Sich selbst organisierende Teams sind unerwünscht

"Projekterfolg ist eine Frage von Vertrauen und Kommunikation"

17.03.2000
MÜNCHEN - Immer öfter kennen sich Mitglieder eines Projekts nur noch über ihre Arbeitsergebnisse und durch gelegentliche E-Mails. Solche Projekte scheitern meist an mangelhafter Kommunikation, verriet Smalltalk-Miterfinderin Adele Goldberg im Gespräch mit CW-Redakteur Hermann Gfaller. Klare Kommunikationsrichtlinien und virtuelle Gemeinschaften sollen Abhilfe schaffen.

CW: Sie propagieren virtuelle Communities für Entwicklungsprojekte. Dabei verlangen Sie, dass Projektteams klare Regeln und Ziele bekommen, die dann auch überpüft werden. Was ist daran neu?

Goldberg: Oberflächlich betrachtet nichts. Es gibt hier zwei prinzipielle Sichtweisen. Aus dem Blickwinkel des Projekt-Managements geht es darum, einen Lerneffekt zu erzielen. Das wird möglich, wenn Regeln und Ziele in einer expliziten Weise, das heißt in einer für alle verständlichen Form, modelliert und ständig an die Veränderungen angepasst werden.

CW: Worin besteht der Lerneffekt?

Goldberg: Wenn der Kommunikationsprozess offen ist, erfahren die Mitarbeiter, was von ihnen erwartet wird, und das Management, was die Leute im Team wollen. Die dabei auftauchenden Übereinstimmungen und Unterschiede sind bereits sehr lehrreich. Der eigentliche Lernprozess beginnt jedoch erst, wenn die Veränderungen der Interessen und Ziele ständig dokumentiert werden.

CW: Sie sprachen von zwei Sichtweisen...

Goldberg: Aus dem Blickwinkel der virtuellen Communities geht es darum, herauszufinden, wann und wie Mitarbeiter interagieren, wie sie diskutieren, worüber sie Informationen austauschen, wann Missverständnisse entstehen etc. Wir modellieren diese Interaktionen, damit man Technologie einsetzen kann, um die Kooperationsprozesse zu steuern und die Zusammenarbeit zu verbessen. Das ist umso nötiger, je größer die räumlichen Distanzen etwa bei globalen Teams und je größer die kulturellen Unterschiede der Teammitglieder sind.

CW: Sind Diskussionen etwa über die Klärung von Begriffen überhaupt formalisierbar? Kann Modellierung das menschliche Gespräch ersetzen?

Goldberg: Das weiß ich nicht. Es gibt zwar keinen Beweis, aber gute Argumente dafür, dass sich die Projektmitglieder zumindest einmal am Anfang treffen müssen, um Begriffe, Ziele und Rollen zu klären, damit man nicht während des Projekts aneinander vorbeispricht. Es gibt aber auch Belege dafür, dass Leute, die sich nie gesehen haben, hervorragend zusammenarbeiten. Es geht hier vor allem um Vertrauen. Teamwork beruht auf Vertrauen, und ich glaube, dass offene Kommunikation Vertrauen schafft.

CW: Denken Sie dabei an die Open-Source-Bewegung, an die Entwicklung von Linux?

Goldberg: Ja. Die Linux-Entwickler hatten eine gemeinsame Aufgabe, die jeder verstand, eindeutige Teilnahmebedingungen und klare Richtlinien etwa für den Umgang mit Code. Und es gab Leute, die die Einhaltung der Regeln überwachten.

CW: Beruht der Erfolg der Open-Source-Bewegung nicht vor allem darauf, dass hier anders als in Unternehmen ein weitgehend herrschaftsfreier Raum geschaffen wurde, dass die Leute freiwillig mitmachten, ohne Chef und ohne konkrete Karrierechancen?

Goldberg: Wir haben intensiv über selbstorganisierte Teams nachgedacht, aber der Markt mag diesen Begriff nicht, weil Manager dafür bezahlt werden, zu führen und deshalb auf ihre Rolle bestehen.

Wie auch immer die Hierarchien aussehen, es geht darum, dass die Teammitglieder kontinuierlich miteinander im Kontakt bleiben, weil sich Begriffe und Aufgaben mit der Zeit ändern und sich für jeden mit neuen Inhalten füllen. Die Erfahrung zeigt aber, dass zu wenig miteinander gesprochen wird. In Projekten ist es ungeheuer wichtig, dass es Möglichkeiten gibt, Probleme ergebnisorientiert zu diskutieren, sobald sie entstehen. Nicht jeder hält sich an diese Regel.

CW: Sind Programmierer vom Typ her eher weniger kommunikativ?

Goldberg: Nein, das betrifft alle Teilnehmer in Projekten. Marketing-Mitarbeiter versprechen Dinge, die sie nicht sorgfältig mit den Programmierern abgesprochen haben, Vertriebsmitarbeiter informieren die Marketiers nicht genau genug, oder Programmierer lösen ein Problem auf unkonventionelle Weise, ohne ihre Kollegen zu unterrichten. Generell gilt, dass häufig Produkte entwickelt werden, die so nicht mit den Kunden abgesprochen wurden.

CW: Warum ist das so?

Goldberg: Das ist keine böse Absicht. Die Leute sind einfach nur zu beschäftigt.

CW: Rührt ein Teil der Kommunikationsprobleme nicht daher, dass Projektmitglieder Nachteile befürchten, wenn Sie über ihre Schwierigkeiten reden?

Goldberg: Das kommt vor. Schlimmer noch sind aber die Leute, die Informationen zurückhalten, um ihre Machtposition auszubauen.

CW: In beiden Fällen würde ein System zur offenen Kommunikation, wie Sie es vorschlagen, auf offenen oder heimlichen Widerstand stoßen.

Goldberg: Diese Sorge ist berechtigt. Ich kann nur sagen, dass ich Angst- und Machtstrategien nicht mag. Wir versuchen den Leuten beizubringen, dass Offenheit im Interesse aller ist. Aber lassen Sie uns die positive Seite sehen: Wenn ein Mitarbeiter an einem Projekt teilnimmt, weil er sich davon verspricht, zum Beispiel XML zu lernen, dann sollte das nicht nur sein Chef wissen, sondern alle im Team. Nur dann lässt sich ein solcher Mitarbeiter konstruktiv einbinden.