Prozessauftakt lässt Microsoft hoffen

02.05.2006
Richter John Cooke stellte die Gretchenfrage: Welche Informationen muss ein Konzern wie Microsoft gegenüber der Konkurrenz offen legen?

Wie soll man in Wettbewerb zur Allgegenwart treten?", fragte EU-Anwalt Per Hellstrom die 13 Richter des zweithöchsten EU-Gerichts. Microsoft missbrauche seit Jahren seine Marktmacht, um missliebige Konkurrenten aus dem Wettbewerb zu drängen. Auf der Strecke blieben Firmen wie Netscape, das mit seinen Browsern "Navigator" und "Communicator" keine Chance mehr hatte, nachdem Microsoft das Betriebssystem Windows mit dem "Internet Explorer" gekoppelt hatte. "Das sind die Folgen von Microsofts Geschäftsmodell", warnte der EU-Justiziar.

Microsoft-Zahlen enttäuschen

Microsoft hat im dritten Fiskalquartal seines Geschäftsjahres 2005/06 enttäuscht. Zwar kletterte der Überschuss im Jahresvergleich von 2,56 auf 2,98 Milliarden Dollar. Der Umsatz verbesserte sich von 9,62 Milliarden Dollar im Vorjahresquartal auf 10,90 Milliarden Dollar. Damit blieb der Konzern jedoch am unteren Ende der eigenen Prognosen.

Finanzchef Chris Liddell zeigte sich dennoch mit dem Ergebnis zufrieden: "Wir erwarten, dass uns das kommende Jahr ein noch höheres zweistelliges Umsatzwachstum bringen wird als dieses Jahr", sagte er. Allerdings räumte er ein, dass Microsoft für Marketing und Produktentwicklung mehr ausgeben musste als geplant. Dies verdeutlicht den Druck, den neue Angebote von Konkurrenten wie beispielsweise Google auf den Konzern ausüben. Liddell kündigte weitere Investitionen an, unter anderem in den Bereichen Services, Spiele, Business Intelligence, Online-Services und Sicherheit.

Chronik des EU-Verfahrens

• Dezember 1998:

Sun Microsystems legt bei den europäischen Kartellbehörden Beschwerde gegen Microsoft ein.

• August 2000:

Die EU-Kommission eröffnet ein offizielles Kartellverfahren gegen Microsoft.

• August 2003:

Die Kartellbehörden forcieren die Ermittlungen. Im Visier stehen vor allem die mangelnde Interoperabilität von Microsoft-Produkten mit Server-Software des Wettbewerbs und die Kopplung von Windows mit dem Media Player, die eine massive Konkurrenz für funktionsähnliche Produkte wie etwa den Real Player von Real Networks bedeutet.

• März 2004:

Die EU-Kommission verurteilt Microsoft zu einer Geldbuße von 497 Millionen Euro. Außerdem muss der Konzern Schnittstelleninformationen preisgeben und eine vom Media Player entkoppelte Windows-Version herausbringen.

• Juni/Dezember 2005:

Microsoft bringt mit der Edition N eine Windows-Version ohne Multimedia-Funktionen heraus und veröffentlicht rund 12000 Seiten mit Informationen, Protokollen und Code.

• Dezember 2005:

Die EU-Kommission weist die Maßnahmen Microsofts als unzureichend zurück, setzt dem Konzern ein Ultimatum und droht mit weiteren Bußgeldern von bis zu 200 Millionen Euro täglich.

• April 2006:

Microsoft will mehr technische Informationen über seine Software preisgeben. Die erste Anhörung im Berufungsprozess dauert vom 24. bis zum 28. April.

Mehr zum Thema

www.computerwoche.de/

575511: Microsoft bleibt mit Quartalszahlen hinter Erwartungen zurück;

575555: Microsoft-Verhandlung vor EU-Gericht endet;

575276: Microsoft-Prozess beginnt mit hartem Schlagabtausch;

574588: Microsoft fühlt sich politisch verfolgt;

570345: EU-Kommission droht Microsoft tägliche Millionen-Strafe an;

545368: Monti fällt hartes Urteil gegen Microsoft.

Windows Edition N bleibt Ladenhüter

"Schuhe und Schnürsenkel werden auch zusammen verkauft, ohne damit gegen Gesetze zu verstoßen", konterte Microsoft-Anwalt Jean-Francois Bellis. Die Kartellhüter hätten grundlegende Fehler in ihrer Analyse gemacht. Anwender seien überhaupt nicht an einer künstlichen Trennung von Microsoft-Produkten interessiert. Von den Windows-Versionen ohne integrierten "Media Player" seien gerade einmal 1787 Kopien verkauft worden, führt Bellis als Beleg seiner These an. Das entspreche nur fünf Promille des Produktvertriebs.

Die Anhörung vor dem EU-Gericht erster Instanz in Luxemburg bildet den Auftakt zum Berufungsverfahren, das der weltgrößte Softwarekonzern nach seiner Verurteilung vor zwei Jahren angestrengt hatte. Die Verhandlungen im Verfahren T-201/04 dürften sich nach Einschätzung von Experten noch lange hinschleppen. Mit einer Entscheidung des Vorsitzenden Richters Bo Vesterdorf wird erst im nächsten Jahr gerechnet.

Im Vorfeld der Anhörung war der Streit zwischen Microsoft und den EU-Behörden eskaliert. Anfang März warfen die Microsoft-Anwälte den europäischen Kartellbehörden vor, sich von Microsoft-Konkurrenten wie Oracle und IBM beeinflussen zu lassen. Offenbar mangele es der EU-Kommission an Objektivität. Offen spekulierten die Anwälte darüber, die EU-Kommissarin Neelie Kroes sei befangen. Die Wettbewerbshüterin machte indes deutlich, an ihrer harten Linie festhalten zu wollen. Wenn es so weitergehe wie bisher, werde es Strafen geben, kündigte sie an. "Und es werden keine kleine Strafen sein."

Microsoft will seine Geschäftsgeheimnisse wahren

Für Microsoft steht viel auf dem Spiel. Chefjurist Brad Smith zufolge hat der seit Jahren ausgefochtene Streit mit den EU-Wettbewerbshütern Grundsatzcharakter. "Das Recht auf Innovationen ist entscheidend für den Erfolg eines jeden Unternehmens", mahnte der Microsoft-Anwalt. Es könne nicht sein, dass ein Hersteller dazu gezwungen werde, sein hart erarbeitetes geistiges Eigentum und Geschäftsgeheimnisse preiszugeben.

"Das sind die typischen Argumente, mit denen sich Kartellsünder immer rechtfertigen", hielten die EU-Anwälte dem entgegen. Der Konzern versuche, den Fall in eine Debatte über geistiges Eigentum zu verwandeln, obwohl es um den Missbrauch eines Marktmonopols gehe. Auch für die europäischen Wettbewerbsbehörden steht in dem Verfahren viel auf dem Spiel. Sie müssen ihren Ruf als Hüter des Wettbewerbs verteidigen.

Längst hat der Prozess den Rahmen eines gewöhnlichen Kartellverfahrens gesprengt. Das Urteil wird wegweisend für das künftige Kartellrecht sein. Politik und Unternehmen verfolgen das Verfahren aufmerksam und versuchen, entsprechend ihren eigenen Interessen Einfluss zu nehmen. So hatte beispielsweise die US-amerikanische Regierung im März dieses Jahres mit der Stellungnahme Druck ausgeübt, sie erwarte ein faires Verfahren für den Konzern. Die EU-Kommission erhielt dagegen Rückendeckung aus den Reihen der IT-Industrie. Branchengrößen wie IBM, Sun Microsystems und Adobe haben sich in der Interessengemeinschaft European Committee for Interoperable Systems (Ecis) formiert. "Die Auflagen der Kommission für Microsoft kamen zu spät und waren zu schwach", sagte Ecis-Vertreter Thomas Vinje. "Falls Microsoft hier gewinnt, können sie in Windows integrieren, was sie wollen."

Der Ausgang des Verfahrens ist ungewiss. Allerdings ließen am letzten Anhörungstag einige kritische Anmerkungen des Richters John Cooke die Experten aufhorchen. Der Brite stellte in Frage, ob nach dem Wettbewerbsrecht tatsächlich auch solche Informationen veröffentlicht werden müssen, die einen wirtschaftlichen Vorteil für ein Unternehmen bedeuten. Auch die Höhe des Bußgelds müsse Cooke zufolge geprüft werden. Allerdings sei unklar, wie die beiden Vorwürfe, unzulässige Produktkopplung und fehlende Informationen zu Schnittstellen, im Strafmaß bewertet wurden. Sollte im laufenden Verfahren einer dieser beiden Punkte fallen gelassen werden, sei auf Basis des ersten Urteils nicht ersichtlich, um wie viel das Bußgeld zu reduzieren sei, kritisierte der Richter den Spruch der EU-Kommission. Die Anwälte der Kartellwächter konnten dieses Problem zunächst nicht aus der Welt schaffen.

Windows Vista könnte zum nächsten Zankapfel werden

Mit einer schnellen Entscheidung wird indes nicht gerechnet. Experten gehen davon aus, dass der Vorsitzende Richter Vesterdorf eine hieb- und stichfeste Begründung für sein Urteil ausarbeiten will. Unter anderem deshalb, weil es als sicher gelten darf, dass die unterlegene Partei Berufung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einlegen wird. Zudem bleibt abzuwarten, ob die beiden Streithähne mit der neuen Windows-Version Vista einen weiteren Kampfplatz eröffnen.