Tabuthema Homosexualität in der Wirtschaft

Pst, der Chef ist schwul

13.07.2013
Es ist eines der letzten Tabus in den Führungsetagen: In der Wirtschaft gilt Homosexualität noch immer als Karrierebremse. Vorurteile gibt es auf beiden Seiten.

Zum Geschäftsessen kommen sie mit ihrer Mutter und zum Sommerfest in der Firma lieber allein. Auch vom Wochenendtrip mit Partner erzählen viele homosexuelle Topmanager ihren Kollegen eher nicht. "Und in höheren Etagen gibt es sogar immer noch Scheinehen", sagt Bernd Schachtsiek vom Völklinger Kreis, dem größten Netzwerk schwuler Führungskräfte. Rund die Hälfte der homosexuellen Berufstätigen verstecken Studien zufolge ihre Orientierung. Während sie es in der Politik nach den Outings von Außenminister Guido Westerwelle und Berlins Regierungschef Klaus Wowereit leichter haben, ist Homosexualität in der Wirtschaft oft noch ein Tabu.

In der hierarchischen, oft männerdominierten Wirtschaft würden noch mehr traditionelle Strukturen erwartet als in der Politik, hat Unternehmensberater Schachtsiek erlebt. Verheiratet, zwei Kinder, die Musterfamilie. Manch einer baue sich dieses Leben künstlich auf - aus Angst vor Anfeindungen und schrägen Blicken, aber auch aus Furcht um den Arbeitsplatz. Psychologe Dominic Frohn kommt in seiner Studie "Out im Office" (PDF-Link)zu dem Ergebnis, dass zehn Prozent der homosexuellen Beschäftigten manchmal heterosexuelle Partner mitbringen, mehr als jeder siebte erfindet Freund oder Freundin, wenn er vom Wochenende oder dem Urlaub erzählt.

Vor allem im Topmanagement sei das Outing schwer, sagt Christian Weis, der Sprecher des schwul-lesbischen Mitarbeiternetzwerks der Commerzbank. "Als Topmanager brauchen Sie Vertrauen, müssen es sich verdienen, aufbauen und pflegen." Viele Führungskräfte hätten zwanzig Jahre lang ein Doppelleben geführt, weil die Gesellschaft damals weniger offen war. "Wenn sie sich jetzt outen und das aufgebaute Lügenkonstrukt zusammenbricht, ist das Vertrauen schnell verspielt." Frohn zufolge nimmt die Offenheit in den Dax-Konzernen mit steigendem Gehalt radikal ab. Wer einmal den Chefsessel erklommen hat, werde dagegen wieder offener, weil er weniger angreifbar sei.

Doch was hat die Sexualität am Arbeitsplatz überhaupt verloren? Nichts, meint in Frohns Studie die Hälfte der Befragten. Schachtsiek widerspricht: "Es geht gar nicht um Sexualität. Was ich im Bett mache, ist in der Firma kein Thema." Wichtig sei vielmehr, ob man selbstverständlich von gemeinsamen Ausflügen erzählen und den privaten Alltag mit Kollegen teilen könne. "Oder ob ich das Foto meines Partners auf den Schreibtisch stellen kann, statt das einer Pseudo-Freundin."

Das Versteckspiel koste enorm viel Arbeitsenergie, sagt Weis. Dabei sei es inzwischen oft nicht mehr nötig. Auch Schachtsiek hat erlebt: "Wenn man sich outet, passiert meist weniger als befürchtet, weil die Gesellschaft recht tolerant ist." Offene Diskriminierung sei seltener geworden. "Wenn, dann findet das heute versteckter statt." Anspielungen, abfällige Bemerkungen, Tuscheln und ein unangenehm übertriebenes Interesse am Privatleben, listet Frohn auf. Und einen plötzlichen Karrierestopp.

Vor allem in männerdominierten Branchen, technischen Betrieben und Großkonzernen könnten aber auch Sätze fallen wie: "Stell dich mit dem Rücken an die Wand, wenn du mit dem in einem Raum bist", beschreibt Schachtsiek. Unternehmen, die Geschäfte in den USA machten, seien dagegen oft sehr viel liberaler. In Deutschland hätten vor allem Banken erkannt, dass Offenheit auch ein wirtschaftlicher Vorteil sei. Das letzte Diversity-Barometer einer Schwulen-Zeitschrift mit den 30 Dax-Unternehmen (PDF-Link) führte vor zwei Jahren die Commerzbank an, gefolgt vom Software-Hersteller SAP und der Deutschen Bank. Gelobt wurden Workshops und Mitarbeiter-Netzwerke.

Trotzdem sei die sexuelle Orientierung "weiter die am wenigsten beachtete Facette im Diversity-Management", sagt Susanne Hillens vom Vorstand der Wirtschaftsweiber, einem Netzwerk lesbischer Führungskräfte. "Homosexualität hat für viele immer noch einen bäh-Aspekt." Doch solche Vorurteile, berichtet Hillens, gebe es auf beiden Seiten. Auch sie selbst habe anfangs Berührungsängste gehabt. "Mit Heteros wollte ich nicht zusammenarbeiten." (dpa/tc)