Wachstumsphasen lassen sich nicht bis ins letzte Detail definieren:

Projektmanagement bei SW Aufträgen folgt eigenen Gesetzen

20.09.1985

Entwicklung und Produktion bilden in der klassischen Form des Projektmanagements zwei aufeinanderfolgende Phasen. Bei Software-Projekten überlappen sich jedoch Planung, Kontrolle, Entwurf und Realisierung in den einzelnen Entwicklungszyklen sehr stark oder fallen häufig zusammen. Die daraus resultierende Dynamik wirft zwangsläufig auch Probleme auf.

Ein Software-Entwickler fungiert in einem Projekt meist gleichzeitig als "Architekt, Bauingenieur, Statiker und ausführender Handwerker". Man spricht daher von einem dynamischen Planungs-Aspekt: Planung und Realisierung gehen Hand in Hand; Aufgabe und Produkt wachsen quasi wie ein Baum.

Die Wurzel des Aufgabenbaumes ist die von Kunden vorgegebene Projektbeschreibung (Pflichtenheft). Die Wurzel des Produktbaumes ist das fertige, funktionsfähige Produkt, das alle Anforderungen des Kunden erfüllt. Die Richtung des Wachstums ist allerdings umgekehrt; während ersterer, wie es die Natur vorgibt, von der Wurzel zu den Zweigen wächst dreht sich beim Produktbaum der Wachstumsvorgang um. Zuerst existieren die Zweige, die sich zu Ästen und dann zum Stamm verdichten. Das Ergebnis dieses Wachstumsvorganges ist die Wurzel - das fertige Software-Paket.

Da es unmöglich ist, die einzelnen Wachstumsphasen des Aufgabenbaumes bis ins letzte "Blatt" zu definieren, läßt sich folgerichtig auch das Wachstum des Produktbaumes nicht im vorhinein festlegen. Es entsteht eine "strukturelle Dynamik". Diese Tatsache schließt die Methoden des klassischen Projektmanagements einerseits aus, verlangt aber andererseits in verstärktem Maße nach Methoden einer spezifischen Planung, Steuerung und KontrolIe. Vor allem auch deshalb, weil die entstehenden Produkte nicht direkt sichtbar, sondern nur über beschreibende Dokumente wie Texte, Grafiken und Tabellen faßbar sind.

Vor diesem Hintergrund gewinnt auch der Einsatz der Ressourcen, das heißt der Mitarbeiter, der Zeit und der Kosten eine andere Bedeutung. Sorgfältige Planung, ständige Kontrolle und nötigenfalls Planrevisionen bestimmen die Arbeit des Projektmanagements bei der Software-Entwicklung. Ein speziell auf diese Forderungen abgestimmtes "Projekt-Management-System" (PMS) schafft die Voraussetzungen dafür, daß bei einem umfangreichen Pflichtenheft in der vorgegebenen Zeit und zu vertretbaren Kosten das Produkt erstellt werden kann. Folgende Bedingungen müssen dabei beachtet werden:

- Die Berücksichtigung der Struktur des Projektes;

- die Ausrichtung von Planung, Steuerung und Kontrolle des Projektes;

- Projektplanung ist eine permanente Aufgabe und kein einmaliges Ereignis, das nur zu Beginn des Projektes stattgefunden hat;

- mühelose Anpassung des Projektplanes an die jeweilige Situation unter Berücksichtigung struktureller

Änderungen des Aufgabenbaumes;

- exakte Erfassung des Projketfortschritts unter Berücksichtigung qualitativer Aspekte;

- frühzeitiges Erkennen von Planabweichungen im Rahmen der Projektkontrolle.

Entscheidend ist dabei, daß es sich hier nicht um ein starres System handelt, sondern daß es einen weiten Entscheidungsspielraum läßt, in dem der Projektmanager frei operieren kann. Ein PMS agiert nicht im "luftleeren Raum", es ist lediglich eines der Werkzeuge, die zur Erfüllung der eigentlichen Aufgabe nötig sind, und es steht mit der eigentlichen Entwicklung der Produkte und der Qualitätssicherung in enger Wechselbeziehung.

Bisher findet man weder in der Literatur noch in der praktischen Anwendung genügend Beispiele dafür, wie diese Aufgabe zweckmäßig gelöst werden kann. Doch in einem entsprechenden Konzept sollten zumindest sechs Prinzipien des Projektmanagements realisiert sein:

- Das Prinzip der Aufgabenbezogenheit. Dabei wird der Bearbeitungsfortschritt in die lokale und globale Planungsstruktur einbezogen.

- Das Prinzip der schrittweisen Planungsverfeinerung.

- Das Prinzip der "detaillierten Erfassung - verdichtete Sicht". Dabei geht es darum, auf jeder hierarchischen Stufe des Projektmanagements die Informationen so weit zu verdichten, als dies zur Erfüllung der Kontroll- und Entscheidungsaufgabe erforderlich ist.

- Das Prinzip der Eigenaktivität, das besagt, daß das Projektmanagement kein reines Verwaltungsorgan sein darf, sondern daß die Daten aufbereitet und interpretiert werden müssen, um als echte "Management-Informationen" verwendet werden zu können.

- Das Prinzip der unterschiedlichen Benutzersicht. Hierbei stehen die verschiedene Nutzung der Daten und die unterschiedlichen Zugriffsrechte zur Debatte.

- Das Prinzip der Benutzerfreundlichkeit. Es dient wesentlich zur Rationalisierung der Aufgaben des Projektmanagements.

Um diese Prinzipien zu verwirklichen und gleichzeitig ein optisches Zusammenspiel von Entwicklung ( = Produktion), Qualitätssicherung und Projektmanagement zu ermöglichen, bedarf es eines Automatismus, das heißt eines Systems, das auf dem Entwicklungsrechner quasi im Hintergrund oder parallel zur Entwicklungsarbeit abläuft.

Die Aufgaben eines solchen Automaten könnten folgendermaßen definiert werden:

- Festlegung der Entwicklungsphasen, in denen der Automat aktiviert werden soll.

- Definition der Entwicklungszustände des Produkts in den jeweiligen Phasen.

- Definition von "Meilensteinen" im Produktionsplan.

- Festlegung von Qualitätssicherungsmaßnahmen vor Abschluß der jeweiligen Phase.

- Die Regelung der jeweiligen Zugriffsrechte im speziellen Entwicklungsstand.

Damit sind die Voraussetzungen für ein Software-Entwicklungs-Projektmanagement geschaffen. Im Rahmen der Projektplanung gibt es nun Unterstützungsmöglichkeiten bei der Einrichtung der Projektteams, bei der Definition der Benutzerklassen und der Privilegien.

Muster und Standards ermöglichen eine Vorab-Definition von Aufgaben- und Produktbaum, Initialisierung von Teilprodukten nach vorgegebenem Muster (Standard-lnhaltsverzeichnisse, Modulköpfe, Testrahmen). Dabei wird wesentlich die Qualitätssicherung positiv beeinflußt. Ähnliches gilt auch für die Termin- und Aufwandsplanung.

Besonderen Nutzen kann man aus einem solchen System für die Projektverfolgung ziehen. Hier ist vor allem die Automatisierung in der Protokollführung interessant. Das Management-Informationssystem gestattet Aussagen über den jeweiligen Projektstand, die über die sonst übliche Aussage: "das Projekt ist zu n Prozent fertig" weit hinausgehen.

Das Projektmanagement bei der Abwicklung von Software-Aufträgen folgt eigenen Gesetzen. Gleichwohl ist es möglich, auch kreative Arbeiten in ein System zu integrieren, das zu jeder Zeit einen sachlichen Überblick über den Stand der Arbeiten und der damit verbundenen Kosten zuläßt. Von besonderer Bedeutung scheint zusätzlich zu sein, daß das damit entstandene Management-Informationssystem praktisch ohne Zeitverzug funktioniert. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Verdichtung der Daten und die Begrenzung der Zugriffsmöglichkeiten auf die jeweiligen priviligierten Benutzer.

Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß die Entwicklung und der Einsatz eines derartigen Systems vor allem auf größere Projekte beschränkt bleiben wird. Es steht aber auch außer Frage, daß mit zunehmendem Bewußtsein für die Bedeutung des, Projektmanagements zumindest Teilaspekte dieses Konzeptes in das Bewußtsein von Software-Produzenten eingehen werden. Damit läßt sich die physikalische Gleichung von der Leistung als Produkt aus Arbeit mal Zeit um den Multiplikator Management sinnvoll erweitern.

*Gerhard Friederich ist Marketing-Leiter der Softlab GmbH, München.