Interview der Woche / Die R/3-Alternative kommt nun doch nicht

Projekt abgebrochen: Debis nennt Rezession als Ursache

02.04.1993

CW: Herr Drodofsky, konzentrieren Sie sich mit Ihrem Zustaendigkeitsbereich Standardsoftware eher auf vertikale oder horizontale Produkte?

Drodofsky: Alle von uns angebotenen Loesungen haben horizontalen Charakter. Es scheint nur auf den ersten Blick so, dass einige Produkte auf eine bestimmte Branche festgelegt sind. Denken Sie zum Beispiel an Instandhaltungs-Systeme. Man assoziiert dabei zunaechst die Industrie, aber das ist zu kurz gegriffen. Wir haben viel Erfolg im Building-Bereich, also bei der Gebaeude- Instandhaltung. Aehnliches gilt fuer den Sektor Transport und Logistik: Ein grosser Teil des Logistikmarktes in Deutschland ist der Werksverkehr. Natuerlich ist unsere Software fuer Speditionen und Fuhrunternehmen, aber auch fuer den Werksverkehr geeignet. Insofern finden Sie immer in grossen Einheiten Branchenmerkmale kleiner Einheiten. Die Frage ist nur, wie hoch die Eigenfertigungstiefe ist.

CW: Der Bereich Neue Produkte findet sich nicht mehr in Ihrem Organigramm. Was ist damit geschehen?

Drodofsky: Die Abteilung und die Menschen sind nicht verlorengegangen; dort werden nach wie vor neue Produkte gemacht. An dieser Stelle moechte ich aber etwas anderes sagen: Wir haben uns in drei Jahren von einem fast 100prozentigen Innenleister praktisch ohne Marktaktivitaet zu einem Software-Anbieter mit 400 Millionen Mark externem Umsatz gewandelt. Dass hierdurch zwingend neue Strukturen im Unternehmen entstehen, um am Markt schlagkraeftig zu sein, ist doch selbstverstaendlich.

CW: Das Wachstum haben Sie aber nur durch die Uebernahme anderer Anbieter erreicht!

Drodofsky: Dass wir das nicht durch internes Wachstum erreichen konnten, war wohl immer klar.

CW: Mit Uniface verkaufen Sie ein Produkt in Lizenz. Ist das die Strategie der Cap-Debis-Sparte Standardsoftware?

Drodofsky: Ich glaube nicht, dass wir jemals in der Lage sein werden, Software aus einer Hand - jede Funktion an jeder Ecke - anzubieten. Wir werden eigene Produkte ueber OEMs bereitstellen, und wir werden andere Produkte hereinnehmen - auch unter eigenem Logo. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Unternehmen jemals wirklich fuer alle Maerkte etwas anbieten kann.

CW: Der Ansatz der SAP AG widerlegt Ihre Ansicht. Ausserdem hatte Debis Systemhaus vor zwei Jahren etwas Aehnliches vor.

Drodofsky: Wir haben zu keiner Zeit gesagt, dass wir jede Standard- Anwendungssoftware aus eigener Kraft erstellen wollen.

CW: Immerhin hat das Management des Debis Systemhauses bei der Uebernahme der OPG erklaert, dass es die Entwicklung eines Konkurrenzprodukts zu R/3 plane. Das Stichwort "Leo" geisterte durch die Branche.

Drodofsky: Es sind Entwicklungsschritte unternommen worden, um in diesem Bereich ein Produkt zu haben. Diese Schritte sind waehrend der Anlaufphase zur Ruhe gekommen. Das heisst, wir machen das im Moment nicht mehr. Es handelte sich um ein reines Entwicklungsprojekt, wir waren damit also noch nicht am Markt.

CW: Aber Sie haben mit den akquirierten Unternehmen auch Produkte uebernommen, die Sie irgendwie integrieren muessen.

Drodofsky: Wir haben vor allem Know-how gekauft. Wenn Sie einen Markt bearbeiten wollen, gibt es immer zwei wesentliche Komponenten: das Wissen um das Produkt und das Wissen um den Markt. Das alles muessen Sie entweder sehr zeitintensiv und muehsam aufbauen, oder Sie verstaerken sich, indem Sie Wissen ins Unternehmen hereinholen.

CW: Nun wollen Sie aber derzeit gar nicht mehr in den Markt, den Sie urspruenglich angepeilt hatten. Was sind die Gruende dafuer?

Drodofsky: Die Einstellung des von Ihnen angesprochenen Entwicklungsprojektes bedeutet nicht einen generellen strategischen Wandel, sondern ist eine Reaktion auf veraenderte Marktbedingungen. Standardsoftware-Produkte bleiben ein wichtiger Bestandteil unserer Systemhaus-Philosophie, ein Komplettanbieter zu sein.

CW: Waren nicht vor allem technologische Probleme Ursache fuer die Einstellung der Entwicklung?

Drodofsky: Wir koennen technisch jedes Softwareprodukt realisieren. Das beweisen wir staendig in unseren Projekten beim Kunden. Auch das Wissen um die Release-Faehigkeit ist im Hause vorhanden. Was ein Unternehmen entscheiden muss, ist jedoch, ob es zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter bestimmten Bedingungen mit einem Standardsoftware-Produkt in einen Markt einsteigen will. Leo war fuer uns ein ganzer

Markt, der erst aufgebaut werden musste. Da sind sehr hohe Investitionskosten erforderlich.

CW: Was war denn eigentlich konkret geplant?

Drodofsky: Angedacht war, kaufmaennisch- und technisch- administrative Komponenten zusammenzufuegen. Aber es ging nicht nur darum, vorhandene Produkte zu integrieren. Leo war ein Neuprojekt. Wenn Sie mit einer neuen Technologie eine Software schreiben, dann ist auch das entstehende Produkt neu.

CW: Wie weit war das Projekt auf der technischen Seite gediehen?

Drodofsky: Wir haben keine eigene Technologie im klassischen Sinne entwickelt, sondern sie aus marktgaengigen Komponenten, Produkten wie "Dialog Manager" und "Ossy" von Aperia Software zusammengebaut. Das Ergebnis ist die Software-Architektur "Leotechnik", die uebertragbar ist und fuer die es heute auch bereits Interessenten gibt. Das heisst: Wir nutzen die Entwicklungsergebnisse des Projektes weiter. Wir haben eigenen Programmcode und Durchfuehrungs-Richtlinien entwickelt. Wir nutzen Standard- Directories und ermoeglichen es, unterschiedliche Datenbanken einzubauen. Um die Portabilitaet zu ermoeglichen, mussten wir zum Teil sehr alte Dinge einbeziehen, beispielsweise Cobol. Insofern haben wir einen voellig anderen Loesungsweg gewaehlt als der Wettbewerb.

CW: Wieviel haben Sie denn bereits in dieses Projekt investiert?

Drodofsky: Der Investitionszyklus eines solchen Projekts ist gross. Da muessen wir mit Kosten rechnen, die zwar nicht dieselben sind, die SAP veroeffentlicht hat (mindestens eine halbe Milliarde Mark; Anm. d. Red.), die sich aber auch nicht um Groessenordnungen unterscheiden. Und gemessen an der R/3-Entwicklung haben wir bislang einen einstelligen Prozentsatz ausgegeben.

CW: Die Struktur dieses Marktes haetten Sie eigentlich bereits zu Beginn des Projekts kennen koennen.

Drodofsky: Entschuldigen Sie. Ein Markt aendert sich doch permanent!

CW: Was hat sich denn in den vergangenen zwei Jahren geaendert?

Drodofsky: Der deutsche Markt hat sich generell gewandelt. Die konjunkturelle Lage hat sich seit damals in einer Geschwindigkeit und Dramatik veraendert, die ich fuer unvergleichbar halte.

CW: Mit anderen Worten: Sie wollen derzeit die Kosten fuer ein solches Projekt nicht aufs Spiel setzen.

Drodofsky: Genauso ist es. Fuer uns gibt es genuegend Alternativen. Wir machen nach wie vor drei Viertel unseres Umsatzes im Projektgeschaeft. Wir haben heute schon eine Abteilung SAP- Services. Wenn der Markt entsprechende Produkte hervorbringt, arbeiten wir auch mit anderen zusammen.

CW: Uns ist zu Ohren gekommen, dass Sie fuer Leo keine Pilotkunden gefunden haetten.

Drodofsky: Wir haben eine Reihe von Nachfragen. Sie muessen sich vorstellen, dass hier eine riesige Aufgabe angegangen wurde, von der ein kleiner Teil so weit ist, dass wir in die Pilotierungsphase eingestiegen waeren, und die wird jetzt als Projekt abgeschlossen. Daran sehen Sie, dass es keineswegs unmoeglich war, Pilotkunden zu finden. Wir haben bisher immer Pilotkunden gefunden, das ist nicht das Problem.

CW: Werden die Produkte, die in "Leo" integriert werden sollten (Cimos von MTU, Profis von Dataring und die Finanzpakete von OPG) nach wie vor separat vermarktet?

Drodofsky: Hier muessen wir erst einmal den Produktbegriff definieren. Ein Standardsoftware-Produkt vertreiben heisst: Versuchen, beim Verkauf grosse Stueckzahlen zu erzielen und Standard-Wartungsvertraege abzuschliessen. Wir verkaufen die Produkte Cimos und Profis nach wie vor, aber mit einer erhoehten Bereitschaft zur kundenindividuellen Anpassung im System. Wir nennen das Plattformgeschaeft. Beim echten Produktgeschaeft gibt es eine isolierte Entwicklungsmannschaft, auf deren Schreibtische nicht jedes Kundenproblem direkt gelangt. Um diesen Dialog zu fuehren, benutzt man eine Hotline.

Im Plattformgeschaeft laeuft das anders. Hier ist der Kontakt zwischen dem Entwickler und dem Endkunden sehr viel intensiver, und das, was getan wird, ist sehr viel naeher am eigentlichen Kundenwunsch. Auf diese Weise entsteht nie ein wirklich Release- faehiges Produkt. Denn an der Release-Faehigkeit hat der Kunde, der eine individuelle Loesung sucht, kein Interesse.

CW: Wenn man den Markt verfolgt, hat man den Eindruck, er konzentriere sich auf ganz wenige Release-faehige Produkte. Mit Leo ist eines dieser Produkte gestorben. Damit begeben sich Unternehmen wie Debis in die Abhaengigkeit von wenigen grossen Anbietern wie SAP.

Drodofsky: Das Wort Abhaengigkeit hoere ich in diesem Zusammenhang eigentlich ungern. Schliesslich sind wir auch abhaengig von den Hardwareherstellern. Denn ohne Hardware laeuft die schoenste Software nicht. Natuerlich sind wir ebenfalls abhaengig von den Betriebssystem-Herstellern. Und da ist die Auswahl auch nur bescheiden. Das heisst, wir sind in dieser Welt immer davon abhaengig, dass es Zulieferer gibt. In dem grossen Markt, den SAP heute bedient, sind wir - im Sinne eines Standardproduktgeschaefts - nicht praesent. Im Sinne der begleitenden Projektservices hingegen schon.

CW: Wie viele Ihrer Mitarbeiter sind im engeren oder weiteren Sinne mit SAP-Software beschaeftigt?

Drodofsky: Wir haben heute, wenn man alle Ressourcen zusammenzaehlt, also sowohl das, war wir nach innen leisten, als auch das, was wir im Markt tun, fast 100 Mitarbeiter im SAP-Markt. Auf unseren Rechnern, die wir fuer die Kunden verwenden, laeuft SAP- Software. Aber bei uns laeuft auch Cimos. In den fuenf neuen Bundeslaendern haben wir eine Reihe von Kunden gefunden, die bereit sind, dies als ganzheitlichen Service aufzufassen. Es gibt auch eine ganze Reihe von Installationen, wo Cimos und SAP fuer denselben Kunden laufen.

CW: Wir haben den Verdacht, Sie wollen sich heimlich, still und leise als Software-Unternehmen verabschieden und sich voll und ganz auf das Projektgeschaeft werfen.

Drodofsky: Das stimmt absolut nicht. Wir haben ja ein umfassendes Angebot an Standardsoftware-Produkten: Software-Tools, Loesungen fuer Steuerberater und Wirtschaftspruefer, Logistik- und Transportloesungen, CAD-Tools und so weiter. Die Vorzeichen haben sich nur insofern geaendert, als dass beim Start von Leo das Joint- venture mit Cap Gemini noch nicht existierte.

CW: Was hat denn die Zusammenarbeit mit Cap Gemini geaendert?

Drodofsky: Diese Kooperation hat uns die Staerke gebracht, im europaeischen Projektgeschaeft aktiv zu werden. Es gibt einen Riesenunterschied zwischen Produkten und Projekten: Bei Produkten koennen Sie auch mit Vertriebspartnern in fremde Maerkte gehen - dabei muessen Sie mit Menschen vor Ort sein. Das geht nicht, indem Sie nur in Deutschland praesent sind. Dazu muessen Sie lokal Ressourcen aufbauen. Durch das Zusammengehen mit Cap Gemini haben wir schlagartig die Projektfaehigkeit fuer Europa gewonnen. Wir sind gar nicht mehr darauf angewiesen, das durch Produkte vorzubereiten.

CW: Was fangen Sie jetzt mit den Anwendungspaketen von OPG an?

Drodofsky: OPG macht heute die Kostenrechnungs-Plattform fuer das Geschaeft mit der Produktionssoftware Cimos. Das hatte uns gefehlt.

Wenn wir gefragt wurden, ob wir das aus einer Hand anbieten koennten, mussten wir in der Vergangenheit immer "nein" sagen und folglich mit gemischten Projektgruppen auftreten.

CW: Werden diese Anwendungsprodukte noch weiterentwickelt?

Drodofsky: Sowohl Cimos als auch die OPG-Produkte werden weiterentwickelt. Aber das ist ein Plattformgeschaeft, und wir werden dabei sehr intensiv mit dem jeweiligen Einzelkunden diskutieren.