Online-Recruiting/Erfahrene Personalberater setzen auf Medienmix

Projekterfahrung und Sozialkompetenz gehen in Online-Jobbörsen verloren

02.02.2001
Die elektronische Jobvermittlung ist derzeit in aller Munde. Trotz vieler Vorteile - diese Art der Stellenbörse hat auch ihre Haken. Scheinanfragen, schwammige Begriffe oder falsche Interpretation sind der Nährboden für mancherlei Missverständnisse. Diese lassen sich auch heute noch am besten in einem persönlichen Gespräch klären. Von Anja Klauk*

Stellenbörsen versetzen Unternehmen wie Personalberater zur Zeit in wahre Goldgräberstimmung: Gegen einen Pauschalbetrag können IT-Fach- und Führungskräfte weltweit gezielt gesucht, unter den veröffentlichten Bewerberprofilen schnell eine Vorauswahl getroffen und die Kandidaten direkt per E-Mail kontaktiert werden. Die Suche geht rasch über die Bühne - der Erfolg scheint sicher. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob sich nicht das Green-Card-Land Indien, sondern vielmehr die elektronische Stellenbörse als das virtuelle Traumland aller Personalsuchenden entpuppt.

Michael Neumann, geschäftsführender Gesellschafter bei Hager & Partner Personalberatung mit Sitz in Frankfurt, reagiert eher gelassen: "Trotz vieler Vorteile hat die Rekrutierung per Jobbörse auch einen Haken. Gut qualifizierte und wechselwillige Bewerber erhalten bis zu 100 Anfragen auf die Schaltung ihres Profils. Teilweise kommen noch Anfragen hinzu, die auf die Schaltung in einer weiteren Stellenbörse zurückzuführen sind."

Damit der Kontakt zum Kandidaten erfolgreich ist, kommt es darauf an, dass sich ein Personalberater bereits im Anschreiben gut verkauft. Das heißt, dass er echtes Interesse am Bewerber signalisieren muss. Meldet sich ein Bewerber auf eine Online-Ansprache hin, sollte man ihm auch eine tatsächlich vorhandene Perspektive vorstellen können. Nichts nervt einen wechselwilligen Kandidaten so sehr wie eine Scheinanfrage. In einem solchen Fall soll der nachgefragte Lebenslauf nur die Datenbank des Personalberaters füllen, ohne dass ein greifbarer Suchauftrag dahinter steckt. Personalberater Neumann weiß aus Erfahrung, dass Kandidaten gern erst einmal telefonisch vorfühlen, ob die Anfrage auch seriös ist: "Oft erschweren schwammige Angaben, das Profil und die Erfahrung des Stellensuchenden eindeutig zu interpretieren. Aber solche Missverständnisse lassen sich in einem persönlichen Gespräch in der Regel schnell aus dem Weg räumen."

Fühlt sich der Kandidat bei einem Personalberater gut aufgehoben, gilt es herauszufinden, ob er tatsächlich zu der Position passt, die dieser im Kopf hat. Für einen schnellen Abgleich gegenseitiger Erwartungen sorgt dann ein möglichst detaillierter, tabellarischer Lebenslauf des Kandidaten, den der Personalberater idealerweise vor sich liegen hat. Neumann rät zu folgender Vorgehensweise: "Strukturierte, tabellarisch gelistete Angaben erleichtern die Lesbarkeit eines Profils bedeutend. Prosa, das heißt ein durchformulierter Text, wirkt da eher störend. Was stattdessen zählt, sind präzise und vollständige Angaben zu Ausbildung, Berufslaufbahn und Zusatzqualifikationen. Nicht zuletzt muss sich der potenzielle Arbeitgeber aufgrund dieser Angaben ein genaues Bild über die fachliche Eignung eines Kandidaten machen können."

Neben den Hard Skills spielen gerade in der IT- und Multimedia-Welt die Soft Skills des Bewerbers eine große Rolle. Letztere lassen sich bei einem in der Jobbörse veröffentlichten Stellengesuch häufig nur vermuten. Ein gutes Beispiel ist die Führungskompetenz: Während ein Abteilungsleiter jederzeit die Anzahl seiner Mitarbeiter angeben kann, ist dies für einen Consultant aus dem Dienstleistungsbereich weniger eindeutig. Der Grund: Seine Rolle wechselt häufiger - bei dem einen Kunden nimmt er die Projektleitung wahr, beim anderen ist er "einfacher" Projektmitarbeiter. Die Fähigkeit und nicht zuletzt den Stil der Personalführung muss der Personalberater dann im persönlichen Gespräch feststellen - schließlich ist es ein Unterschied, ob jemand Hierarchie- oder Mitarbeiter-orientiert führt.

Ein zentrales Qualitätskriterium bei der Beurteilung einer IT-Laufbahn bildet die Projekterfahrung. An welchen Projekten hat der Kandidat bisher mitgewirkt? Wie lautete die jeweilige Aufgabenstellung? Welche Plattformen und Programmiersprachen wurden verwendet? Welche Funktion hatte der Kandidat im Team? Inwieweit war diese Funktion mit Führungs- und Budgetverantwortung verbunden? Handelte es sich um eine Inhouse-Tätigkeit, zum Beispiel die unternehmensweite Y2K-Umstellung, oder erforderte das Projekt den Umgang mit Kunden? In welcher Branche wurde das Projekt abgewickelt? Wurde das Team international zusammengestellt? Liegt Auslandserfahrung vor? Erst der lückenlose, detaillierte Überblick über die Projekterfahrung macht den fachlichen Schwerpunkt und die Entwicklung eines Kandidaten deutlich. Hier sieht Berater Neumann Probleme: "Dies ist ein Punkt, bei dem Online-Jobbörsen noch häufig passen müssen. Stellensuchende dürfen ihren Werdegang in vorgefertigte Masken eintragen, welche die Projekterfahrung aussparen."

Gänzlich ungeeignet für eine realistische Beurteilung von Qualifikationen sind seiner Meinung nach auch Listen zum Ankreuzen, bei denen ein Bewerber seine Fähigkeiten selbst einschätzen muss - zum Beispiel "C++-Kenntnisse sind auf Expertenstatus, mittelmäßig oder gering vorhanden". Diese Einschätzung sage rein gar nichts über die praktische Erfahrung des Kandidaten mit C++ aus. Neumann: "Im Grunde bedeutet diese Methode, Skills zu präsentieren, Zeitverschwendung für den Kandidaten wie für den Personalsuchenden, denn die eigentlich wichtigen Dinge müssen noch geklärt werden."

Nach einer Online-Bewerbung und zahlreichen Gesprächen mit Personalberatern und Unternehmen liegen einem Bewerber in der Regel mehrere attraktive Vertragsangebote vor. Für die Kandidaten heißt es dann genau abzuwägen - ein Zeitpunkt, bei dem die eigenen Zukunftsvorstellungen über eine Zu- oder Absage entscheiden. "Gut qualifizierte Kandidaten, die sich angesichts der großen Nachfrage eine Position aussuchen können", so der Frankfurter Berater, "werden wählerisch und möchten nichts überstürzen. Sie überlegen genau, welche Aufgabe und welches Umfeld zu ihnen passt." Unternehmenskultur und Zukunftsstrategie des künftigen Arbeitsgebers würden dabei eine ähnlich große Rolle spielen wie die Entwicklungsfähigkeit der Position, eine attraktive Vergütung und Sonderleistungen wie Firmenwagen, Direktversicherung oder Aktienoptionen. Neumann: "Ein sensibler Punkt stellt für viele Bewerber die Anforderung an die eigene Reisebereitschaft dar. Hier kann ein Tag mehr in der Woche bereits den Ausschlag für die Absage des Kandidaten geben. Bietet ein Unternehmen umgekehrt systematische Weiterbildung und persönliches Coaching, ist dem so schnell keine finanzielle Sonderleistung gewachsen. Wer ein solches Ass aus dem Ärmel ziehen kann, hat dann gerade bei jüngeren Kandidaten mit großem Entwicklungsdurst eindeutige Vorteile vor der Konkurrenz."

Welcher Personalberater kennt diese Situation nicht: Ein Kandidat pokert, um zum Meistbietenden zu wechseln. Oder, noch ärgerlicher, ein Kandidat gaukelt Wechselwilligkeit vor, um "daheim" seinen Marktwert zu erhöhen. Dieses Phänomen kennt auch Neumann: "Erst vorgaukeln, dann hochschaukeln - dies mag aus der Sicht eines Kandidaten verständlich sein, aber für uns Personalberater und dann auch für unsere Kunden ist dies ziemlich unbefriedigend. Leider können wir entsprechende Strategien nicht immer durchschauen, denn wer es darauf anlegt, legt nicht selten eine großartige Vorstellung hin." Neumann schreibt dieses Verhalten dem großen Mangel an IT-Fachkräften zu: "Einem Kandidaten kann ich hier höchstens nahe legen, es gegenüber dem suchenden Unternehmen nicht zu übertreiben - man trifft sich im Leben immer zweimal."

Wie stellt sich nun die Rekrutierung per Jobbörse im Vergleich zu anderen Techniken dar? Laut Neumann, der selbst seit mehr als zehn Jahren im Geschäft ist, setzen erfahrene Personalberater nicht nur auf ein Medium, sondern auf den Medienmix: "Wir nutzen die Direktansprache, persönliche Kontakte, Messen und Events, Radiospots - in einigen Fällen auch die Anzeigenschaltung. Die Kandidatensuche mit Hilfe von Online-Jobbörsen stellt dann nur ein Instrument unter vielen dar." Insgesamt hält er es für zweitrangig, wen man wie und wo anspricht - wichtig sei es, einen wechselwilligen Kandidaten während des gesamten Bewerbungsprozesses zeitnah zu begleiten und zu beraten: "Die Organisation und die Qualität des Kontaktes müssen stimmen. Bei Jobbörsen fängt dies damit an, Kandidaten möglichst innerhalb von 48 Stunden nach Veröffentlichung ihres Stellengesuchs anzusprechen." Dafür müsse intern eine geeignete Infrastruktur vorhanden sein, welche die Rückmeldungen abfängt und weiterleitet. Entscheidend sei auch ein kurzfristiges Feedback zu eingegangenen Lebensläufen - schließlich wolle jeder Bewerber möglichst schnell wissen, woran er ist. Im Sinne einer gezielten Karriereberatung müsste man Wechselwilligen einen kompetenten, geschulten Gesprächspartner zur Verfügung stellen, der sich in der Branche auskennt. Neumann: "Dies gilt immer, also nicht nur für Kandidaten, die über die Jobbörse zu uns kommen." Welcher Weg der Rekrutierung auch immer gewählt wird - Michael Neumann zieht ein klares Fazit: "Wir haben es mit Menschen zu tun. Und dabei zählt in erster Linie die Qualität der Dienstleistung und nicht das Medium an sich. Und diese nicht gerade neue Erkenntnis wird die IT-Euphorie sicher überdauern."

*Dr. Anja Klauk ist freie Journalistin in Frankfurt am Main.