Prozessorientierung statt Produktionstiefe

09.11.2006
Die Funktion des CIO gewinnt langsam, aber sicher ein neues Profil.

Die Unternehmen werden ihre IT-Fertigungstiefe verringern, davon ist Peter Sany überzeugt. Als Beispiel nennt der CIO der Deutschen Telekom die Automobilindustrie, die teilweise nur noch 19 Prozent ihrer Wertschöpfung selbst erzielt: "Die IT eines Anwenderunternehmens hat nicht zuvorderst die Aufgabe, Software zu entwickeln, sondern die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen", sagt Sany, "ob sie das mit selbst entwickelter Software oder mit der von Dienstleistern macht, ist eigentlich gleichgültig." Sein früherer Arbeitgeber, der Pharmakonzern Novartis, habe 3500 Leute in der IT beschäftigt; trotzdem sei nur selbst entwickelt worden, wenn sich damit große Hebelwirkung erzielen ließ.

Erfolgsrezepte für den CIO (Teil3)

Gibt es ein Patentrezept, mit dem CIOs zwangsläufig Erfolg haben - sofern sie ihre Karriere danach ausrichten? Oder wenigstens eine Liste, deren Punkte sie nur ordentlich abarbeiten müssen, um den Erwartungen der Unternehmensführung und der Fachabteilungen gerecht zu werden? Diese Frage stellen der Wirtschaftsinformatiker Walter Brenner und computerwoche-Chefredakteur Christoph Witte in ihrem Buch: "Erfolgsrezepte für CIOs", das gerade im Hanser-Verlag erschienen ist (ISBN 3-446-40633-6). Der Text auf dieser Seite fasst einen Teil des Kapitels 6 zusammen. Weitere Auszüge folgen (siehe auch: www.cio-buch.de).

"Schlussendlich lautet die Frage immer, wo Sie sich differenzieren können; es ist klar, dass Teile der IT zur Commodity werden", sagt Sany. Der CIO müsse sich immer gut überlegen, ob durch den Einsatz von Technik ein Wettbewerbsvorsprung zu erzielen sei und wie lange er gehalten werden könne.

Zurück ins RZ oder in Pension

Informationstechnik bedeutet die "Instanziierung der Prozesse", so Sany weiter; sie bilde Abläufe in Form von Software ab. Allerdings hätten das noch nicht allzu viele CIOs erkannt: "Es gibt noch viele, die mit Business-Prozessen nichts am Hut haben wollen. Sie bewegen sich außerhalb ihrer Komfortzone, wenn es nicht um Technik geht." Diese IT-Verantwortlichen werden laut Sany entweder "zurückgeschickt ins Rechenzentrum" oder pensioniert. Der Generationswechsel sei unvermeidlich.

Vor dem Hintergrund der Business-Orientierung äußert Sany die Ansicht, dass die IT-Verantwortlichen in vergleichbarer Position künftig wieder älter werden. Bis ein CIO das nötige "Marschgepäck" für seinen Weg gesammelt habe, dauere es einfach seine Zeit. Die Ära der 35- bis 40-Jährigen auf dieser Position gehe zu Ende.

Zudem glaubt der Telekom-CIO, dass die Rolle des CIO interdisziplinärer werde. "Wenn Sie einmal CIO waren, können Sie danach auch ins Marketing gehen oder ganz etwas anderes machen." Diese Vermischung der Disziplinen finde auch auf der Business-Seite statt. Ein Vertriebschef beispielsweise komme heute ebenfalls nicht mehr ohne ein gerüttelt Maß an IT-Wissen aus.

Business und IT gemeinsam

Bei O2 herrscht laut CIO Alex Röder eine andere Erwartungshaltung: "Ich muss den Druck auf das Business verstehen, mittragen und die IT so ausrichten, dass sie das Business optimal unterstützt." Als Beispiel nennt er das Projekt zur Einführung einer Flatrate bei O2.

Vor zwei Jahren etwa wäre das alles seinen "geordneten Gang" gegangen: am Anfang der Business-Plan, dann die Aktualisierung der technischen Roadmap und schließlich die Umsetzung für das nächste erreichbare Release der Billing-Anwendung. Heute setzen sich Business und IT zusammen, erarbeiten innerhalb von zwei, drei Wochen ein gemeinsames Konzept und definieren die Aufgaben. "Auf diese Weise haben wir es geschafft, die Flatrate innerhalb von sechs Wochen parat zu haben", freut sich der CIO.

Röder setzt darauf, den Fachabteilungen aktiv IT-Funktionalität anzubieten, bevor diese nachgefragt wird. Höhere Umsetzungsgeschwindigkeit will er auch dadurch erreichen, dass seine IT die Software nicht "unbedingt" den Unternehmensprozessen anpasst. Stattdessen versuche sie erst einmal, so viel wie möglich aus den vorhandenen Funktionen herauszuholen: "Wenn damit einige Anforderungen nicht erfüllt werden können, setzen wir uns zusammen und überlegen, ob die Funktion wirklich nötig oder nur schick ist."

Das Credo des O2-CIO lautet: "Die IT muss zum Partner des Business werden und darf nicht als reiner Dienstleister agieren." Deshalb ist er auch kein Anhänger von Outsourcing im großen Stil: "Wenn es um unsere Kernprozesse wie Billing geht, unterstütze ich externes Sourcing nicht."

In erster Linie Führungsaufgaben

Rainer Janßen, IT-Chef der Münchener Rückversicherung, sieht den CIO "auf Augenhöhe" mit dem Geschäft. "Ab einer gewissen Größenordnung sind alle Management-Positionen in erster Linie Führungsaufgaben." Daneben wolle er aber auch seinen Kunden helfen, das Richtige zur rechten Zeit zu tun. "Ich erhebe den Anspruch, mitzugestalten, mitzutreiben, sonst könnte man mich auch outsourcen", erklärt er.

Für Janßen braucht ein CIO mehr als nur technisches Hintergrundwissen: "Bei großen Projekten muss man schon einmal den Angstschweiß des Programmierers gerochen haben. Man muss wissen, wann die Leute nervös werden. Man muss die Erfahrung haben, worüber man sich Sorgen machen muss und worüber nicht." Diese Erfahrungen würden dem CIO auch helfen, zu entscheiden, welche Großprojekte er in Angriff nehmen und welche er besser sein lassen sollte.

Hinsichtlich der Prozessgestaltung hat in der Münchener Rück "nicht einer allein das Sagen", so Janßen. Selbstverständlich sei der CIO stark gefordert mitzuwirken. Es gehe dabei vor allem um Überzeugungsarbeit und Richtungsweisung: "Sie müssen die Leute nach und nach gewinnen - bis eine kritische Masse zustande kommt. Dann kann man auch die Chefetage involvieren und eine Entscheidung herbeiführen."

Dass Manager heute noch in erster Linie vertikale Funktionen ausüben, ist eine Vorstellung, die der CIO für überholt hält: "Ich glaube eher an die horizontale Funktion. Der Manager muss Probleme von unten aufnehmen und dann auf seiner Ebene nach Allianzen und Netzen suchen, um sie zu lösen." Eine einzelne Person mit der Macht zur Prozessgestaltung könne das nicht leisten.

Wenn Janßen von Überzeugungsarbeit spricht, untertreibt er. Dahinter steckt ein ausgeklügeltes System, dessen wichtigster Baustein in der Münchener Rück die Senior Management Working Group ist. "Das ist mehr als ein Steering Committee, das nur abnickt", erläutert der CIO. "Die Gruppe muss sich auch schon einmal in ein Thema wie Document-Lifecycle-Management einarbeiten."

Eine gewisse Distanz

Über das Steering Committee stellt Janßen auch die Verbindung zur Geschäftsstrategie her. In der IT erarbeitet eine kleine Truppe die IT-Strategie und achtet darauf, dass die Kollegen der Gesamtarchitektur folgen. Außerdem kooperiert sie mit einer anderen Gruppe, die auf der Business-Seite für die Strategiefindung verantwortlich ist. Beide zusammen legen der Senior Management Working Group dann Vorschläge vor, wie sich bestimmte Aufgaben aus Business- und IT-Sicht am besten lösen lassen. "So schaffen wir es, die IT und die Unternehmensstrategie zu verlinken und unter ein gemeinsames Dach zu bringen."

Janßen geht nicht von einer fundamentalen Veränderung der CIO-Rolle aus: "Vieles bleibt im Alltag das Gleiche. Ich sehe weder, dass meine Aufgabe in zehn Jahren so anders sein wird als heute, noch, dass sich in der Zeit so viele fundamentale Änderungen in der Informatik ergeben." Er rät seinen Kollegen zu einer gewissen Distanz: "Vielleicht ist es ab und zu ganz gut, ein bisschen Geschwindigkeit rauszunehmen. Denn dieses Immer-dran-Bleiben, das Sofort-Kommunizieren, das ist nicht immer qualitätsverbessernd."

Stichwort Industrialisierung

Den Rückversicherungs-Manager treiben weniger technische Veränderungen in der IT als solche in der Fertigungsweise um: "Das Stichwort lautet Industrialisierung der IT." Im Projekt-Management und in der Softwareentwicklung müsse die IT arbeitsteiliger werden, um wiederholbare Ergebnisse zu erzielen. "Im Systembetrieb können wir das schon, in der Anwendungsentwicklung haben wir das noch nicht vollständig verstanden", moniert Janßen.

Derzeit sei es eben noch nicht möglich, Projekte laut Spezifikationen nach außen zu geben und nach zwei Jahren wieder zurückzunehmen, urteilt der IT-Chef der Münchner Rück. Für seine Organisation will er das allerdings in den kommenden Jahren ändern: "Wir können wirkliche Fortschritte erzielen, wenn wir in der Informatik so weit kommen, dass wir ingenieursmäßige Qualität erzeugen. Den Rohbau eines 15-stöckigen Bürogebäudes würde ich jederzeit betreten. In ein Softwarehaus würde ich mich erst ab der Version 6 wagen - und das noch mit wackligen Knien." (qua)