Professor Dr. Peter Mertens analysiert . . .

Prognose zur EDV-Entwicklung bis 1985

21.03.1975

Prof. Dr. P. Mertens, exklusiv für CW

Die bekannte Unternehmensberatungsgesellschaft Arthur D. Little, Inc., hat 1974 mit einem 25köpfigen Forschungsteam eine technologische Prognose über die Entwicklung der Datenverarbeitung bis 1985 erarbeitet. Die mehrere hundert Seiten umfassende Studie ist nur bestimmten Partnern des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums zugänglich, jedoch erschien im Januarheft von Datamation eine längere Zusammenfassung, verfaßt vom Leiter des Forschungsteams, Frederick G. Withington. Prof. Dr. Peter Mertens, Ordinarius für betriebliche Datenverarbeitung an der Universität Erlangen-Nürnberg, hat für Computerwoche den folgenden kurzen Extrakt zusammengestellt.

- Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird man Schaltkreise mit Schaltzeiten um 10-8 sek. (entspricht 10- bis 50facher Geschwindigkeit im Vergleich zur Gegenwart) bereitstellen können. Danach ist ein langsamerer Fortschritt zu erwarten, obwohl bis 1985 noch einmal ein Faktor 10 erreicht werden könnte. Die Verbesserung im Preis-Leistungs-Verhältnis (bezogen auf Computer, die 1985 ausgeliefert werden) der Schaltkreise wird nicht höher als das 10fache im Vergleich zu heute sein.

- Die Entwicklungskosten für neue Schaltkreise werden im Vergleich zu den Fertigungskosten relativ hoch bleiben. Daher wird man bei der Konstruktion neuer Computer im Zweifel lieber eine eigentlich unnötig hohe Zahl von Standard-Schaltkreisen heranziehen, wenn man dadurch die Entwicklung eines neuen Schaltkreises vermeiden kann.

- Die Parallelverarbeitung in der Rechnerarchitektur wird wahrscheinlich dadurch realisiert, daß man spezialisierte Prozessoren für Input/Output, Datenverwaltung, Speicherverwaltung, Unterbrechungen und ähnliche Aufgaben vorsieht. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß man mehrere parallel arbeitende Prozessoren mit gleichen, vielseitigen Funktionen (wie im llliac-Rechner) heranzieht.

- Mikroprogramme werden vor allem die folgenden Funktionen übernehmen, die heute normalerweise dem Betriebssystem obIiegen:

- Unterstützung verschiedener "Umgebunge" (environments) während der Objektzeit, sowohl für die Emulation und Simulation von Programmen, die von außer Dienst gestellten Rechnern übernommen werden, und der zugehörigen Betriebssysteme als auch für den Komfort von verschiedenen Benutzern, die gleichzeitig unterschiedliche Betriebszustände benötigen. Gewisse Konzepte der virtuellen Maschine werden darin einbezogen,

- Trennung von l/0 Datenübertragung und Datenverwaltung von den Rechenfunktionen,

- Dynamische Zuweisung der Prozessoren, insbesondere auch mit dem Ziel, Fail-Soft-Operationen zu erleichtern;

- automatische Verwaltung der Speicherhierarchie,

- Selbstüberwachung einschließlich Job-Accounting.

- Um 1985 werden die dann erreichte Leistungsfähigkeit der Mikrocomputer und die niedrigen Kosten relativ großer Speicher es ermöglichen, daraus kleine Off-line-Systeme mit beträchtlicher Vielseitigkeit zu bauen.

- Minicomputer werden ab 1977 vor allen Dingen für interaktive Anwendungen eingesetzt.

- Bei den konventionellen magnetischen Speichermedien gibt es immer noch erhebliche Reserven, insbesondere was die Packungsdichte bei der Aufzeichnung angeht. Eine Verbesserung der Speicherdichte, bezogen auf die Fläche, um einen Faktor von mindestens 40 erscheint theoretisch möglich. Das wird zu wesentlich niedrigen Kosten pro Bit auf Magnetplatten führen, niedriger als sie bis 1983 mit neueren Technologien erreicht werden können. Jedoch wird die Zugriffszeit bei Magnetplattenspeichern ein Problem bleiben, bei dessen Lösung nur geringere Fortschritte erwartet werden dürfen. Aus diesem Grunde ist es wahrscheinlich, daß man bis 1985 weiterhin auf Speicherhierarchien setzen wird.

- In den vergangenen zehn Jahren hat es wenig Veränderungen im Preis-Leistungsverhältnis von Lochkartenlesern und -stanzern gegeben. Die maximalen Geschwindigkeiten für Lochkartenleser liegen zur Zeit bei 1200 Karten/Minute, und die maximale Stanzgeschwindigkeit liegt bei 30 Karten/Minute. Diese Geschwindigkeiten wurden erstmals bereits vor mehr als zehn Jahren erreicht. Auch für den Zeitraum 1977 bis 1985 wird nur eine geringe Veränderung des Preis-Leistungs-Verhältnisses prognostiziert. Große Verbesserungen auf diesem Sektor sind allerdings nicht so wichtig, weil abzusehen ist daß die Nachfrage nach Kartenlesern und -stanzern wahrscheinlich abnehmen wird.

Die Entwicklung der Drucker wird dadurch behindert, daß die elektromechanische Technologie relativ ausgereift ist, aber "non impact"-Techniken (Wärme, Elektrostatik, Elektrographie, Xerographie) haben günstigere Entwicklungsprognosen. Geschwindigkeiten von 3000 Zeilen pro Minute und mehr sowie eine Verbesserung des Preis-Leistungs-Verhältnisses um 15 bis 30 Prozent werden für möglich gehalten.

- Bei der Beleglesung liegt die Hauptschwierigkeit nach wie vor in der Mustererkennungs-Software. Hier wird wenig Fortschritt vorausgesagt. Man erwartet nur eine Verbesserung des Preis-Leistungs-Verhältnisses bei Beleglesern um einen Faktor 2 und vereinzelt um einen Faktor 4 gegen 1985. Die bedeutsamste Produktentwicklung wird die von Multifont-Lesern mittlerer Geschwindigkeit sein, die 50 000 bis 75 00 Dollar kosten und mit flexibler Software ausgestaltet werden.

- Hinsichtlich der Geräte zu Überführung menschlicher Sprache in den Rechner glaubt man, daß die bisherigen Grenzen kaum überschritten werden können. Insbesondere werden die Kosten hoch bleiben.

- Die Job-Control-Sprachen werden vereinfacht werden, wobei man vor allen Dingen eine Annäherung an die natürliche Sprache suchen und mehr interaktive Kommandosprachen einsetzen wird.

- Die Fähigkeiten prozedurorientierter Sprachen wie APL, PL/1 Cobol und Fortran werden bis in die frühen 80er Jahre nicht dramatisch verändert. Möglicherweise werden neue "Dialekte" für diese Sprachen entwickelt, zum Beispiel um die strukturierte Programmierung besser zu unterstützen.

- Die Entwicklung von "Very high level languages" (problemorientierte Sprachen) wird fortgeführt, vielleicht bis zu dem Punkt, wo die Mitarbeiter von Fachabteilungen leichter als bisher Standard-Anwendungen, wie zum Beispiel Lohnabrechnung oder Debitorenbuchführung, selbst programmieren zu können, ohne spezielle Programmierer in Anspruch zu nehmen Derartige Sprachen werden weitgehend auch auf Minicomputern implementiert werden.

Dr. P. Mertens, (37), ist Ordinarius für betriebliche Datenverarbeitung an der Universität Erlangen-Nürnberg. Nach seiner Assistentenzeit an den Technischen Hochschulen Darmstadt und München und vor seiner Rückkehr zu Forschung und Lehre war Mertens drei Jahre Mitarbeiter und zuletzt Geschäftsführer der Orga Ratio AG, Unternehmensberatung für EDV.

Professor Mertens ist Mitglied verschiedener Beratungsauschüsse des BMFT.