OS2 verblaßt hinter Windows New Technology

Prognose '92: Big Blue macht aus SAA ein offenes Konzept

17.01.1992

FRAMINGHAM (IDG) - Einen Blick in die Kristallkugel riskierten US-Marktbeobachter zum Jahreswechsel: Die ACE-Gruppe zerfällt demnach zusehends, IBM setzt mit der neuen OS/2-Version zu einer Bauchlandung, an, Microsoft kauft Banyan, User-Gruppen proben den Aufstand, und SAA konvertiert zu einer Architektur für offene Systeme.

Frank Gens, Vice-President der IDG-Tochtergesellschaft Technologies lnvestment Strategies Corp. (TISC), lehnt sich mit seinen Prognosen für das angelaufene Jahr weit aus dem Fenster. In der Studie "Predictions '92: Information Systems Hurtle Towards a New Order" prophezeit der Marktforscher nicht zuletzt der IBM eine Menge Schwierigkeiten.

"Die Anwender sind es endgültig leid, auf OS/2 zu warten", so der Marktbeobachter. Sechs Millionen installierte Windows-Oberflächen seien ein Argument, dem Big Blue nicht viel entgegenzusetzen habe. Auf Desktop-Ebene werde der Markt weniger zwischen Microsofts Windows New Technology (NT) und IBMs OS/2, Version 2.0, als vielmehr zwischen NT und den verschiedenen PC-Unix-Derivaten entscheiden.

Die groß angelegten proprietären Konzepte, wie sie IBM mit der Systems Application Architecture (SAA) und dem Anwendungsentwicklungs-Gerüst AD/Cycle vorgelegt hat, verlieren laut TISC noch weit vor ihrer Realisierung all Bedeutung. Das SAA-Konzept, in das sowohl /370-Mainframes als auch AS/400-Midrange-Rechner und die PS/2-PCs eingebunden sind, steht nach Ansicht der Marktauguren mit der Gründung einer eigenen Personal-Systems-Unit bei Big Blue vor dem Fall.

Sofern der neue Geschäftszweig wie angekündigt bei der Vermarktung der PS/1- und PS/2-Rechner sowie der RS/6000-Workstations freie Hand behält, muß nach Einschätzung der Marktforscher zwangsläufig das Mainframe-Geschäft bedroht sein. Entwicklungs- und Marketing-Energie werden sich von proprietären Systemen weg in Richtung offener Systeme bewegen.

Ziel der Personal-Systems-Gruppe von IBM müsse sein, gegen Mitbewerber wie Hewlett-Packard und NCR zu bestehen. Dazu sei die blaue Tochter aber gezwungen, Downsizing-Strategien anzubieten, mit denen die Kunden ihre proprietäre Großrechnerwelt verlassen könnten. In der heutigen Form könne SAA daher nicht überleben -, möglicherweise aber als Gerüst für die Einführung offener Systeme.

Eine strategische Übernahme erwarten die Marktbeobachter voll Microsoft: Um den Triumphzug von Novells Netzwerk-Betriebssystem Netware zu bremsen, werde der Entwickler des LAN-Managers den Netzwerkspezialisten Banyan übernehmen. Mit Hilfe des in Fachkreisen hochgeschätzten Produktes Vines werde Microsoft seine in diesem Segment eher schwache Marktposition ausbauen können.

Den Prozeß um die grafische Desktop-Oberfläche dürfte Microsoft nach Einschätzung der TISC gegen Apple gewinnen. Entsprechend sehen Software-Entwickler, die Produkte für MS/DOS-Windows-Umgebungen anbieten, günstigen Zeiten entgegen. Gute Karten hallen auch jene Softwarehäuser, die Produkte für grafische Benutzeroberflächen unter Unix auf den Markt bringen.

HP und NCR nutzen den Trend

Bergab geht es dagegen mit den Unternehmen, die sich noch immer primär auf proprietäre Betriebssysteme stützen. Solche Betriebssysteme, zum Beispiel MVS von IBM oder VMS von DEC, werden zunehmend offene Schnittstellen erhalten und Großanwendern die Möglichkeit geben, sukzessive in eine offene Systemlandschaft zu wechseln. Nutzen aus dem unaufhaltsamen Unix-Trend könnten laut TISC Unternehmen wie NCR oder Hewlett-Packard ziehen. Diese Companies werden nach Einschätzung der Marktforscher neue Kunden aus dem IBM-AS/400-Umfeld sowie ehemalige DEC-VAX-Anwender auf ihre Seite ziehen.

Auch zu den verschiedenen Herstellergremien und Anwenderorganisationen bezieht TISC Stellung: Anwender bestimmter Branchen werden sich vermehrt engagieren, um herstellerunabhängige Standardisierungsgruppen ins Leben zu rufen. Besonders aktiv sind hier die Bereiche Gesundheitsvorsorge, Handel sowie die Erdöl- und die Chemiebranche.

Ins Stocken geraten dürften dagegen die Aktivitäten der Herstellergruppe Advanced Computer Environment (ACE). Die auf über 80 Mitglieder angewachsene Vereinigung bemüht sich um eine offene standardisierte PC-Rechnerumgebung - sowohl auf Betriebssystem- als auch auf Prozessorbasis.

Den Gründungsmitgliedern Mips und SCO traut TISC nicht die rechtzeitige Lieferung ihrer Rechner- beziehungsweise Betriebssystem-Umgebung zu. Compaq sei nach der internen Umstrukturierung vor allem mit sich selbst beschäftigt, nur von DEC und Microsoft seien 1992 ACE-Produkte zu erwarten. Die Folge: Viele Mitglieder dürften wieder abspringen, das ACE-Konsortium werde an Bedeutung verlieren.