Bundesrat freundet sich mit Big Brother an

Provider sollen Kundendaten sammeln

07.06.2002
MÜNCHEN (CW) - Die ohnehin gebeutelte Telekommunikationsbranche fürchtet durch die nun vom Bundesrat genehmigte Gesetzesvorlage zur Speicherungspflicht von Nutzungsdaten der Telefon-, Mobilfunk- und Internet-Kunden weitere Probleme. Gemäß dem Entwurf sollen Anbieter Bestands-, Nutzungs- und Abrechnungsdaten für einen bestimmten Zeitraum speichern und auf Anfrage den Ermittlungsbehörden zugänglich machen.

Eine "Vorratsspeicherung" von Nutzerdaten war bisher im Telekommunikationsrecht nicht vorgesehen, sie würde aber, wenn auch der Bundestag zustimmt, zur Realität werden - ein Graus für alle Datenschützer. Internet-Provider speichern heute lediglich Abrechnungsdaten ihrer Kunden, löschen diese aber gemäß den noch geltenden Verordnungen nach 80 Tagen wieder. Der neue Entwurf sieht sowohl die Ausweitung des Datenumfangs als auch der Aufbewahrungszeit vor. So ließe sich etwa ermitteln, welche Online-Angebote ein Nutzer wie lange besucht hat. Neben der Datenspeicherung behandelt die Gesetzesvorlage auch die Verwendung von Ortungsgeräten für Handys durch die Strafverfolger. Es geht dabei um den Einsatz so genannter IMSI-Catcher, die den Standort eines Mobilfunknutzers sowie dessen Geräte- und Kartennummer ermitteln können.

Während Internet-Service-Provider wie etwa T-Online sich auf Anfrage nicht zu den möglichen Konsequenzen bei einem Inkrafttreten der geplanten Regelung äußern wollten, nimmt der Branchenverband Electronic Commerce Forum (Eco) kein Blatt vor den Mund. "Hier wird durch die Hintertür mal wieder versucht, rechtliche Fakten zu schaffen, die wirtschaftlich untragbar sind", wettert Eco-Geschäftsführer Harald Summa in einer Mitteilung. Wer einen Überwachungsstaat wolle, solle ihn auch selbst bezahlen. Der Preis für eine Vorratsdatenhaltung ist immens: Nach Angaben des nicht minder aufgebrachten Industrieverbands Bitkom ständen größeren Providern Investitionen von mehreren Millionen Euro ins Haus.

Wie und in welcher Form Kundendaten zur Verfügung gestellt werden sollen, steht genauso wenig fest wie die genaue Dauer der Bevorratung. Auf alle Fälle dürfte die Menge der zu speichernden Informationen riesig sein, da pro Minute etwa 1,6 Gigabit durch das deutsche Internet rauschen. Dieser Datenstrom muss zwar nicht komplett gespeichert werden, wohl aber eine Fülle an Sitzungsinformationen.

Die Provider stecken in einer Zwickmühle: Einerseits sind sie zur Einhaltung des Datenschutzes verpflichtet, andererseits bedeutet ein Vorhalten von Kundeninformationen das genaue Gegenteil. Eco-Chef Summa ist nach eigenem Bekunden von der Bundesratsentscheidung "kalt erwischt" worden. Nun will sich der Eco-Verband mit den Fraktionen des Bundestages ins Benehmen setzen, um die Entscheidung dort zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Thilo Weichert, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, bezeichnete die Überwachungsmaßnahme als "einen Anschlag auf das Recht auf unbeachtete Kommunikation".

Auch in der Europäischen Union gibt es Bestrebungen, Nutzerdaten von TK-Kunden auf Vorrat zu speichern. Ein entsprechender Entwurf zur Änderung der Datenschutzdirektive passierte einen Tag vor der Bundesratsentscheidung das Europäische Parlament. Demnach darf innerhalb der Union im Zuge der Strafverfolgung die Löschungspflicht von Verbindungsdaten eingeschränkt werden. (fn)