Landgericht München: Neues Urteil zum Urheberrechtsschutz der Software

Programme ab 500 Statements geschützt

25.02.1983

Von Dipl.-Ing. Jürgen Betten

MÜNCHEN - Etwas komplexe, nicht ganz banale Programme ( von etwa 500 bis 1000 Verarbeitungsschritten aufwärts) sind nach Meinung des Landgerichts (LG) München I urheberrechtsschutzfähig, wenn es sich um eine persönliche geistige Schöpfung handelt. Nach der negativen Entscheidung des LG Mannheim (CW vom 12. Juni 1980) und dem positiven Urteil des LG Mosbach (CW vom 10. September 1982) liegt nun das zweite erstinstanzliche positive Urteil zum Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen vor (Urteil des LG München I- 7 0 2490/82 von 21. Dezember 1982).

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft im wesentlichen das Computerprogramm "ABC" (Anmerkung: alle Namen wurden geändert), für das die Klägerin Urheberrechtsschutz in Anspruch nimmt. Eine der vier Beklagten vertrieb dieses Programm bis Ende des Jahres 1981 in der Bundesrepublik Deutschland, wobei als ihr Lieferant die Firma A. fungierte...

Die Klägerin behauptet, die Beklagten hätten das Computerprogramm "ABC" unberechtigt auf eine Diskette der Firma BASF überspielt und diese Disketten vertrieben. Ferner hätten die Beklagten das dazugehörige Handbuch und die dazugehörige Referenzkarte unberechtigt übersetzt, vervielfältigt und vertrieben. Auf diesen Vervielfältigungsstücken hätten die Beklagten unberechtigt folgende Bezeichnungen angebracht:

(c)B. GmbH 1982

(c) 1980 B. GmbH

ABC(R)

Ferner habe die Beklagte zu 4) in unberechtigter Weise das Zeichen "ABC" beim Deutschen Patentamt als Warenzeichen angemeldet...

Die Beklagten tragen vor, Computerprogramme genössen grundsätzlich keinen Urheberrechtsschutz, insbesondere fehle es dem Programm "ABC" an der erforderlichen schöpferischen Eigenart. Für die Beklagten zu 2) und 3) sei keine Passivlegitimation gegeben. Lediglich in einigen Fällen habe die Beklagte zu 4) Ersatzdisketten hergestellt und diese gegen defekte Originaldisketten ausgetauscht.

Dieses Vorgehen sei gerechtfertigt gewesen, weil ein Einschicken an die Fima A. einen zu großen Zeit- und Kostenaufwand verursacht hätte. Hinsichtlich der Übersetzung des Handbuches und der Referenzkarte habe die erforderliche Einwilligung vorgelegen. Ein Anspruch auf Löschung des Warenzeichens bestehe nicht. Es werde bestritten, daß die Klägerin zum Zeitpunkt der Anmeldung (Dezember 1980) für das Zeichen "ABC" im Inland oder im Ausland Verkehrsgeltung besessen habe...

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist. . . begründet. . .

1. Diskette

Der Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Diskette resultiert aus °° 97, 1, 2, Abs. 1 Nr. 1 und 7, 16, 17 UrhG i.V.m. ° 121 Abs. 4 UrhG, Art. 2 Abs. 1 Welturheberrechtsabkommen (WUA).

Das auf der Diskette gespeicherte Computerprogramm ist urheberrechtlich geschützt. Die Kammer schließt sich der im Schrifttum überwiegend vertretenen Ansicht an, daß für Computerprogramme grundsätzlich der Urheberrechtsschutz unter gewissen Voraussetzungen in Frage kommt (so Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Auflage, Seiten 140, 141; Fromm-Nordemann, Urheberrecht, 4. Auflage, Rdnr. 16 zu ° 2; Möhring in GRUR 1967, 269, 278; Haberstrumpf in GRUR 1982, 142; Kolle in GRUR 1982, 443; v. Gamm, WRP 1969, 96 gegen Zahn, GRUR 78, 207 und LG Mannheim, B 1981, 1543).

Es muß allerdings das allgemeine Erfordernis gegeben sein, daß es sich um eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne des ° 2 Abs. 2 UrhG handelt. Bei Computerprogrammen wird der Urheberschutz zu bejahen sein, wenn die gestellte Aufgabe mehrere Lösungen zuläßt und die Auswahl dem Programmurheber einen gedanklich weiten Spielraum läßt (Fromm-Nordemann, aaO, Rdnr. 16 zu ° 2 UrhG m.w.N).

Der schöpferische Gedankeninhalt von Computerprogrammen findet seinen Niederschlag und Ausdruck in der Auswahl, Sammlung, Sichtung, Anordnung und Einteilung des Materials, das heißt der Informationen und Anweisungen (vgl. v. Gamm, aaO, S. 98 linke Spalte).

Computerprogrammen lassen sich grundsätzlich als Sprachwerke im Sinne von ° 2 Abs. Ziff. 7 UrhG und als Darstellung wissenschaftlicher oder technischer Art im Sinne von ° 2 Abs. 1 Ziff. 7 UrhG ansehen. Der erstgenannten Annahme steht der Umstand nicht entgegen, daß die Programme in einer besonderen Computersprache abgefaßt sind und nur mit besonderen Einrichtungen "gelesen" werden können (vgl. Kolle, aaO, S. 449 ff). In bezug auf die letztgenannte Werkart ds ° 2 Abs. Ziff. 7 UrhG muß betont werden, daß der maßgebende geistig-ästhetische Gehalt nicht nur in der äußeren Formgebung, sondern auch im Gedankeninhalt zu suchen ist, der seinen Niederschlag und Ausdruck in der Gedankenform und -führung dargestellten Inhalts und/oder in besonderen geistvollen Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen finden kann (vgl. v. Gamm, aaO, S 98 linke Spalte).

Bei dem Programm "ABC" sind die oben skizzierten Schutzanforderungen erfüllt. Es handelt sich um eine verhältnismäßig komplexe Programm- und Datei-Organisation mit ca. 10 000 Programmbefehlen. Kolle (aaO, S. 454) weist zu Recht darauf in, daß bei der Softwareentwicklung in formaler und inhaltlicher Hinsicht ein breiter Raum für persönliche, kreative Gestaltung vorhanden ist, wobei praktisch alle persönlichen Entscheidungen, Lösungen und Gestaltungen, auch wenn sie aus früheren Entwicklungsstufen herrühren, in das betriebsfertige Computerprogramm selber einfließen.

Jedes nicht ganz triviale Computerprogramm wird daher eine deutlich individuelle Prägung aufweisen, die um so stärker sein wird, je umfangreicher das Programm ist. Nach Kolle (zitiert bei Zahn, GRUR 1978, 207, 216 rechte Spalte) erstreckt sich der Urheberrechtsschutz auf etwas komplexe, nicht ganz banale Programme (von etwa 500 bis 1000 Verarbeitungsschritten aufwärts).

Im vorliegenden Falle weist die Klägerin zu Recht darauf hin, daß das Programm "ABC" nicht nur einen beachtlichen Umfang aufweist, sondern daß die hohe Qualität und Originalität des Programms in zahlreichen, in Fotokopie vorgelegten Presseartikeln bestätigt wird.

Der schwierigste Punkt des gesamten Fragenkomplexes dürfte auf dem Gebiet des Schutzumfanges liegen. Dieses Thema braucht in dieser Entscheidung jedoch nicht vertieft zu werden, weil das Programm der Klägerin in indentischer Weise übernommen und vervielfältigt wurde. Die Beklagten haben dies nicht bestritten. . .

Zu dieser Übernahme bestand keine Berechtigung. Unstreitig hat die Klägerin als Rechtsinhaberin ihre Einwilligung nicht gegeben.. .

2. Handbuch

Auch das Handbuch genießt als Schriftwerk Urheberrechtsschutz. Die Übersetzung in die deutsche Sprache stellt eine Bearbeitung im Sinne von ° 23 UrhG dar, die mangels Einwilligung des Berechtigten rechtswidrig war. Den Beklagten war die Rechtsinhaberschaft der Rechtsvorgängerin der Klägerin bekannt, wie aus dem Schreiben der Beklagten zu 2) vom 31. 1. 1980 an die Firma D. hervorgeht. In diesem Schreiben, das auf Briefpapier der Firma E. abgefaßt ist, wird um Erlaubnis für die Übersetzung des Handbuches gebeten. Diese Erlaubnis wurde nicht erteilt...

3. Referenzkarte

Ebenso wie das Handbuch stellt auch die Referenzkarte eine unberechtigte Übersetzung eines geschützten Sprachwerkes dar. Es gelten insofern die obigen Ausführungen entsprechend.

4. Urheberbezeichnung

Das Versehen der Gegenstände mit den angegriffenen Bezeichnungen erfolgte ebenfalls rechtswidrig. Der uneingeschränkte Copyrightvermerk der Beklagten trifft nicht zu, weil höchstens hinsichtlich der deutschen Übersetzung die Rechte bei den Beklagten liegen. Das Anbringen einer unzutreffenden Urheberbezeichnung stellt einen Verstoß gegen ° 13 UrhG dar.

5. Schadenersatz

Die Klägerin begehrt zu Recht Feststellung der Schadenspflicht der Beklagten sowie Rechnungslegung Angesichts der geschilderten Umstände ist an einem Verschulden der Beklagten nicht zu zweifeln. Der Rechnungslegungsanspruch dient dazu, der Klägerin die Feststellung und Bemessung des ihr gegebenenfalls entstandenen Schadens zu ermöglichen.

6. Warenzeichen

Die Beklagte zu 4) ist verpflichtet, in die Löschung des deutschen Warenzeichens "ABC" einzuwilligen. Die Beklagte zu 4) hat dieses Warenzeichen am 28. 11. 1980 beim Deutschen Patentamt angemeldet obwohl sie damals das Computerprogramm "ABC" nebst Handbuch und Referenzkarte vertrieb, beliefert von der Firma A. Der Beklagten zu 4) war auch bekannt, wie oben ausgeführt daß die entsprechenden Nutzungsrechte bei der Klägerin liegen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kommt ein Sittenverstoß im Sinne von ° 1 UWG in Betracht, wenn die inländische Anmeldung dem Zwecke dient, den Benutzer der indentischen Auslandsmarke daran zu hindern, das Zeichen auf dem inländischen Markt zu benutzen. Das kann regelmäßig nur dann angenommen werden, wenn der inländische Anmelder bei der Anmeldung wußte oder damit rechnete, daß die identische Auslandsmarke in absehbarer Zeit auf dem Inlandsmarkt eingeführt und benutzt werden sollte (Urteil des BGH vom 2. 4. 1969, GRUR Int. 1969, 257, Leitsatz 2 "Recrin" ).

Im vorliegenden Falle fand sogar bereits ein Vertrieb des Programmes "ABC" im Inland statt, nämlich durch die Firma A. und druch die Beklagte zu 4) selbst. Es war der Beklagten zu

4) somit bei der Warenzeichenanmeldung klar, daß sie mit dem Warenzeichen den Vertrieb des Programmes "ABC" durch die Berechtigten behindern kann, was die Beklagte zu 4) auch tatsächlich mit Schreiben vom 30. 11. 1981 an die Firma A. versuchte.

Nach der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes setzt der Löschungsanspruch nicht voraus, daß das Zeichen im Zeitpunkt der Anmeldung bereits Verkehrsgeltung im Ausland besessen hat.

Anmerkungen zum Urteil

Nach dem negativen Urteil des LG Mannheim (CW vom 12. Juni 1981) und dem positiven Urteil des LG Mosbach (CW vom 10. September 1982) liegt nun das zweite erstinstanzliche positive Urteil zum Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen vor.

Zur Frage der Schutzfähigkeit verweist die 7. Zivilkammer des Landgerichts München auf die herrschende Meinung, wobei allerdings nicht erwähnt wird, daß bei den einzelnen Autoren keineswegs Einigkeit darüber besteht, welcher Urheber-Werkart die Computerprogramme zuzuordnen sind und welche Stufen der Software-Entwicklung tatsächlich geschützt sind. So sieht beispielsweise Kolle in einem Computerprogramm ein "wissenschaftliches Schriftwerk", wobei sich dabei unwillkürlich die Frage aufdrängt, wo die Wissenschaftlichkeit bei einem Computerprogramm liegen soll, das bestimmungsgemäß zur Lösung einer Aufgabe mittels einer EDV-Anlage dient.

Die Auffassung von v. Gamm, der dem für Fragen des Urheberrechts zuständigen Senat des Bundesgerichtshofes angehört, wird nur zum Teil richtig wiedergegeben. Denn dieser führt wörtlich zum Gedankeninhalt von Computerprogrammen aus: Gedankeninhalt der Rechenprogramme wie auch ihrer Vorstadien sind Anweisungen in einer bestimmten Folge zur Lösung bestimmter Aufgaben.

Diese Anweisungen gehören damit in den Bereich einer sachlich und technisch durch den Bestimmungszweck bedingten Gedankenführung und Ausdrucksweise. Die patentrechtliche Literatur und Rechtssprechung spricht von mathematischen Schöpfungen, von der Anwendung und Übertragung von Denkgesetzen zur Benutzung von Maschinen. Damit scheidet auch für die urheberrechtliche Beurteilung regelmäßig ein geistig-ästhetischer Gehalt in dieser Gedankenführung und -formung des dargestellten, sachlich bedingten Gedankeninhalts aus. Hierzu gehört nicht nur die technische Lehre selbst, sondern auch ihre konkrete Anwendung, die Gebrauchsanweisung sowie die sich aus ihrem sachlichen Inhalt zwingend ergebende Form."

V. Gamm sieht lediglich in der Auswahl, Sammlung, Sichtung, Anordnung und Einteilung des Materials (Informationen und Anweisungen) eine Ansatz für die Bejahung des Urheberrechts von Computerprogrammen und ihrer Vorstufen. Wenn aber in den weiteren Ausführungen festgestellt wird, daß

1. die für den Urheberrechtsschutz hinreichende Eigentümlichkeit ein bedeutendes schöpferisches Überragen der Gestaltungstätigkeit in Auswahl, Sammlung, Sichtung, Anordnung und Einstellung der

Informationen und Anweisungen gegenüber dem allgemeinen Durchschnittskönnen voraussetzt,

2. die Ersparnis von Zeit, Arbeit und Aufwand urheberrechtlich kein Qualifikationsmerkmal darstellt, da keine schöpferische Eingenart vorliegt, und

3. auch Gewandtheit und Erfahrung bei der Auswahl, Einteilung und Anordnung des Programms keine für den Urheberrechtsschutz hinreichende Eigentümlichkeit begründen können, so ist nicht verwunderlich, daß v. Gamm im Ergebnis wohl die Möglichkeit eines Urheberrechtsschutzes für die generelle Problemlösung, den Datenflußplan und den konkreten Programmablaufplan - nicht aber für den object code - einräumt, gleichzeitig aber feststellt, daß im konkreten Einzelfall jedoch nur selten der erforderliche schöpferische Eingetümlichkeitsgrad bejaht werden könne. Er sieht daher auch ungeachtet des grundsätzlich möglichen Urheberrechtsschutzes angesichts der Problematik des dabei erforderlichen Eigentümlichkeitsgrades das Schwergewicht eines Schutzes der Rechenprogramme im Wettbewerbsrecht.

Das LG München I hatte lediglich darüber zu entscheiden, ob das reine Kopieren eines Computerprogramms gegen das Urheberrecht verstößt. Dieser "Kopierschutz" wäre jedoch auch über das Wettbewerbsrecht, nämlich ° 1 UWG zu erreichen gewesen, wie bereits das LG Mannheim festgestellt hat.

Ob der Urheberrechtsschutz wirklich für Computerprogramme geeignet ist, wird sich jedoch erst entscheiden, wenn auch die Frage des Schutzumfanges eines Programms einschließlich der Teile eines Programms, wie etwa eines Unterprogramms geklärt ist, worauf das LG München nicht eingehen mußte.

Wenn die Computerprogramme tatsächlich als wissenschaftliche Sprachwerke besonderer Art eingeordnet werden, wie Kolle dies vorschlägt, so mag das jüngste BGH-Urteil "Staatsexamensarbeit" (GRUR 1981, 352) verdeutlichen, wie eng bemessen der urheberrechtliche Schutzumfang dieser Werkart bemessen ist. Danach ist der Schutzumfang schon verlassen, wenn das Werk, nämlich die Staatsexamensarbeit in einer etwas abgewandelten sprachlichen Fassung und mit einigen wenigen zusätzlichen Meßergebnissen von einem Dritteln veröffentlicht wird. Wenn dies im Vergleich zum Computerprogramm bedeuten sollte, daß lediglich durch Änderung der frei gewählten Operandensymbolik, Namen von Datenfeldern und so weiter sowie der Ausgaberoutine der urheberrechtliche Schutzumfang verlassen wird, so kann dieser "Schutz" wohl kaum als effektiv und ausreichend angesehen werden.

Es bestehen daher auch weiterhin Zweifel daran, ob das Urheberrecht für den Schutz von Computerprogrammen wirklich geeignet ist. Bei der derzeitigen unsicheren Rechtslage ist jedenfalls jeder Hersteller von Computerprogrammen oder Software gut beraten, wenn er sich nicht (nur) auf den Urheberrechtsschutz verläßt, sondern auch flankierende Schutzmaßnahmen trifft.

Nicht vergessen werden sollte auch der Schutz durch das Warenzeichengesetz, da die Namen eines Programms grundsätzlich als Dienstleistungsmarke und eventuell auch als Warenzeichen schützbar sind. Im vorliegenden Fall hatte jedoch die Klägerin versäumt, den Namen ihres Programms als Warenzeichen oder Dienstleistungsmarke schützen zu lassen.

*Jürgen Betten ist Patentanwalt in München