Ausgeprägtes, aber nationales Telecom-Bewußtsein:

PTTs servieren ISDN nach Art des Landes

29.05.1987

In der Bundesrepublik geht ISDN in die entscheidende Phase. Die europäische Vorreiterrolle übernimmt bei der Einführung der neuen Dienste 1988 die Deutsche Bundespost. Während in den USA bereits eine "abgespeckte" Version besteht, setzen die Japaner insbesondere auf die Glasfaser. Welche Bedeutung ISDN international beigemessen wird, untersuchen Angela Huwe* und Lothar Schmidt*.

Die Hersteller und Anbieter der neuen Telekommunikationssysteme, angestoßen vom Dienstanbieter Bundespost, verwenden den Begriff ISDN nicht nur, wenn es um Geräte geht, die an den von der Post angebotenen Dienst angeschlossen werden, sondern auch für Systemkonstellationen digitaler Telefonnebenstellenanlagen und angeschlossener Kommunikationsendgeräte, die auf Inhouse-Vernetzung beschränkt sind.

Europaweit ist dieses ausgeprägte ISDN-Bewußtsein nicht festzustellen, von den unterschiedlichen Wertschätzungen in Japan und USA ganz zu schweigen. Zwar schreitet dort die Planung und Entwicklung des öffentlichen ISDN recht zügig voran - nur wird die Diskussion darüber in ganz unterschiedlicher Lautstärke geführt. Nirgends wird eine so heftige und engagierte Debatte zum Thema ISDN geführt wie in der Bundesrepublik.

Bundesrepublik:

Die Phase der Pilotprojekte ist angelaufen, die Auswertung für 1988 und der Beginn des Regelbetriebes von ISDN für Ende desselben Jahres zu erwarten. Bezüglich der Digitalisierung der Ortsvermittlungsstellen besteht noch ein erheblicher Realisierungsstau. Bis 1993 soll auf der öffentlichen Seite die digitale Vollversorgung gewährleistet sein. Auf der Seite der potentiellen Anwender, vorrangig im gewerblichen Bereich, wird bereits kräftig investiert. Mittlere und große Betriebe nehmen in beträchtlichem Umfang die Umrüstung auf ISDN-fähige Nebenstellenanlagen vor. Dazu tragen auch die intensive Werbung und die Informationsfeldzüge der Anbieter bei. Bundespost sowie private Anbieter stellen bereits eine breite Palette an ISDN-fähigen Systemen und - trotz der noch nicht geklärten Definition der Teilnehmerschnittstelle - Endgeräten zur ISDN-Nutzung vor.

Großbritannien:

Die Einführung eines flächendeckenden ISDN ist Angelegenheit der inzwischen privatisierten British Telecom. Was Mitte 1986 als Integrated Digital Network über den Integrated Direct Access in London begann, ist mittlerweile auf Birmingham und Manchester ausgedehnt. Dieser Pilotbetrieb, der eine Gesamtübertragungsrate von 80 Kbit/s ermöglicht, soll Mitte 1987 mit 144 Kbit/s realisiert und dann in den flächendeckenden Regelbetrieb übergeführt werden. Die Nutzerzahl ist allerdings noch sehr gering. Dies hängt zum einen mit den noch nicht klar definierten Zulassungsstandards zusammen, mit denen British Telecom die ISDN-Fähigkeit von Nebenstellenanlagen bestätigen will. Für den Anwender bedeutet das erhöhte Unsicherheit.

Zum anderen steht dem Anwender durch den zweiten privaten Netzbetreiber Mercury Communications Ltd. ein weiteres Netzangebot auf Basis von Lichtwellenleitern zur Verfügung. Es verbindet bislang zwar nur einige der wichtigen Geschäftszentren der Insel, aber weiter ist British Telecoms ISDN im Grunde auch noch nicht. Für die nächsten Monate ist die endgültige Definition der Zulassungsstandards für ISDN-fähige Nebenstellenanlagen angekündigt. Dienstebedarf, also Sprache, Daten, Text, Bild, Tarifgestaltung und Flächendeckung, werden dann entscheidend für die Netzauswahl des Nutzers.

Frankreich:

Bei ISDN bewegt man sich hier auf leisen Sohlen. Zwar sind bereits 70 Prozent des Fernsprechnetzes digitalisiert, die flächendeckende Ausstattung mit digitalen Ortsvermittlungsstellen ist jedoch erst für 1990 angesagt.

Das RNIS (Réseau Numerique Ó Intégration de Services) entspricht dem CCITT-Standard. In RNIS integriert werden der Fernsprechdienst, Teletex und die Datendienste Transpac (entspricht Datex P) und Transcom sowie der Teletel-Dienst (Minitel).

Was 1987 mit dem Basisanschluß in den Côtes du Nord beginnt, wird 1988 in Paris fortgesetzt, 1989 auf die weiteren Großstädte ausgedehnt (auch als Primärmultiplexanschluß) und mündet 1990 in ein flächendeckendes ISDN-Angebot. Zu Beginn rechnet die französische Post mit 400, für Ende 1989 mit 7000 Teilnehmern.

Ihre Zurückhaltung in Sachen öffentliche Ankündigung und Werbung bei ISDN wollen Hersteller und Post erst kurz vor der RNIS-Einführung aufgeben. Das Wissen um ISDN beschränkt sich in Frankreich derzeit noch auf einige interessierte Großunternehmen, die bereits heute ihre Telekommunikationslandschaft von morgen planen.

USA

In der Neuen Welt werden öffentliche ISDN-Netze - in verschiedenen Ausprägungen - von den verschiedenen Telefongesellschaften für Ende dieses Jahr erwartet. Aufgrund des großen Spektrums von privat angebotenen Diensten, der vielfältigen Auswahl an nicht-standardisierten Endgeräten und des heftigen Wettbewerbs fällt in den USA die Einigung auf ISDN-Standards besonders schwer. Wegbereiter der Standardisierung waren die ISDN-Pilotprojekte, zu denen sich alle US-Telefongesellschaften bereitfanden. Eine übergeordnete, national konzertierende Instanz, wie etwa eine Fernmeldebehörde, existiert in den USA nicht.

In Zusammenarbeit mit dem CCITT hat man sich auf eine Übertragungskapazität in ISDN von 2 x 64 Kbit/s und 16 Kbit im D-Kanal geeinigt. Öffentliche ISDN-Netze bringen für den Anwender zunächst die Möglichkeit, Sprache und Daten von einem ISDN-Hauptanschluß aus zu übertragen. Die Integration weiterer Dienste in das ISDN ist noch nicht geklärt, genausowenig wie Standards für technisch einheitliche, ISDN-fähige Nebenstellenanlagen festgelegt sind. Von einem vollständigen ISDN sind die USA also noch ein gutes Stück entfernt. Diese Feststellung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich der US-Anwender einer wesentlich höheren Vielfalt an Komfort-Diensten erfreuen kann (beispielsweise alle Komfortmerkmale einer Nebenstellenanlage auch am einfachen Hauptanschluß, wie Rufumleitung zu einem anderen Teilnehmer). Die zahlreichen Data over Voice PABX´s bleiben bis zur Marktreife von standardisierten ISDN-Systemen und Endgeräten der höchstmögliche Ausstattungsstandard in Unternehmen. Auch ausländische Anbieter treten auf dem amerikanischen Markt derzeit mit Data-voice PABX´s an und noch nicht mit ISDN-Kommunikationsanlagen.

Japan:

Die japanische Variante des ISDN-Konzepts heißt INS (Information Network System). Bereits Ende 1984 wurden die ersten Vermittlungsstellen und Übertragungsstrecken in Betrieb genommen.

Im Unterschied zur Bundesrepublik wurde in Japan von Beginn an der Akzent stärker auf Glasfasertechnik gesetzt, um - zunächst regional begrenzt - Bewegtbildkommunikation zu ermöglichen. Eine weitere japanische Besonderheit ist - simultan zur Netzinnovation - die deutliche Erweiterung des Spektrums von Telekommunikationsdiensten (zum Beispiel Btx von der Telefonzelle aus, Bildtelefon), angeboten von NTT oder anderen Telekommunikations-Firmen. Dies zielt auch auf die privaten Haushalte ab. Telekommunikation mit allen Mitteln, zunächst auf der Basis von 64 Kbit/s, ist für den japanischen Anwender schon konkret greifbar.

So unterschiedlich in den verschiedenen Ländern auch die Einstellung aller Beteiligten, die Träger des eigentlichen Dienstangebotes sowie die Liberalisierungsstrategien der Regierungen sind, so kann man doch festhalten, daß es überall eine klare, auch terminlich fixierte Planung zur Realisierung des ISDN gibt.

Die entscheidende Frage für den Endanwender ist, welche Auswirkungen haben die nationalen Gegebenheiten auf die internationale Nutzung der Dienste. Er wird unabhängig vom Status der Realisierung und Standardisierung sein Telefongespräch, Telefax oder Telex und auch seine Datenübertragung einsetzen können. Abhängig von der Gebührenstruktur des Dienstanbieters, der Produktpolitik der Hersteller bezüglich des digitalen Kommunikationssystems und der Endgeräte, seiner internen wie externen Fernsprech- und Datennetze verbleibt ihm aber eine beträchtliche Optimierungsaufgabe. Dies werden insbesondere Firmen mit internationalen Niederlassungen spüren, die sich gleichartig ausrüsten wollen.

Grenzüberschreitende Misch- und Mehrfachkommunikation über ein Dienste integrierendes Netz wird für Anwender in vier europäischen Ländern von 1990 an möglich. Die Bundesrepublik, Großbritannien, Italien und Frankreich wollen bis zu diesem Zeitpunkt ihre nationalen ISDN-Netze aufeinander abgestimmt haben. Bilateral wird es dann ISDN-Kommunikation bei den Diensten geben, die in den jeweiligen zwei Ländern Teil des ISDN geworden sind.

Gemessen am Gesamtpotential aller möglichen Anwender ist der Anteil derjenigen, die über Telefonieren hinaus wenigstens einen zusätzlichen Dienst (Telex, Teletex, Telefax und so weiter) in Anspruch nehmen, in allen Ländern noch sehr gering. Im gewerblichen Bereich liegt dieser Anteil in der Bundesrepublik knapp über zehn Prozent. Bei einer näheren Analyse stellt sich heraus, daß die überwiegende Zahl dieser Anwender den Telexdienst nutzen, der nirgends in das ISDN integriert wird. Betrachtet man allerdings den Telexeinsatz in seiner zukünftigen Entwicklung im internationalen Vergleich, so scheint das Betriebsaufkommen des Dienstes zurückzugehen zugunsten einer indirekten Nutzung über Electronic Mail.

Deutlicher Rückgang der Telexanschlüsse in den USA

Diese Entwicklung ist im angelsächsischen Bereich bereits spürbar: deutlicher Rückgang der Telex-Hauptanschlüsse in den USA, leichter Rückgang in Großbritannien. Falls die Datenübertragung im Telefonnetz erfolgt oder die Datex-Dienste in das nationale ISDN integriert sind, kann die ISDN-Nutzung durchaus rentabel werden.

Das Potential von Nebenstellenanlagen, welche für ISDN umgerüstet werden müssen, ist in der BRD am größten. Denn 900 000 Nebenstellen-Hauptanlagen in Deutschland stehen in Italien nur 650 000 Anlagen, in Großbritannien 400 000 und in Frankreich 320 000 Anlagen gegenüber. In der Bundesrepublik ist daher bereits ein heißer Konkurrenzkampf unter den Anbietern und Herstellern entbrannt.

Heißer Konkurrenzkampf unter PBX-Anbietern

Ein Blick auf den derzeit überall boomenden Telefaxmarkt (Großbritannien 65 000 Geräte, Frankreich 60 000, Bundesrepublik

41 000, Italien 20 000) zeigt dazu im Vergleich, daß die Nutzung von Fernkopierern noch immer geringer ist als die Nutzung von Telefonsystemen. Für andere Endgerätegruppen, bei denen eine Verbindung zum ISDN denkbar ist (beispielsweise elektronische Schreibmaschinen und Textsysteme mit Teletex-Kommunikationsmöglichkeiten oder Terminals mit ihrer Möglichkeit, Datendienste zu verwenden), gibt es zwar weit höhere Installationszahlen; allerdings muß bis heute festgestellt werden, daß nur ein geringer Bruchteil tatsächlich mit derartigen Diensten verbunden ist. Es stellt sich zum einen die Frage, ob die Perspektive der hohen Übertragungsgeschwindigkeit sowie der Misch- und Mehrfachkommunikation im ISDN eine erhebliche Zahl von Anwendern zum erstmaligen Einstieg animiert. In allen europäischen Ländern ist ein ähnlich geringer Einsatz erkennbar. Eine Ausnahme bildet hier allerdings die Anwendung des Bildschirmtextdienstes in Frankreich.

Die besondere Politik der französischen PTT - allen Fernsprechteilnehmern unentgeltlich ein Minitel (Bildschirmtext-Terminal) zur Verfügung zu stellen - hat hier die Anwenderzahl bereits in Millionenhöhe schnellen lassen.