Geschäftsprozesse optimieren/Nutzwertanalyse hilft Prozesse einzuschätzen

Projekte - dem Scheitern vorbauen

16.08.2002
Viele Entscheider halten Unternehmensstrategie, Geschäftsprozesse und IT-Systeme immer noch für getrennte Bereiche, dem E-Business zum Trotz. Nur zu gern geben sie die Entwicklung ihrer Systeme an externe Dienstleister ab. Bevor teure Fehlentwicklungen zu Buche schlagen, sollten sich beide Seiten der Nutzwertanalyse bedienen. Von Dirk Stähler *

Die Situation ist alltäglich: Nur mit Informationen aus Briefings, Unternehmenspräsentationen und Abteilungsprotokollen versorgt, sollen externe IT-Dienstleister möglichst ad hoc effiziente IT-Lösungen entwickeln. Die Berührungsängste vor der komplexen IT-Materie bestehen nach wie vor, denn die internen Manager verfügen in der Regel nämlich nicht über die notwendigen Kriterien, um die vorgeschlagenen Lösungen bewerten und mit den internen Prozessabläufen vergleichen zu können.

Die Folge ist, dass sich IT-Systemhäuser im Verlauf eines Projekts häufig mit folgendem Problem konfrontiert sehen: Die von ihnen nach den Vorgaben des Unternehmens modellierten IT-Lösungen stimmen mit den Unternehmensprozessen nicht überein. Es werden Brüche oder Redundanzen sichtbar, die einen Mehraufwand und Kosten nach sich ziehen. Folge: Projekte drohen im fortgeschrittenen Stadium zu scheitern, ohne dass jemandem der Ernst der Lage aufgefallen wäre.

Auch wenn es wie ein Gemeinplatz klingt: Eine Analyse und konsequente Planung sind die unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg eines IT-Projektes. Immer wieder werden genau definierte Entwicklungsprozesse gefordert mit aussagekräftigen Metriken und strenger Überwachung.

Eine optimale Vorgehensweise lässt sich in vier Phasen teilen:

1. Executive Workshop: Am Anfang steht die strategische Fragestellung, welche Ziele das Unternehmen erreichen will und wie IT-Lösungen das Erreichen der Ziele unterstützen können.

2. Der Business-Plan: Die Ergebnisse werden in einen operativen Plan umgesetzt. Eine Lösung kann die Implementierung eines IT-Systems sein, muss es aber nicht zwangsläufig. Ein mögliches Resümee ist, dass im Unternehmen zunächst strukturelle Aspekte wie zum Beispiel redundante Prozessabläufe bearbeitet und verändert werden müssen.

3. Solution Value Assessment: Der Business-Plan mit seiner operationalisierten Anforderungsaufstellung bildet die Grundlage für die Auswahl von IT-Lösungen, welche die Unternehmensprozesse optimal abbilden.

Um im Rahmen komplexer IT-Architekturen mögliche Alternativen bewerten zu können, eignet sich die aus der Ingenieurwissenschaft stammende Methode der Nutzwertanalyse. Dabei müssen zur Bewertung des konkreten Nutzens einer Lösung verschiedene Perspektiven berücksichtigt werden: So ist zum Beispiel der Endanwender an der Benutzeroberfläche und ihren Funktionen interessiert und hat damit eine andere Sicht auf das Projekt als der Entwickler, der Systemadministrator oder der mit der Systemintegration befasste Mitarbeiter. Software-Architekturen können danach in einer "4+1-Sicht" abgebildet werden:

- Entwurfssicht: Hier werden die funktionalen Anforderungen an das System beschrieben, wie zum Beispiel Funktionen der Bedieneroberflächen.

-Einsatzsicht: Sie beschreibt die nötige Hardware- und Netzwerktopologie, die dem Softwaresystem zugrunde liegt, inklusive der Rechner und Netzwerkstruktur.

- Prozesssicht: Die Beschreibung der Prozesse sowie die Anforderungen an Performance und Skalierbarkeit werden in der "Prozesssicht" deutlich.

- Entwicklungssicht: Die physische Ausprägung und das Deployment der Software werden in der "Entwicklungssicht" festgehalten.

Diese vier "Sichten" werden auf ihr Potenzial für die Realisierung des Projekts abgeklopft: In Anwendungsszenarien werden gleichartige Anwendungsfälle durchgespielt, um ein erwartetes Verhalten zu dokumentieren.

Nun kommt die Nutzwertanalyse zum Tragen; sie ist besonders dort von Vorteil, wo die maßgebenden Ziele nicht ausschließlich finanziell messbar sind. Stattdessen wird der "Nutzwert" als dimensionslose Kennzahl ermittelt. Alle Bewertungskriterien werden über eine Funktion in einen ungewichteten Teilnutzwert transformiert, mit Gewichtungsfaktoren multipliziert und anschließend aufsummiert. Neben den klassischen quantitativen Bewertungskriterien wie Kosten, Zeit, Risiko oder Qualität fließen auch qualitative Kriterien wie die strategische Ausrichtung des Unternehmens in die Bewertung ein. Im Rahmen einer Simulation können die Gewichtungen der Kriterien verändert werden, um entsprechende Kernaussagen zu verdeutlichen beziehungsweise die Stabilität des errechneten Ergebnisses zu testen. Im konkreten Beispiel bedeutet dies, dass die Vor- und Nachteile bestimmter Softwarelösungen - etwa Skalierbarkeit, Datensicherheit oder Robustheit der Anwendung - über die Anwendungsszenarien herausgearbeitet werden. Entscheider erhalten so eine Möglichkeit, die vom Systemhaus vorgeschlagen Lösungen zu bewerten und ihre eigene Entscheidung inhaltlich abzusichern.

4. Business Blueprint: In der letzten Etappe werden die Ergebnisse der Nutzwertanalyse in einen Entwurf übertragen.

Entscheider müssen davon überzeugt werden, dass bei IT-Projekten externe Dienstleister die Möglichkeit für eine konsequente Analyse und Planung erhalten, auch wenn dadurch die Kosten am Projektbeginn höher ausfallen. Denn nur so können der Projekterfolg und die Kostenkontrolle im fortgeschrittenen Projekt gesichert werden.

Und auch die Systemhäuser müssen ihre Hausaufgaben machen und sich von der einseitigen IT-Sicht aus der Perspektive der eigenen oder verfügbaren Software-Tools verabschieden. Im Wesentlichen geht es um eines; den Kunden zu verstehen. (bi)

*Dirk Stähler ist Bereichsleiter bei dem Systemhaus Opitz Consulting in Gummersbach.

Nutzwertanalyse

- Eine Nutzwertanalyse ist vor allem dort von Vorteil, wo die maßgebenden Ziele nicht ausschließlich finanziell messbar sind.

- Neben den klassischen quantitativen Bewertungskriterien wie Kosten, Zeit, Risiko oder Qualität fließen auch qualitative Kriterien wie die strategische Ausrichtung der Unternehmen in die Bewertung ein.

Abb: Sichten von Softwarearchitekturen

Softwarearchitekturen können in einer "4+1-Sicht" abgebildet werden. Diese "Sichten" werden auf ihr Potenzial für die Realisierung des Projekts abgeklopft. Quelle: Stähler