Wirtschaftsinformatik in Ostdeutschland im Vormarsch

Programmier-Know-how kann den Praxisbezug nicht ersetzen

06.11.1992

Sowohl die Umgestaltung der Ausbildungsprogramme als auch die Verbesserung der materiell-technischen Basis zur stutdentischen Ausbildung stehen im Mittelpunkt der hochschulpolitischen Aktivitäten in Ostdeutschland. Am Beispiel der Einführung des Faches Wirtschaftsinformatik in Leipzig zeigt Thilo Weller*, die Richtung, in die man gehen will.

Im Rahmen der bereits seit längerem bestehenden Kooperation zwischen der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Marx-Universität Leipzig und den Saarbrücker Wirtschaftsinformatikern werden gegenwärtig neue Wege in der Ausbildung zur Wirtschaftsinformatik beschritten.

Die Schaffung und Nutzung einer modernen Lern-Infrastruktur für diesen Ausbildungsbereich ist Gegenstand des Forschungsvorhabens Witec (Wissens- und Technologietransfer innerhalb universitärer Ausbildungspartnerschaften), welches vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) gefördert wird. Das Projekt wird aus den 18 Millionen Mark finanziert, die der Bundesbildungsminister Jürgen W. Möllemann für die Verbesserung der PC-Infrastruktur an den Hochschulen in den neuen Bundesländern zugesagt hat.

Ausbilidung trotz Hardware-Defizite

Das am 1. September 1990 gegründete Institut für Wirtschaftsinformatik ist Bestandteil der ebenfalls zu diesem Zeitpunkt neuformierten Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Hier erfolgt bereits seit 1969 eine durchgängige DV-Ausbildung. Trotz vorhandener Defizite in der Hardware-Ausstattung sind viele Absolventen mit dem notwendigen DV-Wissen ausgestattet worden.

ln den 70er und 80er Jahren erhielten die Studenten eine fundierte Programmierausbildung in den Programmiersprachen Algol, PL/1, ab Mitte der 80erJahre in Basic und dann in Pascal. Allerdings gab es nur beschränkte Möglichkeiten, diese Erkenntnisse in praktische Übungen an Terminals von Großrechnern umzusetzen. Auch die betriebswirtschaftlichen Anwendungssysterme und ihre Projektierung standen in den vergangenen Jahren auf dem Lehrplan, zum Beispiel die Vermittlung von Kenntnissen zum Aufbau von Datenbanken für die Stücklistenorganisation und die Vermittlung von Instrumentarien der Softwaretechnologie.

Das Instituts ist gemeinsam mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern und den Hilfswissenschaftlern für die Ausbildung von über 1300 Studenten zuständig, davon haben sich allein in diesem Jahr 300 Hochschüler neu immatrikuliert. Wegen der Bedeutung marktwirtschaftlicher Konzepte bietet das Institut heute eine Ausbildung für Wirtschaftswissenschaftler an, die sich verstärkt den Bereichen Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik zuwendet. Die inhaltliche Ausgestaltung des Studiums lehnt sich an die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz der "alten" Bundesrepublik an und spiegelt ein spezifisches Leipziger Profil der betriebs- und volkswirtschaftlichen Ausbildung wider.

Die betriebswirtschaftliche Ausbildung ist durch den Schwerpunkt Industriebetriebslehre gekennzeichnet. Das BWL-Studium bietet viele Möglichkeiten einer vertieften Ausbildung und Spezialisierung auf Gebieten wie:

- Management-Funktionen und -Techniken zur flexiblen Führung der Unternehmen,

- Marketing zur effizienten Tätigkeit der Unternehmen auf den Märkten,

- Controlling zur rationellen Gestaltung betrieblicher Prozesse und deren Rechnungslegung,

- Personalwirtschaft sowie, in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben,

- Wirtschaftsinformatik und Statistik zur modernen Gestaltung der Informationsprozesse.

Die ersten vier Semester umfassen ein einheitliches Grundstudium Wirtschaftswissenschaften Das anschließende Hauptstudium in Betriebs- oder Volkwirtschaftslehre soll die Studenten auf ihren Einsatz in Unternehmen und Einrichtungen beziehungsweise in der Volkswirtschaft vorbereiten.

Spezialisierung durch Wahlfachangebote

Bei dem Projekt Witec ist der Bereich Informationswirtschaft im Industrieunternehmen hervorzuheben, der im Hauptstudium Schwerpunkte wie computergestützte betriebliche lnformationssysteme, industrielles Rechnungswesen und operatives Controlling enthält. Im jeweiligen Studiengang besteht die Möglichkeit der Spezialisierung durch Wahlfachangebote. Hier setzt sich auch die vertiefende Wirtschaftsinformatik-Ausbildung fort, nämlich im Wahlfach Informations-Management und Kommunikationstechnologien, das besonders die Bereiche Softwaretechnologie Datenkommunikation und -modellierung in PC-Netzen, Datenmodellierung für Datenbanken, entscheidungsstützende Systeme und Betriebsinformatik betont.

Vorgesehen ist, den Entwurf rechnergestützter betrieblicher Informationssysteme am praktischen Beispiel von der Problemanalyse bis zum Unternehmensdatenmodell, der Datenkommunikation, Büroautomatisierung sowie der Einbeziehung entscheidungsstützender Systeme zu formulieren und mit den Studenten zu trainieren. Ein geignetes PC-Labor wird auch Lern- und Trainingsprogramme stärker in die Ausbildung integrieren.

Studenten haben keine PC-Vorkenntnisse

Die Problematik der Ausbildung in den ostdeutschen Bundesländern liegt bei den instrumentellen Fächern insbesondere darin, daß die Studenten gerade auf dem PC-Sektor keine Vorbildung bei Beginn des Studium vorweisen können. Deshalb ist ein Bündel von fakultativen Kursen notwendig, die zum Beispiel die programmiersprachliche Grundausbildung oder den Umgang mit einfacher Standardsoftware wie Textverarbeitung oder Datenbanken vermitteln.

Darüber hinaus befinden sich Hochschüler, die schon länger Wirtschaftswissenschaften studieren, nun in einer Art Übergangsausbildung. Sie sind von der Umstellung auf eine marktwirtschaftliche Ausbildung besonders betroffen. Bei der Bewältigung dieser umfangreichen Aufgaben arbeiten die Betriebswirtschaftlichen Fakultäten der Technischen Hochschule in Leipzig und die Handelshochschule eng zusammen, um im neuen Bundesland Sachsen kurzfristig die wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung im allgemeinen und die Wirtschaftsinformatik im besonderen sicherzustellen.

Mit Teachware Studenten ausbilden

Das gemeinsame Projekt mit dem Institut der Universität des Saarlandes, das auch die Erstellung von Lernsoftware vorsieht, sichert für die künftige Entwicklung der betriebswirtschaftlichen Ausbildung Effektivität und Qualität. Eine erste Informationsveranstaltung über den Prototypen einer solchen Teachware in Saarbrücken im November zeigte, daß sie sich wohI auch in anderen Universitäten einsetzen läßt, darüber hinaus auch bei Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen.

Das Grundkonzept des Projekts sieht die Schaffung eines Informations- und Schulungssystems für DV-orientierte Betriebswirtschaftslehre für verschiedene Benutzertypen vor, das die Vorteile der Hypertextidee ausnützt und die Integration weiterführender Ideen sowie die Übertragung auf andere Wissensgebiete grundsätzlich unterstützt. Test, Bewertung und Weiterentwicklung der Lernsoftware erfolgen gemeinsam mit Hochschullehrern und anderen wissenschaftlichen Mitarbeitern sowie Studenten. Insgesamt wurde bisher die Idee der Lernsoftware und ihre Umsetzung im ersten Prototyp als gut eingeschätzt.

In Verbindung mit Studenten und Hilfswissenschaftlern wird das für PC-Labors relativ neue audiovisuelle Medium schrittweise in die Lehre einbezogen und dabei auch mehr oder minder schlechte Erfahrungen aus den 70erJahren berücksichtigt. Ein Feldtest mit den Studenten eines gesamten Studienjahres wird einer der nächsten Schritte zur weiteren Umgestaltung der betriebswirtschaftlichen Ausbildung an der Leipziger Universität sein.