die mangelnde staatliche Unterstuetzung - Ausbau der Fachhochschule heisst ja heute leider nur quantitativer Ausbau und nicht qualitativer Ausbau - und das Fehlen einer Perspektive der Hoeherqualifizierung fuer unsere Top-Absolventen.

CW: Und wie soll diese aussehen?

Bischoff: Die universitaere Promotion kann es ja wohl nicht sein. Sie negiert Leistung, Bedeutung und Anspruch des Hochschultyps Fachhochschule insbesondere auch bezogen auf das Selbstverstaendnis unserer Absolventen. Sie verwischt den spezifischen Charakter einer eigenen, erfolgreichen Forschungs- und Entwicklungsarbeit aus der Richtung des praktischen Verstandes und der Faehigkeit zur multifaktoriellen Analyse und Synthese - eine eigene Weiterqualifikation steht an.

CW: Wie hoch ist die Investition je FH-Informatik-Student, um eine aussichtsreiche Ausbildung auf hohem Niveau fortfuehren zu koennen?

Bischoff: Eine fachbereichsinterne beispielhafte Studie ergab fuer das Jahr 1990 folgendes: In Baden-Wuerttemberg kostete (ohne Bafoeg und laufende Kosten) ein FH-Student den Staat 6480 Mark pro Jahr und ein Uni-Student 14000 Mark (ohne Medizinausbildung). In Niedersachsen liegen die entsprechenden Kosten bei 7000 Mark beziehungsweise 13400 Mark und in Hessen (1989) bei 5490 Mark und 26724 Mark (mit Medizinausbildung).

CW: Wie teuer ist dagegen der Informatiker von der Universitaet?

Bischoff: Da die Studiendauer an den FHs kuerzer und die Abbrecherquote kleiner sind, kann man sagen, dass ein Uniabsolvent dreimal soviel kostet wie der FH-Absolvent. Ein bisschen von diesem Geld in unsere Infrastruktur: Die Wirtschaft und angewandte Wissenschaft wuerde es merken und waere dankbar.

CW: Wozu brauchen Sie das Geld?

Bischoff: Es stehen an: Die Verbesserung des Verhaeltnisses Professor Student von derzeit 1 zu 40 in der Informatik auf etwa 1 zu 23, dann die Einfuehrung eines Verhaeltnisses Professor wissenschaftlicher Mitarbeiter auf 2 zu 1 spaeter 1 zu 1. Weiterhin fordern wir die Verringerung des Hochschullehrerdeputats von 18 Semesterwochen-Stunden auf zwoelf sowie mehr Mittel fuer Forschungsaktivitaeten.

CW: Nicht selten beklagen Unternehmen, dass sie Hochschulabsolventen ueber ein bis zwei Jahre "Nachhilfe" geben muessten.

Bischoff: Reine Technikvermittlung ist nicht Aufgabe der Hochschule. Ist es die alte Technik, bringt das dem Absolventen Probleme, ist es die neueste Technik, bekommt er ebenfalls Probleme, denn die Wirtschaft haengt meistens irgendwo dazwischen. Nachhilfe in der "spezifischen Technik" einer konkreten Unternehmung, das wird auch weiterhin notwendig bleiben.

CW: Welches ist dann Aufgabe der Hochschule?

Bischoff: Die Grundstrukturen von Systemen inklusive ihrer technischen Realisierung zu vermitteln. Konkrete Produkte als Vehikel sind oft notwendig, es darf jedoch nicht bei der reinen Produktschulung bleiben.

CW: Bislang diskutiert man ausgiebig den Geraete- und Personal- bedarf, warum nicht auch einmal ebenso intensiv ueberkommene Lehrprinzipien und qualitative Alternativen?

Bischoff: Ich glaube, dass in der heutigen Diskussion ueber die Qualitaet der Lehre an Fachhochschulen ein gehoeriges Mass Ablenkungsmanoever seitens der Ministerialen steckt.

Von den Maengeln in der Infrastruktur kann bestens abgelenkt werden.

CW: Auf welche Prinzipien soll eine zukunftsgerichtete Informatiklehre setzen?

Bischoff: Eine zukunftsorientierte Informatik sollte die Faehigkeit besitzen, einzelne Phaenomene der Informatik in ihrer Wechselwirkung beurteilen und gestaltend integrieren zu koennen, aber auch die informatischen beziehungsweise wirtschaftsinformatischen Probleme der Praxis erkennen und bewerten zu koennen.

Darueber hinaus geht es um das Herausarbeiten der Grundstruktur informatischer beziehungsweise wirtschaftsinformatischer Elemente bis hin zur Darstellung in einer systemuebergreifenden Metaebene und ihrer nachfolgenden Realisierung.

CW: Welchen Stellenwert hat die Praxis in diesem Fall?

Bischoff: Praxisorientierung sollte nicht in dem Sinne stattfinden, dass die Hochschule in die Unternehmung verlagert wird beziehungsweise die Praxis ihre Qualifizierung durch die Hochschule erhaelt, sondern dass die Hochschule sich durch ihren Praxisbezug qualifiziert. Das heisst zum Beispiel, dass man Probleme aus der Praxis nimmt und sie wissenschaftlich bearbeitet. So wird man den praktischen Problemen gerecht und bleibt nicht gleich in der Ausbildung an den moeglicherweise einseitig ausgerichteten Problemen einer/s Firma/Betriebes haengen.

CW: Und welche Prinzipien leiten Sie daraus fuer die Lehre ab?

Bischoff: Teamarbeit, Diskussionswilligkeit, Offenheit sowie die Bereitschaft zum Lernen in der unmittelbaren Lehre.

CW: Sind diese Prinzipien zu verwirklichen?

Bischoff: Die Umsetzung bedeutet unter anderem den Einbau flexibler Regelungen, so dass etwa beim Wechsel von C zu C++ nicht das gesamte Curriculum neu definiert werden muss. Wuenschenswert sind weiterhin workshopartige Veranstaltungen, die zwar ein Schwerpunktthema haben, zum Beispiel Datenbankdesign, aber gleichzeitig die Umgebungsprobleme mitberuecksichtigen. Oder auch Kurse, die ein Gesamtproblem aus der Praxis unter Beteiligung aller betroffenen Fachprofessoren loesen.

CW: Ist die deutsche FH "lean", also schlank genug?

Bischoff: Lean heisst sicherlich nicht automatisch billiger. Es bedeutet letztlich, ohne unnoetigen Ballast zielorientiert zu arbeiten, Verantwortung und Initiative dort einzubringen, wo sie notwendig ist. Ich glaube, das koennen die Fachhochschulen auch weiterhin, wenn man sie endlich dafuer auf Dauer infrastrukturell qualifiziert. Geschieht dies nicht, werden viele wissenschaftlichen Mitarbeiter resignieren.

CW: Wir danken Ihnen fuer dieses Gespraech.

*Dr. Rainer Bischoff ist Professor fuer Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Furtwangen, Vorsitzender des Fachbereichstags Informatik an den Fachhochschulen und Sprecher des Arbeitskreises Wirtschaftsinformatik an Fachhochschulen. Das Gespraech fuehrte Wolf-Dietrich Lorenz, Chefredakteur der Zeitschrift IM im Computerwoche Verlag.

Ausbildungssituationen der Informatiker

an Fachhochschulen

Ende 1991 studierten etwa 20 000 Studenten Informatik (Allgemeine Informatik/Softwaretechnik, Technische Informatik/Ingenieur- Informatik, Wirtschaftsinformatik und Medieninformatik) an Fachhochschulen. 4800 Studienanfaenger im Jahr 1991 standen 16200 Bewerber (Mehrfachbewerberquote ist nicht bekannt) gegenueber. Dieser Prozentsatz von etwa 340 Prozent Ueberbuchung hat sich heute sicherlich reduziert. Es ist jedoch im WS 93/94 immer noch so, dass an allen Fachhochschulen, die seit Jahren bestehenden Zulassungsbeschraenkungen in Informatik bestehen bleiben muessen. Eine Ausnahme bilden hier einige Fachhochschulen in den neuen Bundeslaendern: Es hat sich dort wohl schneller herumgesprochen, dass dem allgemeinen Lob der Fachhochschulen keine - infrastrukturverbessernden - Taten folgen.

Ausbildungssituation der Informatiker an Fachhochschulen

Arbeitsmarkt

DV-Experten

Nach den Arbeitsmarkt-Informationen der Fachvermittlung fuer besonders qualifizierte Fach- und Fuehrungskraefte gab es im letzten Jahr 11700 (1991: 9800; 1989: 10300) arbeitsose Computerfachleute, darunter acht Prozent (1991: sieben Prozent) mit Uni-Abschluss und fuenf Prozent (1991: ebenfalls fuenf Prozent) mit FH-Abschluss.

Der Frauenanteil davon betrug bei den Unis 30 Prozent (1991: 33 Prozent) und bei den FHs 26 Prozent (1991: ebenfalls 26 Prozent). Der Anteil (von oben) der arbeitslosen Berufsanfaenger betrug bei den Unis 24 Prozent (1991: 28 Prozent) und bei den FHs 21 Prozent (1991: 29 Prozent). Die Gesamtarbeitslosenquote im DV-Bereich liegt bei etwa vier bis fuenf Prozent.

Bischoff: Die Berufschancen der Fachhochschueler sind gut.